Kaum drei Wochen ist es her, seit die „Chefs“ der 17 Euroländer nach langem Gezerre Wegweisendes in Sachen Euro-Rettung beschlossen. Die Gipfelbeschlüsse sind noch nicht mal umgesetzt, da geht die Debatte wieder los.
Berlin/Luxemburg. Im Windschatten des US-Schuldendebakels wird in der EU schon wieder heftig über die Instrumente zum Kampf gegen die Euro-Schuldenkrise gestritten – weniger als drei Wochen nach dem jüngsten Brüsseler Krisengipfel. Heftigen Gegenwind spürt vor allem EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der am Donnerstag eine Überprüfung aller Elemente des Rettungsschirms EFSF einschließlich dessen finanzieller Ausstattung verlangt hatte. Der Vorstoß des Portugiesen provoziert nun anhaltende Kritik – über alle Parteien hinweg vor allem aus Deutschland.
SPD-Chef Sigmar Gabriel warf Barroso vor, er habe mit seinen Äußerungen zu einer Aufstockung des Euro-Rettungsschirms die Märkte verunsichert. „Die Krise, die man eigentlich verhindern will, wird durch das, was Barroso getan hat, eher beschleunigt“, sagte Gabriel im ZDF-Sommerinterview vom Sonntag. Jetzt müssten die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs vor zwei Wochen „erst mal umgesetzt werden“. Gabriel sprach sich dafür aus, dass man in Europa für einen bestimmten Teil der öffentlichen Schulden der einzelnen Länder gemeinschaftlich haftet. „Nur das klare Signal hätte die Finanzmärkte beruhigt. Das haben wir nicht gegeben.“
Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok rügte am Samstag im Deutschlandfunk: „Brüssel, muss man sagen, hat in dieser Woche nicht geschickt reagiert, weil es die Nerven verloren hat.“ Es gebe „zu viele Politiker, die in dieser Frage den Mund nicht halten können“. Die Bundesregierung wollte sich am Wochenende weder zur europäischen Schuldenkrise noch zur Abstufung der US-Bonität durch die Ratingagentur Standard & Poor's äußern. „Einfach mal die Klappe halten“, wäre ein gutes Motto der Stunde, hieß aus deutschen Regierungskreisen lediglich.
Im Europaparlament wird angesichts der anhaltenden Debatte die Forderung nach kürzeren Entscheidungswegen laut. „Die Euro-Staaten müssen schneller reagieren können“, sagte der Vorsitzende der CSU-Europagruppe, Markus Ferber dem Nachrichtenmagazin „Focus“. Er forderte flexiblere Strukturen, die die Handlungsfähigkeit der Euro-Staaten stärken. Heute seien zu viele Menschen und Institutionen in die Prozesse eingebunden. „Es wird von zu vielen zu viel geredet.“
In Krisenzeiten müssten der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), der EU-Währungskommissar, der Sprecher der Eurogruppe und der Chef des künftigen Krisenfonds für Euro-Wackelkandidaten ESM allein Entscheidungen treffen können. „Das reicht“, sagte Ferber.
Bereits am Freitagabend hatte der Vorsitzende der Euro-Gruppe, der luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker angesichts irrationaler Finanzmärkte „aktive Ruhe“ statt fortgesetzten Streits verlangt.
Der ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) soll den aktuellen Euro-Krisenfonds EFSF zum 1. Juli 2013 dauerhaft ablösen. Die Papiere wurden bereits von den Euro-Ländern unterzeichnet. Der Fonds soll eine Ausstattung von 700 Milliarden Euro haben. Im Gespräch ist, ihn noch auszuweiten.
Die Beschlüsse zur Euro-Stützung sind bereits gefasst – eine praktische Wirkung steht aber noch aus. Die 17 Staats- und Regierungschefs der Eurogruppe hatten bei einem Sondergipfel am 21. Juli ein ganzes Bündel von Maßnahmen gegen die Schuldenkrise beschlossen. Es kann aber erst in Kraft treten, wenn entsprechende Gesetzestexte ausgearbeitet und von den nationalen Parlamenten beschlossen worden sind.
Derzeit arbeiten Experten der EU-Kommission in Brüssel, der EZB und der EU-Mitgliedsstaaten unter Hochdruck daran, die Beschlüsse im Detail auszuformulieren. Dabei geht es um ein zweites Hilfspaket für Griechenland und die Ausweitung der Aufgaben des Euro-Krisenfonds EFSF. Anfang September könnte diese Arbeit erledigt sein und die Texte den nationalen Parlamenten zur Verabschiedung vorgelegt werden.
Derzeit hängen die hoch verschuldeten Euroländer Griechenland, Irland und Portugal am internationalen Finanztropf. Die Sorge wächst, dass Spanien und vor allem Italien als nächste in den Strudel der Schuldenkrise geraten könnten. Nach einem „Spiegel“-Bericht bezweifelt die Bundesregierung, dass Italien durch den EFSF gerettet werden könnte, selbst wenn dieser verdreifacht würde. Die italienische Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi drückt inzwischen selbst aufs Tempo. Er hatte angekündigt, die ohnehin ehrgeizigen Sparpläne noch schneller umsetzen zu wollen. So soll der bis 2014 geplante ausgeglichene Haushalt des Landes möglichst schon 2013 erreicht werden.
Die anhaltenden Debatten in der EU werden auch von Ökonomen kritisiert. Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise sagte der dpa, die gärende Euro-Schuldenkrise könne der Kurstalfahrt an den Aktienmärkten neuen Antrieb geben. Dass nun auch Italien und Spanien ins Visier der Finanzmärkte rücken, sorge bei Anlegern für Irritationen. Heise: „Wenn das eskaliert, kann es zu einem Konjunkturproblem in Europa werden – und das kann die Weltwirtschaft im Moment nicht gebrauchen.“ Darum müsse die Politik die Märkte nun beruhigen. Weitere Geldflüsse in kriselnde Euroländer lehnt Heise jedoch ab. Dadurch würde der Druck genommen, Wachstum zu erzeugen und den Staatshaushalt schnell zu konsolidieren. Gleiches gelte für die von EU-Kommissionspräsident Barroso ins Spiel gebrachte Aufstockung des Krisenfonds EFSF.
Auch der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, sieht angesichts der Kursstürze an den Börsen die Politik in der Pflicht. „Eine schnelle und effektive Umsetzung der jüngsten Beschlüsse zur Stabilisierung der Europäischen Währungsunion und Konjunkturdaten, die besser ausfallen als erwartet, könnten zu einer Aufwärtskorrektur an den Märkten führen“, sagte Mayer. (dpa/abendblatt.de)