Rüstungsaufträge werden niemals nur nach Marktbedingungen vergeben. Industriepolitik und Vertrauen spielen ebenfalls eine große Rolle. Airbus verliert einen Tankflugzeug-Großauftrag im Wert von 35 Milliarden Dollar in den Vereinigten Staaten. Das zeigt einmal mehr die Grenzen politischer Freundschaft.
Einer für alle, alle für einen: Das galt für die Musketiere. Aber es gilt nicht für das westliche Bündnis – oder jedenfalls nur in Grenzen. Wo es um Arbeitsplätze geht, um Industrie-Aufträge und Systemfähigkeit, ist sich jeder selbst der Nächste. Das gilt auch für die USA.
Schon Präsidentschafts-Kandidat Barack Obama hatte, als der 35 Milliarden Dollar schwere Auftrag für 179 Tankflugzeuge an EADS (Europa) und Northrop-Grumman (USA) ging, das „Outsourcing“ hochqualifizierter Arbeitsplätze kritisiert. Jetzt hat sich Grumman aus dem Projekt zurückgezogen – für welchen Preis, bleibt abzuwarten. Die Europäer ziehen jedenfalls den Kürzeren. Boeing kann die Preise diktieren. „Jobs, Jobs, Jobs“, diese Losung hat gewonnen.
Für EADS und die europäische Industriepolitik überhaupt ist dies eine herbe Enttäuschung. Die Entscheidung wirft ein Schlaglicht auf die Widrigkeiten atlantischer Verflechtung. EADS hatte mit den Tankern einen konstanten Strom von Aufträgen aus dem Pentagon erzeugen und zugleich eine breitere Basis in Nordamerika begründen wollen, um langfristig gegen das Auf und Ab des Dollarkurses gesichert zu sein. Die Kosten kommen in Euro, die Kaufverträge zumeist in Dollar.
Die Frage nach dem besseren Flugzeug wurde im Zeichen der Wirtschafts- und Jobkrise kaum noch gestellt. Um technische Daten und die Einpassung in größere strategische Konzepte ging es schon lange nicht mehr. Der Tanker-Auftrag ist ein Politikum: Airbus oder Boeing. Das ist zugleich eine Entscheidung zwischen Made-in-USA und Made-in-EU.
Zuletzt und vor allem ist es eine Entscheidung zwischen Protektionismus und offenem Wettbewerb. Die EADS-Tochter Airbus, Europa und der freie Wettbewerb haben verloren. Wenn EADS jetzt kritisiert, die Ausschreibung sei nachträglich, nachdem Airbus schon die Zusage hatte, zugunsten von Boeing verändert worden, klingt das nicht unplausibel – die Boeing 767 ist um einiges kleiner als der Airbus 330, bei gleicher vorgegebener Preisobergrenze.
Doch den Protektionismus der Amerikaner zu beklagen, ist die eine Sache. Eine ganze andere ist es, in Europa derselben Versuchung zu widerstehen. Die Welt der Rüstungsaufträge ist nicht Schwarz und Weiß, sondern besteht hauptsächlich aus Grautönen.
Wann immer Verteidigungsminister zusammen kommen, im nordatlantischen Kontext oder im EU-Rahmen, bereiten ihre Planungsstäbe wohlklingende Gelübde für die Zusammenarbeit vor. Sie wiederholen dann, was ohnehin seit langem jeder weiß und was wie die Patentlösung aussieht, um für weniger Geld bessere Bewaffnung zu bekommen. Vorsprung durch Technik lautet der Slogan in der Automobilindustrie: Wenn es um Krieg geht, symmetrisch oder asymmetrisch, hängt davon das Leben ab. Überlegene Technik soll Blut sparen.
Zugleich gilt es, durch Arbeitsteilung, Kooperation, Nischen-Fähigkeiten und dergleichen mehr für weniger Geld mehr Wirkung zu bekommen. Wie die Amerikaner sagen: „More bang for the buck.“ Die Europäer haben sich sogar vor einigen Jahren die Europäische Verteidigung zugelegt, um mehr Übersicht zu schaffen und hier und da finanziell zu helfen. Allerdings ist die Rüstungsagentur so knapp dotiert, dass sie die Misslichkeiten nur an den Rändern verbessern kann. Die nationalen Verteidigungsministerien trennen sich nur schwer von Geld, das ohnehin im Zeichen der Finanzkrise immer knapper wird.
Traditionell werden Rüstungsprogramme mehr danach ausgerichtet, wie sie der heimischen Beschäftigungslage nützen – im amerikanischen Kongress sind manche Senatoren zu den abenteuerlichsten Koppelgeschäften bereit, wenn es um den Wahlkreis geht – und was dem heimischen Fiskus Steuern einbringt. Aber zur Industriepolitik gehört auch, dass Systemfähigkeiten erhalten bleiben, die in der Vergangenheit mühsam aufgebaut wurden und die, wenn Anschlussaufträge ausbleiben, verloren gehen. Das erklärt, warum Waffenplattformen, die in den Zeiten des Kalten Krieges ins Sicherheitskonzept passten gegen die Panzermassen des Warschauer Pakts weiter gebaut werden, obwohl sie in den neuen asymmetrischen Kriegen kaum verwendbar sind.
Was die Minister bei ihren Treffen ungern aussprechen und schon gar nicht im offiziellen Schlussdokument sehen wollen, ist der Faktor Misstrauen. Wenn die Europäer, wie es auf den Höhen der Gipfeldiplomatie immerhin angesprochen wurde, die Tankerflotte bauen würden und dafür die Amerikaner die gigantischen Transportmaschinen, dann hätte das auf beiden Seiten zu Rationalisierung durch Großserien führen können. Aber waren das Pentagon und das Weiße Haus irgendwann wirklich bereit dazu, sich auf diese Weise abhängig zu machen von den Europäern?
Dieses Misstrauen markiert die Grenzen des atlantischen Miteinanders. Wer sich an den Irak-Krieg 2003 und seinen diplomatischen Vorlauf erinnert, als Berlin, Paris, Moskau und Peking gegen Washington und London gemeinsame Sache machten, weiß warum. Oder, um ein akutes Beispiel zu nehmen: Führen die Nato-Verbündeten in Afghanistan ein und denselben Krieg –oder jeder seinen eigenen?
Solche Vorbehalte gelten ähnlich auch auf europäischer Seite. Über Studien, Projekte und Ankündigungen sind die Europäer oftmals nicht hinausgekommen. Deutsch-Französisch spricht man gern vom „destin commun“ – der gemeinsamen Schicksalsbestimmung. Aber die nukleare Abschreckung teilt sich schlecht, wie General de Gaulle zu diesem Thema einst bemerkte. Aber auch kleinere Programme, zum Beispiel bei Hubschraubern, fielen lange Zeit in die Kluft der technischen, politischen und moralischen Gegensätze.
Finanzielle Enge und militärische Vernunft haben zum Umdenken geführt. Die Franzosen waren exportorientiert, vor allen in Richtung der Entwicklungsländer. Die Deutschen waren immer „Central Front“-orientiert, und die Spezifikationen waren naturgemäß schwer vereinbar. Dazu kam und kommt der eingeübte deutsche Pazifismus, der selbst für Insider kaum berechenbar ist – und Außenstehenden Rätsel aufgibt.
So lieferte die Bundesregierung an den Staat Israel modernste „Delphin“-Unterseeboote, die Cruise Missiles abfeuern können, nukleare Gefechtsköpfe eingeschlossen. Sie zögerte aber, Kugellager aus Schweinfurt für den Hauptkampfpanzer Merkava IV der israelischen Armee herauszulassen. Aus Israel wird seit den Zeiten der „Uzi“-Maschinenpistole zivil-militärisches High-Tech-Gerät nach Deutschland verkauft: Am deutlichsten wird das bei der Drohne, die Rheinmetall zusammen mit Israeli Aircraft Industries vor allem für Aufklärungszwecke baut – in wachsenden Stückzahlen.
Hubschrauber sind Gegenwart, knapp und teuer; Drohnen aber, bewaffnet wie der amerikanische „Predator“ oder unbewaffnet, sind Zukunft. Die Erfahrung, dass Kooperation Kosten spart, ist so alt wie die Industrie, und die Erfahrung, dass anderen nicht zu trauen ist, so alt wie die Staatenwelt. Europäer und Amerikaner haben da noch einen Lernprozess vor sich. Krieg und Krise indes sind strenge Lehrmeister.