Im Einzelhandel werden die Karten neu gemischt. Händler möbeln mit hohen Investitionen ihre Läden auf. Die Verbraucher kaufen außerdem immer mehr im Internet ein. Nicht alle Händler können Schritt halten.

Düssendorf. Erst Schlecker, dann Neckermann.de. Ein halbes Jahr nach der Insolvenz der Drogeriemarktkette ist auch der mit dem Wirtschaftswunder groß gewordene Versandhändler pleite. Allein mit diesen beiden Insolvenzen sind tausende Arbeitsplätze im deutschen Einzelhandel weg oder stehen auf der Kippe. Von einer Branchenkrise kann aber keine Rede sein, meinen Handelsexperten und Verbandsvertreter. Allerdings heizen der Internetboom und steigende Rohstoffkosten den Konkurrenzkampf an. Die Euro-Krise drückt zudem auf die Stimmung.

„Die sich jetzt häufenden Insolvenzen zeigen: Im Handel trennt sich gerade die Spreu vom Weizen. Wer starr an seinen alten Geschäftsmodellen festhält und jede Veränderung blockiert, der wird vom Markt verschwinden“, sagt Thomas Harms, Handelsexperte der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young. Denjenigen hingegen, die ihre Geschäftsmodelle immer wieder auf den Prüfstand stellten und die ständig neue Ideen entwickelten, gehe es so gut wie schon lange nicht mehr. Harms spricht von einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“.

Einer Umfrage von Ernst & Young zufolge hat sich die Stimmung im Handel spürbar eingetrübt: Ihre aktuelle Geschäftslage bewerteten 45 Prozent der 120 befragten Unternehmen im Juli als gut. Vor zehn Monaten waren es noch 56 Prozent. Gleichzeitig hat sich der Anteil der Händler, die ihre Geschäftslage als eher schlecht bezeichnen, von 4 auf 10 Prozent mehr als verdoppelt. Nach Einschätzung von Harms spüren viele Händler einen erheblichen Druck auf die Margen. Stabile Umsätze seien vielfach nur mit Preisabschlägen erzielt worden.

Auf der anderen Seite investieren die Unternehmen, die ihre Geschäftslage positiv sehen, stärker. Mehr als jeder dritte Händler will seine Gesamtinvestitionen der aktuellen Umfrage zufolge erhöhen. Vor zehn Monaten war es nur jeder Fünfte. 43 Prozent der Befragten wollen in Deutschland im kommenden halben Jahr neue Mitarbeiter einstellen. Vor zehn Monaten waren es nur etwa halb so viele. Einen Stellenabbau planen 13 Prozent der Unternehmen in Deutschland. Das sind gegenüber der Umfrage von September gut dreimal so viele.

„Wir sehen keine Branchenkrise. Wir sehen einzelne Unternehmen, die in großen Schwierigkeiten stecken. Man findet genauso gut Unternehmen, die kräftig wachsen“, sagt auch der Geschäftsführer des Handelsinstitutes EHI, Michael Gerling. „Der Himmel strahlt nicht in den tollsten Farben im Moment.“ Die Euro-Krise drücke auf die Stimmung in der Branche. „Es läuft in diesem Jahr nicht so gut wie 2011. Es gibt aber auch keinen Einbruch.“ Bereinigt um die Inflation werde der Branchenumsatz in diesem Jahr weitgehend stabil bleiben.

„Trotz Euro-Krise sind der Konsum und die Branche sehr stabil“, sagt der Sprecher des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Kai Falk. Der HDE geht trotz der Pleiten sowie des Arbeitsplatzabbaus bei Metro und Karstadt davon aus, dass die Beschäftigung im Einzelhandel mindestens stabil bleiben wird. Im vergangenen Jahr war die Zahl der Stellen laut dem Verband um 60 000 auf knapp 3 Millionen gestiegen.

„Der Einzelhandel ist eine schnelllebige Branche mit einem hohen Veränderungsdruck“, verdeutlicht Falk. Die Bedürfnisse der Kunden verändern sich, neue Anbieter kämen hinzu. Der Internethandel in Deutschland, der 2012 nach HDE-Schätzung um 13 Prozent auf knapp 30 Milliarden Euro Umsatz zunehmen wird, sei selbst ein Beispiel. Zu den reinen Online-Shops und Versandhändler kämen immer mehr stationäre Händler, die sich ein zweites Standbein im Internet aufbauten.

Harms spricht von einer umfassenden Digitalisierung, die zu einem rasanten Wandel des Handels führe. Das erfordere vielfach einen Umbau der Geschäftsmodelle. Michael Bretz von der Wirtschaftsauskunftei Creditreform mahnt: „Es ist das alte Lied bei den Schleckermännern dieser Welt. Wer sich den Marktgegebenheiten nicht ständig anpasst, sein Konzept nicht rechtzeitig weiterentwickelt, der fällt zurück. Firmen können zu Dinosauriern werden.“ Eine Insolvenz bedeute aber nicht zwangsläufig das Aus für alle Aktivitäten und Arbeitsplätze.