Nur 32 Tage nach der jüngsten Einigung mit den Geldhäusern steht Europas zweitgrößter Reiseveranstalter erneut davor, die Kreditbedingungen nicht erfüllen zu können. Die Aktie, die seit Jahresbeginn schon 80 Prozent ihres Wertes verloren hat, brach am Dienstag um zwei Drittel ein.
London. Für Thomas Cook wird die Luft immer dünner: Europas zweitgrößter Reiseveranstalter benötigt dringend neue Kredite. Nur einen Monat, nachdem sich das britisch-deutsche Unternehmen mit einer neu verhandelten Gläubigervereinbarung etwas Spielraum verschaffte, muss es erneut mit den Geldhäusern in Verhandlungen treten. Finanzdirektor Paul Hollingworth sagte am Dienstag, Thomas Cook benötige rund 100 Millionen Pfund, um auszuschließen, dass die Banken plötzlich die bestehenden Kredite kündigen könnten. Dem hoch verschuldeten Konzern macht im umsatzarmen Winter die Zurückhaltung seiner Kunden in Großbritannien, die Auswirkungen der Unruhen in Nordafrika und die allgemeinen Marktturbulenzen zu schaffen.
Die Anleger sehen jedenfalls längst schwarz: Die Aktie, die seit Jahresbeginn schon 80 Prozent ihres Wertes verloren hat, stürzte um zwei Drittel ab. Das Papier fiel auf ein Rekordtief von 9,3 Pence. Im Sog von Thomas Cook fielen die Papiere der Konkurrenten TUI Travel und TUI um 9,4 beziehungsweise 11,8 Prozent.
Der amtierende Vorstandschef Sam Weihagen versuchte, in einer Telefonkonferenz Journalisten zu beschwichtigen: „Thomas Cook hat exzellent laufende Sparten, etwa in Skandinavien und Deutschland. Ich denke, die Firma ist widerstandsfähig und hat eine großartige Zukunft.“ Als Übernahmekandidaten sehe er Thomas Cook derzeit nicht. In Deutschland ist Thomas Cook mit Marken wie Neckermann, Air Marin, Bucher und Öger Tours vertreten. Im vergangenen Jahr war Thomas Cook drittgrößter Reiseveranstalter in Deutschland mit einem Umsatz von 2,85 Milliarden Euro. Der Marktanteil lag nach Informationen des Deutschen Reise-Verbandes (DRV) bei 13,4 Prozent, während Branchenprimus TUI Deutschland auf 18 Prozent kam. Zur Situation von Thomas Cook wollte sich der DRV nicht äußern.
2007 fusionierte der Traditionskonzern Thomas Cook mit dem britischen Reiseveranstalter MyTravel und verlagerte den Hauptsitz nach London. Das Unternehmen senkte in diesem Jahr mehrmals seine Prognosen. Thomas Cook kämpft an mehreren Fronten. Wegen der anhaltenden Unruhen buchen Kunden deutlich weniger Reisen nach Nordafrika und sind auch mit Griechenland-Reisen zurückhaltender. Zudem schlägt die Wirtschaftslage in Großbritannien ins Kontor. Die für Thomas Cook wichtigen Familien mit kleinen Kindern können es sich häufig nicht mehr leisten, in den Urlaub zu fliegen. Wenn, dann greifen sie bei Dumpingpreisen zu, was dem Konzern die Marge verhagelt. Vorstandschef Manny Fontenla-Novoa warf im August das Handtuch. Zudem sei unklar, wie sich die Verunsicherung durch die Schuldenkrise in Europa auf das Buchungsverhalten auswirke, sagte Equinet-Analyst Jochen Rothenbacher.
+++ Thomas Cook und Neckermann erhöhen Preise +++
Angesichts der Unsicherheit über die Zukunft des Konzerns verschiebt Thomas Cook die für Donnerstag geplante Vorlage der Zahlen für das Geschäftsjahr 2010/11 (per Ende September). Die Bilanz soll erst nach Abschluss der Verhandlungen mit den Banken vorgelegt werden. Thomas Cook geht jedoch davon aus, dass der operative Gewinn im Rahmen der Prognose liegen werde. Bisher stellt der Konzern mit rund 30.000 Mitarbeitern für 2011 ein Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) von 320 Millionen Pfund in Aussicht.
Erst im Oktober hatte Thomas Cook 100 Millionen Pfund an kurzfristigen Darlehen erhalten. Doch auch nach Beginn des neuen Geschäftsjahres im Oktober trübte sich die Lage nochmals ein, wie Hollingworth nun einräumte. Noch könne Thomas Cook, die Kreditauflagen zwar erfüllen. Doch weil das Geschäft schleppend laufe und nicht genügend Geld in die Kassen komme, rückten die kritische Schwellen immer näher. Banken fordern von Unternehmen bei Großkrediten meistens, dass sie bestimmte Bedingungen – etwa ein bestimmtes operatives Gewinnniveau – einhalten. Gelingt ihnen das nicht, können die Banken den Kredit sofort kündigen.
Die Lage habe sich offenbar viel schneller verschlechtert als Thomas Cook oder die Banken selbst angenommen hätten, sagte Espirito-Santo-Analyst Geetanjali Sharma. Sein Evolution-Kollege James Hollins nannte die erneuten Probleme schockierend. „Die Frage ist berechtigt, ob Thomas Cook langfristig überlebensfähig ist und die Aktien überhaupt noch einen Wert haben“, sagte er.