EU erwägt Sondergipfel. Zahlungsausfall Griechenlands wird nicht mehr ausgeschlossen. Vier Szenarien für die Zukunft

Hamburg. In der Schuldenkrise ist die Panik nun offenbar auch bei den Politikern angekommen. Angesichts der jüngsten Zuspitzung der Lage erwägen die Euro-Staaten die Einberufung eines Sondergipfels am Freitag. Das bestätigte ein Sprecher von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy in Brüssel.

Die Krise sei jetzt systemisch, also auf die gesamte Euro-Zone übergeschwappt, sagte EU-Währungskommissar Olli Rehn. Die gesamte europäische Wirtschaft sei jetzt in Gefahr. Zuletzt waren auch die Kurse italienischer und spanischer Staatsanleihen kräftig unter Druck geraten. "Europa erlebt den gefährlichsten Moment in der Schuldenkrise seit dem Mai 2010", meint Holger Schmieding, Chefvolkswirt des Hamburger Privatbankhauses Berenberg. Denn erstmals habe man zugelassen, dass gewichtige Länder von den Problemen der kleineren Peripheriestaaten ernsthaft angesteckt werden.

Dagegen beteuerten die Euro-Finanzminister in der Abschlusserklärung ihrer Marathonsitzung, man werde die Stabilität der Euro-Zone "mit absoluter Entschlossenheit" verteidigen. Die Minister einigten sich darauf, den Ländern unter dem Rettungsschirm mehr Zeit für die Rückzahlung ihrer Notkredite zu geben und die Zinsen dafür weiter zu senken. Schon einmal in diesem Jahr hatte man den Zins um einen Prozentpunkt auf 4,8 Prozent ermäßigt und die Laufzeit auf sieben Jahre verlängert. Zudem wird erstmals in Betracht gezogen, dass der befristete Rettungsschirm EFSF Altschulden von Euro-Staaten mit einem Preisabschlag von privaten Investoren aufkauft. "Das ist ein Anti-Ansteckungsprogramm", sagte der Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker. "Wir gedenken, alles zu tun, um die Finanzstabilität in der Euro-Zone zu bewahren."

Neue Töne gab es aus Griechenland: Offenbar versuchen die Politiker, die Finanzmärkte nun doch auf einen teilweisen Zahlungsausfall des besonders hoch verschuldeten Landes einzustimmen. "Es wird nicht mehr ausgeschlossen", sagte der niederländische Finanzminister Jan Kees de Jager dazu. Doch Jean-Claude Trichet, Präsident der Europäischen Zentralbank, lehnt einen Schuldenschnitt bislang vehement ab, weil er für einen solchen Fall eine Welle von Bankenpleiten vor allem in Griechenland befürchtet.

Unter den Banken selbst ist eine Umschuldung Griechenlands aber längst kein Tabu mehr. Dieser Weg werde "steinig, aber gangbar", schrieb der Vorstandsvorsitzende der Commerzbank, Martin Blessing, in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Ein radikaler Schnitt sei notwendig: "Kein demokratisch durchsetzbares Sparpaket wird es dem Land ermöglichen, in absehbarer Zeit an den Kapitalmarkt zurückzukehren und seine Schulden mit Zinsen zurückzuzahlen." Blessing rechnet damit, dass die privaten Gläubiger Griechenlands, zu denen auch die Commerzbank zählt, insgesamt einen Beitrag von mehr als 50 Milliarden Euro zu leisten hätten.

Der Bankchef schlägt vor, den Investoren anzubieten, ihre griechischen Staatspapiere mit einem 30-Prozent-Abschlag in 30 Jahre laufende Papiere mit einem Zinssatz von 3,5 Prozent zu tauschen. Für diese Papiere solle die Euro-Gruppe garantieren.

Der Vorstoß Blessings sei "überraschend, weil die Commerzbank schließlich auch zur Kasse gebeten würde", sagte der Branchenexperte Wolfgang Gerke dem Abendblatt. Grundsätzlich hält er die Anregung für sinnvoll: "In diese Richtung wird man gehen müssen, wenn man den Griechen nicht den Abschied vom Euro aufzwingen will."

Allerdings steht EZB-Präsident Trichet einer Beteiligung privater Investoren an der Rettung Athens äußerst kritisch gegenüber; er fürchtet, die Rating-Agenturen könnten Einbußen für die Banken zum Anlass nehmen, die griechischen Staatsanleihen - von denen die EZB Papiere im Volumen von bis zu 50 Milliarden Euro aufgekauft hat - für praktisch wertlos zu erklären.

Finanzexperte Gerke ist jedoch unzufrieden mit der Krisenpolitik der Notenbank: "Die EZB hat einen katastrophalen Weg genommen. Sie hat sich auf Druck Frankreichs zur 'Bad Bank' für die Schuldenstaaten machen lassen." Die EZB habe fiskalpolitische Aufgaben übernommen - "und damit ist sie nicht mehr neutral".

Auch nach Auffassung von Berenberg-Chefvolkswirt Schmieding hat es zuletzt Fehler in der Krisenpolitik gegeben. Die harte Haltung der EZB in der Frage einer Beteiligung privater Investoren an der Griechenland-Rettung habe zu einem Konflikt mit den Finanzministern geführt, der die Märkte verunsichere und zudem eine Lösung des Problems verzögere.

1. Fortsetzung der bisherigen Strategie

Läuft die Griechenland-Rettung weiter wie geplant, wiederholt sich das Prozedere der vergangenen Wochen: Griechenland muss nachweisen, dass es Fortschritte bei der Konsolidierung seiner Staatsfinanzen macht, die Europäische Union überweist eine weitere Tranche aus dem Hilfspaket und der Internationale Währungsfonds (IWF) schießt seinen Anteil zu.

Der Kampf gegen das Haushalts-Chaos wird für die Griechen damit hart bleiben: Steigende Arbeitslosigkeit, schwaches Wirtschaftswachstum und anhaltende soziale Spannungen sind erwartbar. Die griechische Regierung muss nicht nur ihren Haushalt radikal zusammenstreichen, sondern auch große Teile der Volkswirtschaft privatisieren. Die Geberländer und die Märkte werden die Nachhaltigkeit der griechischen Politik auch daran messen, ob es Athen gelingt, die verkrusteten Staatsunternehmen zu verkaufen. Ökonomen zweifeln daran bereits; denn der Einfluss der Gewerkschaften in den Unternehmen ist groß, und die Staatsunternehmen stehen für einen großen Teil der Volkswirtschaft.

Für die übrigen Euro-Länder und die Finanzmärkte bedeutet eine Fortsetzung der bisherigen Strategie, dass es immer wieder zu Zitterpartien wie in den vergangenen Wochen kommen wird. Trotz Rettungsschirmen bleiben die Finanzmärkte nervös.

2. Der Rettungsfonds wird aufs Doppelte aufgestockt

In der Europäischen Zentralbank (EZB) wird diskutiert, den bestehenden Rettungsschirm für strauchelnde Euro-Länder deutlich aufzustocken. Bisher stehen 700 Milliarden Euro bereit, um Krisenländer abzuschirmen; jetzt ist die Rede davon, den Schirm auf mehr als 1,5 Billionen Euro auszuweiten - also 1500 Milliarden Euro. Mit dem Geld soll eine Schutzmauer um die italienische Volkswirtschaft gebaut werden, da europäische Politiker und Notenbanker fürchten, dass die Schuldenkrise auf Italien übergreift. Der Plan soll bei Bürgern, Unternehmen und dem Finanzmarkt Vertrauen schaffen und Investoren signalisieren, dass es keinen Sinn macht, gegen Italien zu spekulieren. Dahinter steht die Hoffnung, dass die psychologische Wirkung so groß ist, dass Europas Politiker das Geld niemals ausgeben müssen.

Eine ähnliche Strategie verfolgte die Bundesregierung, als sie im Herbst 2008 auf dem Höhepunkt der Finanzkrise alle deutschen Spareinlagen garantierte: Ein Bank-Run, für den es zuvor Anzeichen gegeben hatte, blieb in Deutschland aus. Ohnehin ist Italiens Volkswirtschaft so groß, dass eine Rettung wie im Fall von Griechenland nicht möglich wäre. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass die Politik einen so großen Rettungsschirm aufspannen kann. Die Bundesregierung hat einer Aufstockung eine Absage erteilt.

3. Griechenland schlittert in die ungeordnete Staatspleite

Sollte Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen können, ist eine ungeordnete Staatspleite wahrscheinlich. Die Folgen für das Bankensystem wären dramatisch. "Eine Insolvenz hätte gewaltigere Folgen als der Zusammenbruch von Lehman Brothers", sagt Henrik Enderlein, Professor an der Hertie School of Governance in Berlin.

Die Banken und Versicherungen, die griechische Anleihen halten, müssten diese in ihren Bilanzen abschreiben. Griechische Banken halten sehr viele dieser Anleihen. Bei einer Insolvenz würde das griechische Bankensystem kollabieren. In diesem Fall müsste die EZB die Banken stützen, um den Zahlungsverkehr innerhalb der Währungsunion zu sichern. Im ganzen europäischen Finanzsystem würde es zu Verwerfungen kommen. Deutsche und französische Banken halten ebenfalls griechische Anleihen. Wenn die Abschreibungen das Eigenkapital dieser Banken stark reduzieren, müssten die Regierungen die Banken stützen.

Anleger würden gleichzeitig danach fragen, ob Portugal, Irland, Spanien oder auch Italien ihre Schulden bedienen können. Investoren würden die Staatsanleihen dieser Länder verkaufen, und die Kurse würden abstürzen. In solch einer Situation herrscht Panik an den Märkten. Vermutlich müssten Regierungen weltweit Banken und Finanzdienstleister stützen.

4. Die Euro-Zone bricht auseinander

Eine Rückkehr zur Drachme, zum Escudo und zur Peseta könnte die Exportindustrien der Schuldenländer international konkurrenzfähiger machen, weil sie ihre Währungen abwerten und ihre Güter so im Ausland billiger machen könnten. Der Preis dafür wäre allerdings sehr hoch. Denn eine Rückkehr zu nationalen Währungen würde bedeuten, dass die Euro-Zone zerfällt.

Deutschland würde in diesem Fall die D-Mark wieder einführen oder - und das ist die wahrscheinlicherer Variante - eine kleinere Währungsunion mitbegründen. Der neue Währungsraum könnte aus den Euro-Staaten mit der höchsten Bonitätsbewertung AAA bestehen: Deutschland, Frankreich, Finnland, Österreich und den Niederlanden. Die neue Währung hätte das Vertrauen der Märkte. Das brächte Deutschland Vor- und Nachteile: Die Zinsen wären möglicherweise niedriger als heute. Die Währung würde aber vermutlich gegenüber dem Dollar und anderen großen Währungen aufwerten, und das würde deutsche Güter im Ausland teurer machen. Für die exportabhängige Industrie wäre dies Gift.

Die Staaten in Südeuropa mit ihren eigenen Währungen würden hingegen zurückfallen in die Zeit vor der Einführung des Euro: Hohe Zinsen und hohe Inflation wären an der Tagesordnung, und die Länder würden sich einen Abwertungswettlauf liefern.