HWWI-Konjunkturchef Michael Bräuninger fordert höhere Steuern gegen die Staatsschulden - und in Europa mehr Druck aus dem Norden auf den Süden

Hamburg. Die USA gehört nicht mehr zu den Staaten mit der höchsten Bonität. Über die Folgen der Herabstufung auf Aktien- und Finanzmärkte, die Lehren für Europa und die Reaktion der Chinesen sprach das Abendblatt mit Michael Bräuninger, dem Konjunkturchef des Hamburger WeltWirtschaftsInstituts HWWI.

Hamburger Abendblatt:

Herr Bräuninger, die Rating-Agentur Standard&Poor's hat den USA ein schlechteres Zeugnis ausgestellt. Wie überraschend ist das?

Michael Bräuninger:

Die Aktion haben Experten erwartet, sie zeichnete sich ab. In den nächsten Tagen werden wir sehen, wie sich dies auf die internationalen Finanzmärkte auswirkt.

Was erwarten Sie?

Bräuninger:

Die schwierige Lage der USA ist seit Langem absehbar. Daher werden die Kurse der Staatspapiere nur noch wenig sinken und damit die Zinsen eher nur leicht steigen. Dazu trägt auch bei, dass die US-Zentralbank weiter an ihrer Null-Zins-Politik festhalten wird und damit günstiges Geld in den Markt pumpt. Wie sich die Aktienkurse dagegen bewegen werden, ist schwerer zu prognostizieren. Möglich ist aber auch hier, dass wir den größten Teil der Abwärtsbewegung bereits gesehen haben. Entscheidend für die zuletzt sinkenden Kurse ist vor allem die schwache Konjunktur.

Was bedeutet das schlechtere Rating für die USA und die Weltwirtschaft?

Bräuninger:

Einen Imageverlust für die Amerikaner. Die Bewertung von Standard & Poor's macht deutlich: Das Land hat hohe Schulden, und es fehlt der politische Wille, sie mit einem geschlossenen Konzept zu bekämpfen. Die Lage wird die Konsumenten trotz der günstigen Kredite verunsichern, und Unternehmen werden weniger investieren. Dies dürfte sich auf die Weltwirtschaft auswirken. Bisher zeichnet sich aber kein Einbruch ab, der mit dem nach der Pleite der US-Investment-Bank Lehman Brothers vergleichbar wäre.

Was wäre jetzt die richtige Reaktion in den USA?

Bräuninger:

Einfache, kurzfristige wirkende Rezepte gibt es nicht. In den USA führt aber nichts daran vorbei, dass die Einnahmen des Staates steigen müssen. Das ginge mit Steuererhöhungen, da die Steuerquote im Vergleich zu Europa ohnehin relativ gering ist. Das Dilemma ist, dass dies politisch wohl derzeit kaum durchsetzbar ist.

Europäische Staaten sind zum Teil noch höher verschuldet als die USA. Muss die Herabstufung nicht auch für sie eine Lehre sein?

Bräuninger:

Tatsächlich fehlt es auch in Europa am Willen, die Schulden rasch einzudämmen. Das müsste aber geschehen, damit nicht nur Griechenland, Irland oder Portugal, sondern auch Frankreich und Italien nicht in eine ähnliche Lage kommen wie die USA. Nordeuropa muss mehr Druck auf die Staaten im Süden aufbauen.

Über den Einfluss der Rating-Agenturen wird gestritten. Muss ihre Macht beschnitten werden, oder sagen sie als Einzige die Wahrheit über die Verschuldung der Staaten?

Bräuninger:

Zunächst einmal handelt es sich um private Agenturen. Und in einer Demokratie hat jeder das Recht, seine Meinung zu äußern. Aber man sollte deren Meinung nicht quasi Gesetzeskraft verleihen. So sollten die Richtlinien, nach denen die Banken und Versicherungen Wertpapiere beurteilen, mehr Flexibilität bieten, sodass nicht notwendig den Vorgaben der Agenturen gefolgt werden muss. Damit ließe sich der Einfluss des Ratings herunterschrauben. Banken könnten dabei künftig auch vorsichtiger bilanzieren als bisher zugelassen. Dann würden sich die Effekte aus neuen Bewertungen nicht so schlagartig zeigen.

China, der größte Gläubiger der USA, hat Amerika kritisiert und die Schulden als Gefahr für die Weltwirtschaft eingestuft. Was lässt sich daraus schließen?

Bräuninger:

China wird wirtschaftlich immer stärker und traut sich immer mehr zu. Aber die chinesische Regierung spricht im Grunde nur aus, was an den Finanzmärkten gedacht wird.

Zielt der Vorstoß Chinas auch dahin, den Dollar als Leitwährung abzulösen?

Bräuninger:

Kurzfristig sehe ich das nicht. Langfristig wird der Dollar aber immer mehr an Bedeutung verlieren.