Nachfolger von Jean-Claude Trichet nach Ringen der Länder bestimmt. Der Römer tritt sein Amt in schweren Zeiten zum 1. November an.

Brüssel. Der Italiener Mario Draghi rückt als erster Südländer an die Spitze der Europäischen Zentralbank auf. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy gab den Beschluss am Freitag auf dem EU-Gipfel in Brüssel bekannt. Ein Streit zwischen Frankreich und Italien um die prestigeträchtigen Posten im EZB-Direktorium drohte die Ernennung in letzter Minute zu blockieren.

Ein Eklat wurde jedoch abgewendet, nachdem das jetzige italienische Direktoriumsmitglied Lorenzo Bini Smaghi seinen Rückzug aus der EZB-Spitze ankündigte. Wegen der Schuldenkrise könne man keine neue Unsicherheit gebrauchen, hieß es in EU-Kreisen. Druck sei jedoch nicht ausgeübt worden und auch die Unabhängigkeit der EZB bleibe gewahrt, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Merkel erfreut

Draghi löst den Franzosen Jean-Claude Trichet zum 1. November an der Spitze der Zentralbank ab. Die Bundeskanzlerin äußerte sich zugleich erfreut, dass Draghi den Posten erhalten wird. „Ich glaube, dass damit ein sehr positives Signal für die Unabhängigkeit und Stabilitätsorientierung der EZB gesetzt wurde.“ Der 63-jährige Römer gilt im EZB-Rat als Zentrist: Er ist weder dem Lager der strikt an Geldwertstabilität orientierten „Falken“ zuzuordnen, noch den eher für eine lockere Zinspolitik eintretenden „Tauben“.

Deutschland hatte lange Zeit im Rennen um die Nachfolge Trichets die Nase vorn, verlor mit dem Rückzug Axel Webers vom Amt des Bundesbankpräsidenten im April aber seinen Kandidaten. Draghi ist Präsident der Banca d'Italia und gilt als ausgewiesener Fachmann für Geld- und Währungspolitik. Ein Postengeschacher um Ämter im EZB-Direktorium hatte seine Kür in Brüssel zuletzt verzögert: Italien hätte mit dem Einzug Draghis zwei der sechs Stellen besetzt, da die Amtszeit Lorenzo Bini Smaghis erst in zwei Jahren endet. Präsident Nicolas Sarkozy und Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatten ausgemacht, dass Italien für einen Vertreter Frankreichs Platz machen würde.

Bini Smaghi hatte sich zunächst geweigert, solange er keinen alternativen Posten in Aussicht hatte. In einem Gespräch mit Van Rompuy erklärte er sich aber zum Rückzug innerhalb des geforderten Zeitrahmens bereit. „Damit war der Weg quasi frei für Draghi“, bestätigte Merkel.

Frankreich besteht wie alle großen Länder darauf, in dem Spitzengremium dauerhaft vertreten zu sein. Erste Namen für die Nachfolge Bini Smaghis machen in Paris bereits die Runde: gehandelt wird die Nummer Zwei im Finanzministerium, Benoit Coeure und die französische IWF-Direktorin Ambroise Fayolle.

Nationale Interessen sollen bei der politisch unabhängigen Zentralbank eigentlich keine Rolle spielen. Doch nach einem ungeschriebenen Gesetz haben Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien einen Anspruch auf dauerhafte Vertretung an der EZB-Spitze. Auf den übrigen beiden Posten dürfen die Zentralbanker aus den kleineren Ländern rotieren. Über die Zinsen entscheiden alle 17 Euro-Staaten im EZB-Rat, dem die nationalen Notenbankpräsidenten neben den sechs Direktoriumsmitgliedern angehören. Dort hat Draghi derzeit als Notenbankchef ebenfalls Sitz und Stimme.

Der designierte EZB-Chef hatte sich bei einer Anhörung im Europäischen Parlament zuletzt kritische Fragen zu seiner Vergangenheit als Führungskraft der US-Investmentbank Goldman Sachs anhören müssen. Dem Geldhaus wird vorgeworfen, Griechenland beim Verschleiern des riesigen Haushaltsdefizits geholfen zu haben. Draghi beteuerte, mit diesen „Deals“ nichts zu tun gehabt zu haben. Das Parlament hatte seine Ernennung dennoch unterstützt.

SCHULDENKRISE WIRD AUCH DRAGHI ALS EZB-CHEF FORDERN

Die schwelende Krise um Griechenland und den übrigen Hochschulden-Staaten Portugal und Irland wird die EZB voraussichtlich auch noch zu Beginn der achtjährigen Amtszeit Draghis in Atem halten. Auch das mit einer hohen Staatsschuldenquote kämpfende Heimatland Draghis hat bereits einen Warnschuss von der Ratingagentur Moody's erhalten: Die Bonitätswächter haben dem Mittelmeerland mit der Herabstufung seiner Kreditwürdigkeit gedroht. Die trüben Aussichten und mittelfristig steigende Zinsen dürften den Abbau der Staatsschulden erschweren.

Berlusconi sagte am Rande des Brüsseler Gipfels, der Warnschuss der Rating-Agentur beunruhige ihn nicht. Er will die Nachfolge Draghis auf dem Chefsessel der italienischen Notenbank bereits nächste Woche klären. Bini Smaghi sei „ohne Zweifel“ für den Posten geeignet. Allerdings sind nach Berlusconis Worten auch der derzeitige Generaldirektor der Notenbank, Fabrizio Saccomanni, und der Generaldirektor im Finanzministerium, Vittorio Grilli, in der engeren Auswahl.