Handwerkskammer schätzt, Branchen wie Gebäudereiniger, Bäcker und Fleischer können 400 freie Lehrstellen in Hamburg nicht besetzen.
Hamburg. Es klingt wie der Traumjob für Abenteurer: In 100 Metern Höhe arbeiten, mit chemischen Substanzen hantieren, aggressive Schädlinge bekämpfen. Der Beruf des Gebäudereinigers beinhaltet viel mehr als nur Schrubber und Besen - was offenbar den wenigsten bekannt ist. Denn die Hamburger Reinigungsbetriebe haben zunehmend Probleme, Nachwuchs zu finden. "Bislang haben wir für unsere acht Lehrstellen überhaupt erst vier Bewerbungen bekommen", klagt Hans-Joachim L'Estrade, der die Auszubildenden beim Reinigungsunternehmen Tereg betreut. "Und das, obwohl wir schon seit Januar suchen."
So geht es in Hamburg nicht allein den Gebäudereinigern. Die Handwerkskammer schätzt, dass in diesem Jahr bis zu 400 Lehrstellen unbesetzt bleiben werden. "Das Hamburger Handwerk würde sicherlich 3000 neue Ausbildungsplätze schaffen, wenn mehr freie Lehrstellen besetzt werden könnten", sagt Jörg Ungerer, Leiter Bildungspolitik bei der Handwerkskammer. Eine so hohe Zahl bei den Neuanfängern erreichte das Handwerk zuletzt in den Neunzigerjahren - 2010 wurden nur 2561 Ausbildungsverträge geschlossen. Für dieses Jahr geht Ungerer zwar von einem leichten Plus aus. Aber der Nachwuchsbedarf sei deutlich stärker gestiegen: "Die Lücke zwischen den angebotenen Lehrstellen und den passenden Bewerbern wird immer größer."
Bei der Handwerkskammer spricht man angesichts der Probleme von einem gespaltenen Ausbildungsmarkt. Einerseits gibt es viele junge Hamburger, die gern eine Lehre machen würden, aber keine Stelle bekommen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisiert, allein 2500 Jugendliche aus früheren Schulabgangsjahren seien immer noch auf der Suche. Hamburgs Unternehmen dürften nicht nur die "Traumbewerber" berücksichtigen, sagt Olaf Schwede, Sprecher der DGB-Jugend Hamburg.
Andererseits klagen die Betriebe über Probleme, überhaupt geeignete Bewerber für ihre Ausbildungsplätze zu finden. Laut der Handwerkskammer beginnen die Firmen ihre Suche deshalb immer früher und betreiben sie mit mehr Aufwand. "Selbst beliebte Firmen in Handwerken wie Friseur, Elektronik und Metall müssen sich anstrengen, um ihre ausgeschriebenen Stellen zu besetzen", sagt Ungerer. Andere Berufsbilder wie der Mechatroniker für Kältetechnik leiden darunter, dass sie in der Öffentlichkeit kaum bekannt sind. Besonders dramatisch ist die Lage in Branchen, die wie Bäcker, Fleischer und Gebäudereiniger viele Lehrlinge brauchen, aber unter einem negativen Image leiden. "Viele junge Menschen haben ein völlig falsches Bild vom Beruf des Bäckers, denken nur an harte körperliche Arbeit", sagt Peter Becker, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks, dem Abendblatt. Um dieses Bild zu ändern, plant der Verband nun eine Imagekampagne im Internet bei Facebook und Twitter.
Auch die Gebäudereiniger tun sich schwer bei der Nachwuchssuche. Pro Jahr stellen sie in Hamburg rund 60 neue Lehrlinge ein - Kapazitäten gäbe es laut Handwerkskammer aber sicherlich für 100. Die Suche sei schwierig, selbst bei Firmen wie Tereg, die als gemeinsame Tochter von Hochbahn und Vattenfall mit 1700 Mitarbeitern zu den 50 größten Arbeitgebern Hamburgs gehört. "So mancher Hauptschüler will vor allem wenig arbeiten und viel Geld verdienen - wie es im Fernsehen bei 'Big Brother' und 'Deutschland sucht den Superstar' vorgelebt wird", sagt Tereg-Ausbilder L'Estrade.
Dazu kommt, dass sich die demografische Entwicklung bereits bemerkbar macht: Es scheiden nicht nur vermehrt ältere Fachkräfte aus dem Arbeitsleben aus, sondern es rücken immer weniger junge nach. In Hamburg wird die Zahl der Erwerbsfähigen zwar bis 2020 noch leicht steigen, wie eine Regionalstudie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigt. In anderen Bundesländern sinkt sie aber bereits heute. "Wir spüren deutlich, dass weniger Schulabgänger aus dem Umland herkommen", sagt Ungerer. In früheren Jahren machten Jugendliche aus anderen Bundesländern ein Drittel der Hamburger Azubis aus.
So lässt sich das deutsche Handwerk das Personal der Zukunft einiges kosten. 50 Millionen Euro fließen über fünf Jahre in eine Imagekampagne. "Nur wenn das Handwerk sein Image bei Jugendlichen aufpoliert, werden die Betriebe beim bevorstehenden Kampf um junge Talente punkten können", rechtfertigt Josef Katzer, Präsident der Handwerkskammer Hamburg, die Ausgaben. Markige Sprüche sollen die Jugend zu einer Handwerkslehre animieren: "Mit 16 baust du noch Scheiße, mit 20 schon Hochsee-Yachten."