Siemens, MAN und nun auch Daimler: Die Größen der deutschen Wirtschaft sind tief in Korruption verwickelt. Dabei lohnt es sich kaum, Schmiergelder zu zahlen. Langfristig überwiegen die wirtschaftlichen Schäden, die sich die Firmen für den kurzfristigen Vorteil erkaufen. Und die Gefahr, erwischt zu werden, steigt.
Die Verhöre hatten den Manager von DaimlerChrysler in Nigeria zermürbt. Viele Stunden hatten ihn Anwälte einer amerikanischen Kanzlei im Auftrag der US-Börsenaufsicht SEC zu Schmiergeldzahlungen befragt. Aufgelöst und am Ende mit seinen Nerven, nahm sich die Führungskraft im Juli 2005 das Leben. Ob der Mann überhaupt in die Affäre verwickelt war, ist auch heute immer noch unklar.
Fünf Jahre nach dem Tod des Managers allerdings ist das Dickicht um Steuerhinterziehung bei der Bezahlung von Auslandsmitarbeitern, schwarze Kassen und Korruption bei Daimler gelichtet. Der Stuttgarter Autokonzern hat sich mit den US-Behörden offenbar darauf geeinigt, 180 bis 185 Millionen Dollar als Strafe je zur Hälfte an das amerikanische Justizministerium sowie an die SEC zu zahlen.
Daimler ist kein Einzelfall. In den vergangenen Jahren gerieten immer wieder renommierte deutsche Unternehmen wie Siemens, MAN, die Bahn oder Thyssen wegen Schmiergeldzahlungen oder Kartelldelikten ins Visier der Justiz.
„Korruption lohnt sich nicht, denn die Nachteile für die Unternehmen, die Schmiergelder zahlen, sind enorm“, sagt Hans-Jürgen Stephan, Deutschland-Chef der Beratungsfirma Control Risks, die Unternehmen in Fragen des Risikomanagements berät. „Die kurzfristigen Vorteile, die man sich durch Korruption vielleicht verschaffen kann, werden durch die Reputationsverluste und wirtschaftliche Schäden wieder zunichtegemacht“, sagt auch Peter von Blomberg, Vorstand der Antikorruptionsorganisation Transparency International. Korruption wird vor allem angesichts der steigenden Haftungsrisiken immer gefährlicher. Strafzahlungen in dreistelliger Millionenhöhe sind nicht nur in Korruptionsfällen, sondern auch für Kartellvergehen keine Seltenheit mehr.
Es geht ans Eingemachte – auch für die Manager und Aufsichtsräte. Vorstände verlieren im Zuge von Korruptionsskandalen ihren Posten und müssen damit rechnen, mit Regressforderungen konfrontiert zu werden. Jüngstes Beispiel ist der Abgang von MAN-Vorstandschef Håkan Samuelsson. Der Schwede wird zwar nicht als Beschuldigter in der Schmiergeldaffäre geführt. Dennoch könnte das Unternehmen Schadenersatz in Millionenhöhe von ihm verlangen. Schließlich geht es bei der Haftung auch um die Frage, ob ein Topmanager alles unternahm, um eine Schmiergeldpraxis im Konzern zu verhindern. Fachleute sprechen hier von Organisationsverschulden. Auch für Aufsichtsräte kann Korruption zum Problem werden. Sie können sich nicht mehr auf den Standpunkt zurückziehen, von den Vorständen schlecht informiert worden zu sein. Da Aktionäre selbstbewusster auftreten als früher, drohen auch hier Rechtsrisiken.
Siemens war der Vorreiter. Selbst ein einst so mächtiger Industriekapitän wie Heinrich von Pierer zahlte in einem Vergleich schließlich fünf Millionen Euro an seinen früheren Arbeitgeber. Der hatte Pierer einen jahrelangen Prozess in Aussicht gestellt.
Der Fall Siemens kam mit einer Razzia 2006 ins Rollen. Siemens hatte über Jahre ein System von schwarzen Kassen unterhalten. Der Schaden belief sich letztlich auf 2,5 Milliarden Euro. Vor Gericht kamen skurrile Fälle zutage. So klagte ein Siemensianer über Rückenschmerzen, weil die Geldkoffer, die er nach Österreich schaffte, zu schwer zum Tragen waren. Da Siemens, wie auch Daimler, in den USA börsennotiert ist, interessierte sich die SEC für den Fall. Siemens lief Gefahr, von öffentlichen Aufträgen in den USA ausgeschlossen zu werden. Die Münchner einigten sich mit den US-Behörden schließlich auf eine Zahlung von 800 Millionen Dollar.
„Natürlich sind nach dem Fall Siemens alle sensibler geworden“, sagt Birgit Galley, Direktorin an der privaten Steinbeis-Hochschule für Compliance in Berlin und eine der führenden Korruptionsexpertinnen in Deutschland. „Dennoch sehen wir bei den Fällen oft nur die Spitze des Eisbergs.“ Das Dunkelfeld bei Korruption sei weiterhin sehr groß und nur unzureichend ausgeleuchtet.
Ans Licht kam der Schmiergeldskandal beim Münchner Lastwagenbauer MAN im vergangenen Jahr. MAN hatte über Jahre mit verdeckten Provisionszahlungen den Absatz von Lkws und Bussen befördert. Wegen Verletzung der Aufsichtspflicht und mangelhafter Strukturen für sauberes Geschäftsgebaren verhängte die Münchner Staatsanwaltschaft ein Bußgeld von 150,6 Millionen Euro gegen zwei MAN-Töchter. Mit den Honoraren für Anwälte und Steuernachforderungen kostete die Münchner die Affäre 220 Millionen Euro. MAN hat seine Organisation umgebaut. Heute sind 20 Antikorruptionsexperten im Unternehmen aktiv. Es gibt zudem Frühwarnsysteme.
Auch Siemens hat nicht nur gezahlt und die Konzernspitze ausgetauscht, sondern auch eine mächtige Antikorruptionseinheit mit 600 Mitarbeitern weltweit geschaffen. Es gibt Telefonhotlines. Bei „Ask us“ („Fragen Sie uns“) können Mitarbeiter sich erkundigen, ob es erlaubt ist, einen Geschäftspartner zum Essen einzuladen. Bei „Tell us“ („Erzählen Sie uns“) können sie über Auffälligkeiten berichten. Die SEC bestellte Ex-Finanzminister Theo Waigel zum Siemens-Aufseher. Waigel hat ein Büro in der Konzernzentrale am Wittelsbacherplatz und überwacht das Antikorruptionssystem.
„Die Mitarbeiter müssen ausgebildet werden. Sie müssen lernen, hinzugucken und Rückgrat zu beweisen“, sagt Korruptionsexpertin Galley. Vor allem brauchten sie „glaubwürdige Ansprechpartner“ im Unternehmen, denen sie Fälle melden können. Die Rechtslage hält Galley insgesamt für ausreichend. Eine Lücke müsste jedoch noch geschlossen werden: Die Bestechung von Amtsträgern im Ausland sei zwar verboten, die von Firmen im Ausland bislang jedoch nicht. Das Problem sei jedoch erkannt.
Gänzlich korruptionsfrei ist ein Großkonzern wie Siemens trotz enormer Anstrengungen auch heute nicht: Im ersten Quartal (Oktober bis Dezember 2009) wurden dem Konzern zufolge 131 Verstöße gegen die Antikorruptionsregeln geahndet, in 37 Fällen wurde das Arbeitsverhältnis beendet. Während Siemens intern Mechanismen gefunden hat, das Risiko zu minimieren, ist der Fall für die Justiz noch nicht abgeschlossen. So führt die Staatsanwaltschaft München noch 300 Beschuldigte. Mehrere Gerichtsverfahren stehen an.
Dass die Zeit der Korruption mit den Fällen Siemens, MAN oder Daimler beendet ist, glaubt trotz des gestiegenen Risikos indes kaum ein Experte. „Da köchelt in der deutschen Wirtschaft noch so einiges vor sich hin. Und manches wird hochkochen“, sagt Galley. Gerhard Cromme, langjähriger Chef der Regierungskommission für gute Unternehmensführung (Corporate Governance) und Aufsichtsratschef bei ThyssenKrupp und Siemens, hält Einzelfälle für möglich. „Aber systematische Korruption, die halte ich inzwischen für so gut wie ausgeschlossen.“
„Natürlich kommen die Verfolger den Korruptionären immer näher“, sagt eine Staatsanwältin. „Dennoch habe ich Zweifel, dass Korruption kurz davor ist, ausgerottet zu werden.“ Trotz der Gefahr sei es für so manchen eben immer noch verlockend, ein Geldbündel zu zücken.