Trotz wüster Drohungen sind die meisten Banker London treu geblieben. Wichtige Finanzmanager jedoch kehren der Metropole den Rücken und ziehen lieber in die Schweiz um. Laut einer Umfrage erwägt bis zu einem Viertel der Firmen, London zu verlassen: Die Banker wollen nicht mehr als Buhmänner leben.

Seit Gareth Fielding in der Schweiz lebt, ist er ein glücklicherer Mensch. Statt sich für eine Stunde in eine überfüllte Londoner U-Bahn zu quetschen, braucht er mit dem Zug nach Zürich nur noch 15 Minuten und hat immer einen Sitzplatz. Er muss sich nicht mehr davor fürchten, dass seine Kinder auf der Straße von Betrunkenen angepöbelt werden, und das Essen ist auch besser. Vor allem aber spart Fielding Geld, sehr viel Geld.

Über sein Gehalt redet der Chef des Vermögensverwalters Quantum Global Wealth Management nicht, aber es wird wohl siebenstellig sein. In Großbritannien erhöht Schatzkanzler Alistair Darling ab April den Spitzensatz der Einkommensteuer von 40 auf 50 Prozent. In Zollikon, einem Vorort von Zürich, zahlt Fielding dagegen nur 25 Prozent. Das war Grund genug für den 45-Jährigen, seinem Heimatland den Rücken zu kehren. "Ich hatte genug davon, ein Vermögen an Steuern zu zahlen und dafür auch noch beschimpft zu werden."

Der Londoner Finanzplatz steht vor einer unsicheren Zukunft. Bis zu 9000 Topmanager könnten die britische Hauptstadt wegen der erhöhten Einkommensteuer verlassen, warnt Londons Bürgermeister Boris Johnsons. "Zahlreiche" Banker hätten ihm mit Wegzug gedroht. Einer habe angekündigt, 700 bis 800 Mitarbeiter ins Ausland zu verlegen, ein anderer sogar 1600. Würden die Banker wirklich fliehen, hätte das verheerende Folgen für die Stadt. Johnson rechnet mit Steuerausfällen von rund 1,5 Milliarden Euro. Schließlich steuert die Bankenwelt ein Fünftel der lokalen Wirtschaftsleistung bei.

Die Frage ist nur, ob die Drohungen ernst zu nehmen sind. Denn die geplante Steuererhöhung ist schon seit fast einem Jahr bekannt. Zwar hatte im vergangenen März eine Gruppe der größten Londoner Hedgefonds gewarnt, der Stadt Lebewohl zu sagen, gegangen ist jedoch bislang kaum einer.

Zunächst sieht alles nach heißer Luft aus. "Die Leute stehen nicht gerade bei Swiss Air Schlange", sagt Nathalie Hirst, Chefin des Londoner Immobilienmaklers Prime Purchase. Ihre Firma hat sich auf Wohnhäuser in den besten Lagen der Stadt spezialisiert. "Für jeden, der London verlässt, kommen zwei, die ein neues Zuhause brauchen", sagt sie. Die Preise im Luxussegment seien schon fast wieder auf dem Hoch des Jahres 2007 angelangt. "London bleibt der wichtigste Finanzstandort Europas."

Seit der Deregulierung in den 90er-Jahren hatte sich die britische Hauptstadt zum Mekka für den Finanzsektor entwickelt. 70 Prozent aller internationalen Bonds, ein Drittel aller Devisen und fast die Hälfte des internationalen Aktienvolumens werden am britischen Finanzplatz gehandelt. Die englische Sprache, nur fünf Stunden Zeitverschiebung nach New York und einen riesigen Pool von hoch qualifizierten Fachkräften konnte bislang kein anderer europäischer Standort toppen. In den Pubs der Finanzviertel Canary Wharf, City und Mayfair trifft man zum Feierabend auf Tausende von Bankern. Einfacher kann Netzwerken nicht sein.

Für Johannes von Bismarck, Manager der Londoner Private-Equity-Firma Veronis Suhler Stevenson, überwiegen die Vorteile der Stadt. "Man ist hier in der Szene, die Wege zu Finanzierungspartnern, Co-Investoren und beratenden Investmentbanken sind kurz." Ein Umzug sei daher trotz der höheren Steuern unwirtschaftlich. Zumal den 43-Jährigen auch privat nichts zurück nach Deutschland zieht, das er vor sechs Jahren verließ. Was Kultur und Internationalität angehe, könne keine andere europäische Stadt London das Wasser reichen. "Es ist normal, auf einer Party zwischen Italienern, Argentiniern, Amerikanern und Indern zu sitzen."

Trotz aller Reize, die London zu bieten hat, wächst das Unwohlsein bei den Unternehmen. Einer aktuellen Umfrage der Londoner Investec Specialist Private Bank wollen zehn Prozent der befragten Firmen ihr Geschäft ins Ausland verlegen. Weitere 17 Prozent denken darüber nach. Es sei vor allem ein gesellschaftlicher Wandel, der die Reichen aus dem Land treibt. "Wer sich einen Bentley leisten kann, der bekommt ihn zerkratzt statt Komplimente, dass das ein tolles Auto ist", sagt Investec-Direktor Ed Cottrell. Vor zehn Jahren sei die Stimmung noch ganz anders gewesen. "Erfolg wird in London nicht mehr geschätzt, sondern geneidet." Daran sei in erster Linie die Labour-Regierung schuld.

Tatsächlich hat sich die Wortwahl der englischen Spitzenpolitiker in den vergangenen Jahren stark geändert. Als New Labour 1997 an die Macht kam, wollte sich die Partei vor allem mit den Besserverdienern gut stellen. Wirtschaftsminister Peter Mandelson sagte damals den viel zitierten Satz: "Wir sind extrem relaxt gegenüber Leuten, die verdammt reich werden, solange sie ihre Steuern zahlen." Gerade die Finanzbranche wurde von Labour hofiert und als Heilsbringer für nicht endendes Wachstum gefeiert.

Seit der Finanzkrise aber sind Banker zu Buhmännern geworden, die von Premier Gordon Brown und seinem Kabinett wiederholt als "gierig" und "unsozial" beschimpft wurden. In die gleiche Kerbe schlug da auch die einmalige, 50-prozentigen Sondersteuer auf Boni, die Schatzkanzler Darling im vergangenen Dezember ankündigte.

"Die Einkommensteuererhöhung oder die Boni-Abgabe sind nicht das Problem", sagt David Beddington. Der 34-jährige Kanadier sitzt in der Lobby seines Hedgefonds Dacharan Capital LLP. Aus dem Fenster kann man auf die Bank of England sehen, die tiefen Sessel sind antik, die Wände aus Marmor, an der Decke hängen Kronleuchter. Hier sitzt Geld.

Über Jahre hätte die Branche viele Milliarden in die Staatskasse gepumpt. "Sorgen bereitet uns, dass wir bei der britischen Politik nicht mehr geachtet werden." Mit einem Umzug in die Schweiz habe er sich zwar beschäftigt, aber noch sei seine Schwelle nicht überschritten. Seiner Frau und seinen zwei Kindern würde es hier schließlich gefallen. "Seien wir mal ehrlich, würden Sie Ihre Familie aus ihrem gewohnten Umfeld reißen, nur um eine Million Pfund zu sparen?"

Drei Kantone hätten ihn schon zu Werbeveranstaltungen eingeladen, um ihm den Umzug in die Schweiz schmackhaft zu machen. "Da wird unser Erfolg honoriert." Labour rufe dagegen zum Klassenkampf auf.

Alle würden nun auf die Wahlen zum Unterhaus warten. Sollte die Konservative Partei im Mai gewinnen, stünden die Chancen für eine finanzfreundliche Politik besser. Würde die Hetze auf die Reichen dagegen weitergehen, müssen sich seine Kinder doch mit einer neuen Schule anfreunden. Er sei schließlich stolz auf seine Arbeit. "Wenn man mich meinen Job nicht ordentlich machen lässt, dann gehe ich."

Quelle: Welt Online