Griechenland kann durchatmen. Die Aufmerksamkeit der Märkte richtet sich plötzlich auf Großbritannien: Das Pfund ist stark unter Druck, das Königreich hat hohe Schulden und riesige strukturelle Probleme. Die Renditen für Staatsanleihen schnellen bereits nach oben – Ende März schlägt für Großbritannien die Stunde der Wahrheit.

Alle, die schon immer an der kollektiven Intelligenz der Kapitalmarktakteure gezweifelt haben, brauchen nur einen Blick zurück in das Jahr 2004 zu werfen, um sich bestätigt zu fühlen: Damals zahlten Investoren für fünfjährige Staatsanleihen der Republik Griechenland praktisch das Gleiche wie für deutsche Titel. Nur ein einziges Basispünktchen mehr - 0,01 Prozentpunkte - verlangten sie als Risikoausgleich dafür, dass sie ihr Geld dem griechischen und nicht dem deutschen Finanzminister liehen.

Keine Rede davon, dass das Mittelmeer-Land noch in den 90er-Jahren von zweistelligen Inflationsraten geplagt war, und keine Rede davon, dass es einen Ruf als notorisch unzuverlässiger Schuldner hat. (Nach Harvard-Professor Kenneth Rogoff war der griechische Staat die Hälfte aller Jahre seines Bestehens insolvent.)

Von alledem wollten die Investoren 2004, im Jahr des Rendite-Hungers, nichts wissen: 3,51 Prozent Zinsen von Griechenland waren ihnen ebenso recht wie 3,50 Prozent Zinsen von Deutschland. Viele Investoren dürften ihre Vorliebe für griechische Anleihen für einen minimalen Zinsaufschlag auf den Magen geschlagen sein. Zwischenzeitlich erlitten Hellas-Anleihen bittere Kursverluste.

Griechenland ist nicht die eine, obskure Ausnahme für einen ansonsten rationalen und unfehlbaren Rentenmarkt. Vielmehr gilt: Schon oft verbrannten sich Anleger an Bonds die Finger - von Mexiko 1982 über Russland 1998 bis hin zu Argentinien 2001. Auch in der jetzigen Welt, in der Staatsanleihen zur ultimativen Zuflucht für ängstlich gewordene Investoren geworden sind, machen manche kritische Beobachter gehörige Risiken aus. "Man muss schon einiges an Mut mitbringen, um in diesem Umfeld auf lang laufende Anleihen zu setzen", sagt Ciaran O'Hagan, Stratege bei der Société Générale.

Dort, wo sich Griechenland heute befindet - am Rande des Bankrotts -, könnte so manches andere Land in wenigen Jahren stehen: In der Eurozone gelten Portugal, Irland, Italien und Spanien als potenziell pleitegefährdet. Analysten in London und New York nennen diese Wackelkandidaten nach den Anfangsbuchstaben bereits PIIGS. Aktuell verlangen Anleger von diesen Peripheriestaaten bei fünfjährigen Papieren zwischen 2,76 Prozent (Italien) und 3,14 Prozent (Irland) an Zins. Deutschland muss für fünfjährige Titel 2,17 Prozent bieten, Griechenland nach der jüngsten Entspannung 5,88 Prozent. Sollten die Europäer sich auf eine koordinierte Unterstützung Athens einigen, dürften sich die Risikoaufschläge zwischen Kern und Rand der Währungsunion zunächst einmal wieder annähern.

Gleiches gilt, wenn es Athen wider Erwarten gelingt, die Herkulesaufgabe einer Haushaltskonsolidierung um vier Prozent der Wirtschaftsleistung zu erbringen. Immerhin: Am Donnerstag platzierte Athen erfolgreich eine zehnjährige Anleihe am Kapitalmarkt. Dank eines üppigen Renditeaufschlags von 310 Basispunkten war das Interesse der Investoren groß. Die Emission sei überzeichnet gewesen, hieß es. "Die erfolgreiche Mittelaufnahme dürfte die jüngste Rallye der Staatsanleihen der Peripheriestaaten untermauern", sagt David Schnautz, Rentenmarkt-Stratege bei der Commerzbank. Seit Ende Februar konnten die Bonds der Südländer einen Teil ihrer vorigen Verluste ausgleichen.

Doch weder eine Atempause für die Griechen noch eine Europäisierung der Schulden beseitigt das grundlegende Problem: Indem die Staaten zur Bekämpfung der Finanzkrise Milliardenverbindlichkeiten der angeschlagenen Banken übernommen und mit weiteren Abermilliarden die Konjunktur gestützt haben, sind die Verschuldungsniveaus auf unhaltbar hohe Niveaus geklettert. Griechenland stellt mit einer Kreditlast von 125 Prozent der Wirtschaftsleistung zwar ein Extrem dar. Doch auch die Verschuldung der meisten anderen Euro-Länder hat längst ein gefährliches Niveau erreicht. Deutschland wird dieses Jahr mit rund zwei Billionen Euro in der Kreide stehen, das entspricht mehr als 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Skeptiker bezweifeln, dass die 3,15 Prozent Rendite, die Anleger für zehnjährige Staatstitel erhalten, das langfristige Bonitätsrisiko korrekt einpreisen.

Dabei gilt die Bundesrepublik trotz der Rekordneuverschuldung noch immer als der solideste Industriestaat. Was von Großbritannien niemand behaupten dürfte: "Von den etablierten Wirtschaftsnationen hat das Vereinigte Königreich die größten strukturellen Probleme", sagt Ian MacFarlane, Analyst bei BCA Research. MacFarlane erinnert daran, dass London, als es 1976 einen Notkredit des Internationalen Währungsfonds in Anspruch nehmen musste, ein Budgetdefizit von sieben Prozent der Wirtschaftkraft aufwies. Heute klafft ein fast doppelt so großes Loch im britischen Staatshaushalt. Auch dass die Inflation auf der Insel höher ist als in der übrigen Alten Welt und dass das Dreifach-A-Rating in Gefahr ist, verbessert die Langfristperspektive für Bond-Besitzer nicht gerade. Wenn die zehnjährigen Anleihen (auch "Gilts" genannt) dennoch nur mit rund vier Prozent verzinst werden, liegt das an den Interventionen der Bank of England, die für 225 Milliarden Pfund Regierungstitel aufgekauft und den Markt dadurch gestützt hat. Spätestens nach Auslaufen der "Quantitativen Lockerung" Ende März könnte es mit den Kursen bergab und mit der Rendite nach oben gehen.

Die Rentenmarktexperten der niederländischen ING erwarten bereits, dass die Rendite bis 2011 auf fünf Prozent klettert. Für Besitzer der Titel würde das auf einen neunprozentigen Kursverlust hinauslaufen. Ähnlich gestaltet sich die Situation in den USA: Zehnjährige Bundesanleihen ("Treasuries") rentieren aktuell mit 3,68 Prozent. Vorerst scheinen Anleger damit recht zufrieden zu sein. Sollte die Inflationsrate allerdings weiter steigen, könnte sich das ändern: In den vergangenen zwölf Monaten ist die Teuerung bereits von knapp über null auf 2,6 Prozent hochgeschnellt. Setzt sich der Trend fort, zehrt die Geldentwertung bald den gesamten Kupon auf: Die Marktteilnehmer würden die Regierung dann zu höheren Zinsen zwingen müssen, um selber keinen Wertverlust zu erzielen. Manche Experten halten einen Anstieg der Inflation auf vier bis sechs Prozent für realistisch. "Historisch gibt es einen Zusammenhang zwischen hoher Staatsverschuldung und Preisstabilität", sagt Joachim Fels, Ökonom bei der US-Bank Morgan Stanley.

Verdoppelt sich die Inflation, müssten Treasuries eine Rendite von fünf bis sieben Prozent ausweisen, um den Kaufkraftverlust auszugleichen. Das ist nicht so exorbitant, wie es klingt, sondern wäre in etwa das Niveau, das Investoren um die Jahrtausendwende von US-Staatsanleihen ohnehin erwarteten. Für die Halter von Staatsanleihen käme selbst solch ein moderater Renditeanstieg einem Kursmassaker gleich. Ganz zu schweigen von dem Fall, dass das "neue Rom" an den Finanzmärkten einen ähnlichen Vertrauensverlust erlitte wie jetzt das "alte" Griechenland.

Quelle: Welt Online