EU-Kreise: Die Hälfte der Investoren-Forderungen an Athen sind verloren
Hamburg. Auf das deutsche Finanzsystem kommt offenbar schon die nächste Belastungsprobe zu: In EU-Kreisen gehe man auf Arbeitsebene davon aus, dass 40 bis 50 Prozent der Schulden Griechenlands von derzeit 340 Milliarden Euro gestrichen werden müssten, um den Staat wieder auf eine solide Grundlage zu bringen, berichtet "Die Zeit". Die Ratingagentur Standard & Poor's hält sogar einen noch stärkeren Schuldenschnitt um 50 bis 70 Prozent für nötig, wie Moritz Kraemer, Leiter des Teams für die Bewertung europäischer Staaten, dem Blatt sagte.
In der Branche nimmt man an, dass neben Versicherungen und Pensionskassen vor allem griechische, französische und deutsche Banken betroffen wären. Allerdings ist unklar, wie viele griechische Staatsanleihen sie zuletzt noch hielten. "Das ist ein gut gehütetes Geheimnis", sagte Hans-Peter Burghof, Professor für Bankwirtschaft an der Universität Hohenheim.
"94 Prozent der Schulden Griechenlands liegen außerhalb des Landes", erklärte Martin Faust, Bankenexperte an der Frankfurt School of Finance and Management. "Solide" Geldhäuser hätten ihre Griechenland-Anleihen in der Bilanz zwar längst schon weitgehend abgeschrieben. Einzelne Institute mit größeren Beständen könnten aber dennoch in Schwierigkeiten geraten. "Gerade Landesbanken haben solche Papiere mit hoher Rendite in der Vergangenheit gerne gekauft", so Faust. Von der HSH Nordbank hieß es dazu auf Anfrage, die Länderrisiken seien "überschaubar".
Zwar lehnt die Regierung in Athen eine Umschuldung bisher ab, weil sie um die Stabilität der heimischen Banken fürchtet. Auch die EU hat einen Schuldenschnitt Griechenlands offiziell bislang ausgeschlossen. Doch am Finanzmarkt sieht man dies ganz anders. Die Kurse griechischer Staatsanleihen sind inzwischen so weit gefallen, dass Anleger eine Rendite von 16 Prozent erzielen können - falls Griechenland seine Schulden voll zurückzahlen kann. Daran glaubt der Markt offenbar nicht mehr. "Diese Erwartung spiegelt sich in der Rendite wider", sagte Thorsten Polleit, Chefvolkswirt für Deutschland bei Barclays Capital. Je höher das Risiko, desto höher die Rendite. "Der Markt hat schon eingepreist, dass es einen Schuldenschnitt geben wird", meint Faust. Auch die Griechen selbst glauben, dass es so kommt. Mehr als die Hälfte gaben in einer Umfrage kürzlich an, sie rechneten mit einem Staatsbankrott.
Offiziell sieht die EU erst frühestens für das Jahr 2013 eine sogenannte "Beteiligung privater Investoren" am Risiko von Staatspleiten vor. Doch das könnte zu spät sein: "Je früher, desto besser", findet Faust. "Wenn die Umschuldung erst in drei Jahren kommt, hat das Land bis dahin massiv unter der hohen Zinslast gelitten. Das birgt die Gefahr einer gewissen Radikalisierung in der Bevölkerung und in der Politik."
Unterdessen verlangt der FDP-Finanzexperte Frank Schäffler ein größeres Mitspracherecht des Bundestags bei der Vergabe der Milliardenhilfen aus dem Rettungsfonds. Während die Bundesregierung darüber bisher mit einfacher Mehrheit beschließen will, sagt Schäffler dem Abendblatt: "Ich fordere aber eine Zweidrittelmehrheit."