Energiekonzerne aus aller Welt sind ganz wild darauf, ihr Geld nach Russland zu tragen. Die erste Allianz ging aber zunächst daneben.

Eine kurze Zeit noch, dann dürfte ihm der Kragen platzen. Da war er ein Jahrzehnt lang gewohnt, dass sich auf dem russischen Rohstoffsektor die Dinge so gestalten, wie er will. Hat die Enteignung des einst größten Ölkonzerns Yukos durchgesetzt und den Großteil davon dem nunmehrigen Branchenprimus Rosneft einverleibt, in dem er selbst den Aufsichtsratsvorsitz führt. Und jetzt, da Rosneft und andere Rohstoffkonzerne sich endlich wieder ausländische Investoren ins Land holen wollen, um Großprojekte wie die Erschließung der arktischen Vorkommen in Angriff zu nehmen, sollte es nicht mehr glatt laufen?

Nein, bald sei Schluss mit lustig, deutete Igor Setschin, Vizepremier und Rosneft-Aufsichtsratspräsident, an. Rosneft erleide bereits „bestimmte Verluste“ aus der Tatsache, dass das Schiedsgericht in Stockholm den geplanten Aktientausch im Wert von 16 Milliarden Dollar mit British Petroleum weiterhin – vorerst bis 7. April – blockiere, sagte er. Kompensationen schloss er nicht aus. Nicht nur Rosneft ist sauer. Auch BP ist wütend, dass ihre jahrelangen russischen Partner innerhalb des Gemeinschaftsunternehmens TNK-BP das Gericht angerufen haben, weil laut Aktionärsvereinbarung sie es sind, mit denen BP Expansionsschritte in Russland abzustimmen habe.

Inzwischen wird hinter den Kulissen um Lösungen gefeilscht. BP will und muss sich mit TNK-BP einigen, steht Russlands viertgrößter Ölkonzern doch für ein Viertel der BP-Reserven. BP will aber auch mit Staatskonzern Rosneft gleichzeitig auf einer zweiten Hochzeit tanzen. Die geplante Vermählung sollte den Beginn einer neuen Welle von ausländischen Investitionen in den russischen Rohstoffsektor markieren.

Und den Auftakt zu einer Reihe neuer Allianzen geben, innerhalb derer russische Konzerne die Erschließung großer und teilweise schwer zugänglicher Lagerstätten starten wollen. Russland erhofft sich Know-how und Technologietransfer, aber auch die Teilung von Risiken. Im Gegenzug bietet es den Ausländern eine Möglichkeit, den Ressourcenbestand aufzustocken.

„Diese Deals zeigen, dass internationale Energiekonzerne derzeit wenig Alternativen zu Russland haben, wenn sie Zugang zu großen neuen Ressourcen erhalten wollen“, sagt Chris Weafer, Chefstratege der Investmentbank Uralsib. Nicht nur BP hat die Gunst der Stunde erkannt und ist den Lockrufen von Rosneft, der als Staatskonzern alle Privilegien genießt, gefolgt. Auch andere Unternehmen befinden sich in den Startlöchern oder sind bereits auf den Zug aufgesprungen.

Der französische Energiekonzern Total SA etwa. Vor drei Wochen hat Total die Absichtserklärung unterzeichnet, für vier Milliarden Dollar zwölf Prozent am Gazprom-Konkurrenten und rapide wachsenden Gasproduzenten Novatek zu übernehmen und die Anteile binnen dreier Jahre weiter aufzustocken. Novatek erwartet sich von den Franzosen Know-how bei der Verflüssigung von Gas (LNG). Total sollte seine Erfahrungen künftig beim LNG-Projekte auf der nordsibirischen Halbinsel Jamal einbringen. Dort wird Novatek eine LNG-Anlage errichten und laut Plan ab 2018 Europa und die USA beliefern.

Total wird 20 Prozent am Projekt erhalten. Als Investitionskosten hat Novatek 20 Milliarden Dollar veranschlagt. „Russische Konzerne verfügen zwar über gewisse technische Fähigkeiten bei der Arbeit mit alten Lagerstätten“, sagt Sergej Vakulenko, Managing Director von IHS Cambridge Energy Research Associates: „Aber in hochtechnologischen Sektoren wie der Förderung im Meer oder aus großen Tiefen stehen sie westlichen Unternehmen, ja sogar Konkurrenten aus den BRIC-Staaten, weit hinten nach.“

Konzerne orientieren sich Richtung Arktis

Dabei steht Russland vor der Jahrhundertherausforderung, die versiegenden Lagerstätten in Sibirien und an der Wolga durch neue zu ersetzen. Umso mehr beginnen die Konzerne, die Fühler sowohl nach Ostsibirien, als auch ins arktische Gebiet auszustrecken. Mit dem Reizwort Arktis hatte Russland in den vergangenen Jahren öfters Aufsehen erregt.

Vor allem dadurch, dass es das Gebiet, unter dem ein gutes Fünftel der weltweit noch nicht erkundeten Kohlenwasserstoffvorräte vermutet werden, jenseits der international geregelten 200-Meilen-Zone nicht zu gleichen Teilen mit den anderen Anrainerstaaten teilen will, sondern – zum eigenen Vorteil – entsprechend den Küstenlängen.

Rosneft startet die ersten Bohrversuche nicht im umstrittenen Gebiet, sondern innerhalb der russischen Zone in der südlichen Karasee nahe der Halbinsel Jamal. Auf dem dortigen Schelf hat Rosneft erst im Vorjahr drei Lizenzen für eine Fläche von 125.000 Quadratkilometer erhalten. Rosneft braucht die Expertise in der Tiefseeförderung von BP. Für die erste Phase der Erschließung sind 1,4 bis 2 Milliarden Dollar veranschlagt. Später will man weiter nach Norden wandern.

Die Offshore-Förderung bleibt ein Vorrecht staatlicher Konzerne. Konkret heißt das, dass seit Jahren nur Rosneft und Gazprom Lizenzen für die Vorkommen vor den Küsten erhalten und auch sonst bei der Lizenzvergabe privilegiert sind. Zuvor waren nicht nur ausländische Konzerne wie Shell, Mitsubishi oder BP aus Projekten gedrängt worden. Auch inländische Firmen wurden benachteiligt – und werden es bis heute. Der Unmut ist groß.

„Man hört mich, aber reagiert nicht“, sagte Wagit Alekperow, Chef der zweitgrößten und privaten Ölgesellschaft Lukoil, kürzlich in einem Interview: „Die Teilung der Unternehmen in staatliche und nichtstaatliche ist ungerecht.“ Lukoil war zum Verhängnis geworden, dass es dem jetzt neuen Trend zu binationalen Allianzen schon lange voraus war und den US-Konzern ConocoPhillips als Großaktionär ins Boot geholt hatte. Als dieser im Vorjahr seine 20 Prozent Anteile an Lukoil veräußerte, deutete Lukoil dies auch positiv. Dies werde laut Alekperow auch den Zugang Lukoils zu Förderstätten im Inland erleichtern.

Auch die ausländischen Konzerne hätten – so erklärt der Moskauer Ökonom Maxim Blant – eingesehen: Um in Russland erfolgreich Geschäfte zu machen, braucht es einen staatlichen Partner wie Rosneft oder – besser – einen Freund Putins als Partner wie im Fall Novatek. Hauptaktionär des expandierenden Gaskonzern Novatek ist Gennadi Timtschenko. Der Multimilliardär ist mit Putin aus dem Judoclub bekannt und Gesellschafter des weltweit drittgrößten Ölhandelsunternehmens Gunvor, das Schätzungen zufolge 15 Prozent des Öls und 40 Prozent der Ölprodukte exportiert.

Man kann es auch anders deuten, sagt die russische Wirtschaftspublizistin Julia Latynina. Über die Deals mit Rosneft und Novatek jongliere das russische Establishment Vermögenswerte hin und her und schaffe sich finanzielle Absicherungen für den Fall einer Revolution wie in Libyen.

Als Beispiel führt sie an, dass Gazprom Ende Dezember seine 9,4 Prozent Anteile an Novatek für 57,5 Milliarden Rubel (1,9 Milliarden Dollar) und damit mit einem unerklärlichen Diskont von 34 Prozent an die Gazprombank verkauft hat, die sie wiederum am nächsten Tag mit Gewinn an Timtschenko und seinen Partner weiterveräußert hat, bevor das etwas größere Paket Anfang März dann entsprechend teuer an Total ging.

Konkurrenz zu Nabucco-Pipeline

Ein ähnlicher staatstragender Aktientausch würde laut Latynina übrigens zwischen Gazprom und Shell vorbereitet. Gazprom hat im November einen solchen angedeutet. Auch in diesem Fall wird die Halbinsel Jamal, die Putin als „Russlands Gashauptstadt für die kommenden 30 Jahre“ bezeichnet hat, als möglicher Ort für ein gemeinsames Projekt genannt. Im Moment bereitet Gazprom dort alleine die Förderung auf dem Gasfeld Bovanenkovo vor, aus dem ab dem dritten Quartal 2012 Gas auch nach Europa fließen sollte. Gazproms drittgrößtes Gasfeld könnte Deutschlands Gasbedarf auf etwa 50 Jahre hin decken.

Braucht Gazprom auf Jamal vorerst nicht unbedingt einen Partner, so bei der geplanten Pipeline South Stream sehr wohl. Nicht nur die Investitionskosten von 21,5 Milliarden Dollar sind zu stemmen, damit ab 2015 Gas in Konkurrenz zum europäischen Pipelineprojekt Nabucco nach Europa fließen kann. Auch die Akzeptanz der in Europa umstrittenen Pipeline gilt es zu erhöhen. Als Teilerfolg kann Gazprom daher verbuchen, dass Wintershall vorige Woche unterschrieben hat, 15 Prozent an der Pipeline zu übernehmen. Nun wird noch der Einstieg der französischen EdF verhandelt.

Geht Wintershall in Russland weiter rein, so ging Konkurrent E.on Ruhrgas im Dezember raus. E.on verkaufte seine 3,5-Prozent-Beteiligung an Gazprom und erlöste dafür 3,4 Milliarden Euro. Gewiss, E.on bleibt in Russland aktiv, und zwar in der Stromerzeugung und – gemeinsam mit Wintershall – im Gasfeld Juschno-Russkoje, aus dem künftig die Ostseepipeline Nord-Stream gespeist werden soll. Obwohl Russland die Firmen ruft, läuft die Kooperation nicht immer glatt. Die Vorfälle zwischen BP und Rosneft verderben Investoren die Laune, meint Artjom Konchin, Analyst von Unicredit: „Russlands Image hat darunter gelitten.“

Dabei braucht Russland dringend Investoren, um die Wirtschaft nach dem großen Einbruch in der Krise wieder auf Touren zu bringen. Ohne Motor von außen droht das Wachstum im BRIC-Staat auf bescheidenen vier Prozent jährlich zu bleiben. Nicht zufällig hat daher Putin kürzlich die Regierung aufgerufen, alles zu tun, damit schon bald jährlich 60 bis 70 Milliarden Dollar an ausländischen Direktinvestitionen ins Land fließen. Im Vorjahr waren es laut staatlichem Statistikamt nur 13,8 Milliarden Dollar.

Das Investitionsklima ist „sehr schlecht“, sagt Präsident Dmitri Medwedjew. Und Putin streicht hervor, dass die Beschränkungen, die er selbst gegen den Zugang ausländischer Konzerne zu russischen Lagerstätten errichtet hat, in einem neuen Gesetz beseitigt würden. Fortan dürfen Ausländer bis zu 25 Prozent an einem russischen Rohstoffkonzern ohne Genehmigung übernehmen, bisher war dies auf zehn Prozent beschränkt.

Die Nachfrage von außen war immer schon höher. So hatte sich die indische Ölgesellschaft ONGC kürzlich um eines der attraktivsten russischen Ölfelder der Gegenwart („Trebs und Titov“) angestellt und war naturgemäß abgeblitzt. Als Sieger der Auktion ging der russische Konzern Bashneft hervor, der nun die Inder mit bis zu 25 Prozent ins Boot holen will, um die Investitionen von fünf bis sechs Milliarden Dollar zu stemmen.

Und zur Teilnahme an der Erschließung und Förderung der sibirischen Großlagerstätten Kowykta und Tschajanda, die insgesamt gut 3,2 Billionen Erdgas bergen, hat Russland soeben die Japaner eingeladen. Russland hofft, dass Japan nach der Atomkatastrophe ein Kunde für russisches Gas wird. Und hat den Japanern aus den verstrahlten Gebieten angeboten, sich in Ostsibirien anzusiedeln.

Quelle: Welt Online