Investoren verkaufen ihre Staatsanleihen aus Finnland, Österreich und den Niederlanden. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.
Hamburg. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Investoren haben sich in den vergangenen Tagen in großem Stil von Staatsanleihen etlicher Euro-Länder getrennt und damit deren Zinsen hochgetrieben. Dabei kletterte die Rendite der italienischen Papiere zeitweise auf mehr als sieben Prozent und die der spanischen auf 6,3 Prozent.
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Doch die Verkäufe beschränkten sich diesmal nicht auf Anleihen aus Ländern, die schon bisher akut unter der Schuldenkrise leiden. Betroffen waren auch Papiere aus Staaten mit der Rating-Bestnote "AAA": Die Rendite zehnjähriger französischer Staatsanleihen erreichte 3,73 Prozent, die österreichischen Papiere lagen bei 3,53 Prozent und die finnischen bei 2,47 Prozent, während Bundesanleihen mit nur 1,78 Prozent notierten. Niederländische Anleihen mit zehn Jahren Laufzeit weiteten den Renditeabstand zu den entsprechenden deutschen Schuldtiteln auf 0,63 Prozentpunkte aus - noch Ende Oktober war der Risikoaufschlag nur halb so groß gewesen.
Vor dem Hintergrund dieser Verschärfung der Marktturbulenzen will EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am kommenden Mittwoch ein Vorschlagspapier mit Optionen für gemeinsame europäische Staatsanleihen präsentieren. Dieser Vorstoß ist politisch heikel, weil Deutschland und Frankreich die sogenannten Euro-Bonds bislang ablehnen.
Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zur aktuellen Entwicklung in der Schuldenkrise.
Was bedeuten die Verkäufe von Anleihen auch vermeintlich sicherer Staaten?
Nach Einschätzung von Experten gibt es verschiedene Gründe dafür, warum Anleger nun auch Papiere aus Frankreich und aus vermeintlich grundsoliden Ländern wie Finnland, den Niederlanden oder Österreich abstoßen. "Banken müssen wegen der Stresstests ihre Risiken minimieren und daher trennen sie sich von kursvolatilen Anleihen, auch wenn sie keine Gefahr eines tatsächlichen Zahlungsausfalls sehen", sagte Bernd Schimmer, Leiter der Wertpapieranalyse bei der Haspa, dem Abendblatt.
Zudem könnten Großanleger die Staatsanleihen Italiens und Spaniens derzeit nur mit Verlusten verkaufen, erklärte Carsten Klude, Chefvolkswirt des Hamburger Bankhauses M.M. Warburg & CO: "Wenn diese Investoren aber auch Papiere aus Österreich oder den Niederlanden abgeben, können sie Kursgewinne realisieren und damit wenigstens einen kleineren Teil der Verluste ausgleichen."
Abgesehen von solchen eher technischen Hintergründen seien die Verkäufe von Anleihen der kleineren Länder mit Bonitäts-Bestnoten aber auch "als Misstrauensvotum gegenüber der Währungsunion zu werten", meint Helaba-Analyst Ralf Umlauf.
Für welche Euro-Länder sind die Gefahren derzeit am größten?
"Das kritischste Land ist Italien, gefolgt von Spanien", so Klude. Während aber Spanien mit einem Schuldenstand von etwas mehr als 600 Milliarden Euro notfalls noch vom Rettungsfonds gestützt werden könnte, sei Italien mit seinem Schuldenberg von fast zwei Billionen Euro viel zu groß dafür.
Doch die Zinsen von inzwischen rund sieben Prozent, die Italien bezahlen muss, "sind für ein Land mit einer Schuldenquote von 120 Prozent und einer Wachstumsrate von weniger als zwei Prozent untragbar", sagte Keith Wade, Chefvolkswirt beim britischen Vermögensverwalter Schroders. "Nach unseren Berechnungen entspricht ein Zinssatz von vier Prozent eher dem, was sich Italien langfristig leisten kann." Bis dieses Niveau erreicht ist, kann es zu spät sein: "Selbst wenn die neue Regierung alles richtig macht, wird man fünf bis zehn Jahre brauchen, um die Finanzen grundlegend zu sanieren", so Klude.
Hält das bisherige Vertrauen der Investoren in die Bundesanleihen?
Während die Zinsen etlicher Euro-Länder immer weiter steigen, fiel bei der Auktion zweijähriger Bundesschatzanweisungen der durchschnittliche Zins auf nur noch 0,39 Prozent. Zwar stehe Deutschland im Hinblick auf die Verschuldung nur relativ besser das als andere Euro-Staaten, sagte Schimmer. "Aber das ist wie bei einer Schönheitskonkurrenz: Es muss einen Sieger geben." Allerdings glaubt Schimmer nicht, dass die Zinsen deutscher Papiere auf Dauer so niedrig bleiben werden: "Ohne die aktuellen Verzerrungen wäre eine Rendite der zehnjährigen Bundesanleihen zwischen 2,5 und 3,0 Prozent realistisch."
Sind Staatsanleihen überhaupt noch eine empfehlenswerte Anlage?
Zwar könnten renditehungrige Anleger darauf setzen, dass Länder wie Italien oder Spanien ihre Schulden auch langfristig zurückzahlen werden, und sich damit eine hohe Verzinsung sichern. "Man kann aber nicht dazu raten, jetzt italienische Staatsanleihen zu kaufen", sagte Schimmer.
Trotz teils berechtigter Kritik an den Rating-Agenturen seien deren Bonitätsnoten jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit "nicht völlig falsch", so der Haspa-Experte - und demnach bestünde bei Anleihen von "AAA"-Staaten praktisch kein Ausfallrisiko. Ihren Nimbus als "sicherer Hafen" hätten die Staatsanleihen seit dem griechischen Schuldenschnitt dennoch verloren.
Können gemeinsame europäische Anleihen das Problem lösen?
Mit den Euro-Bonds wäre nicht nur die Transferunion zementiert, meint Klude. Nach seiner Auffassung sind die Voraussetzungen dafür - etwa die Bereitschaft zur Aufgabe nationaler Kompetenzen - nicht gegeben: "Das Bundesverfassungsgericht hat sich dazu recht klar geäußert." Eine Alternative zu den Euro-Bonds wäre die Finanzierung von Euro-Ländern durch Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank - doch dagegen wehrt sich die Bundesregierung. Die Frage ist, wie lange sie dies durchhalten kann: "Es scheint, dass die Krise noch nicht schlimm genug ist, damit Deutschland dem internationalen Druck nachgibt", so Berenberg-Volkswirt Christian Schulz.