VW-Chef Martin Winterkorn leitet Europas größten Pkw-Hersteller und bekommt das dickste Gehalt im Dax. Zufrieden ist er noch lange nicht.

Es riecht nach Benzin in der Halle, nach Gummi und dem Kunst-Nebel, der bei Shows über die Bühne wabert. Die Mischung dürfte nach dem Geschmack von Volkswagen-Chef Martin Winterkorn sein, es ist der Geruch neuer Autos, die auf großen Events vorfahren. Regelmäßig am Vorabend des Genfer Autosalons Ende Februar, der ersten wichtigen Branchenschau des Jahres in Europa, präsentiert der Volkswagen-Konzern seine neuesten Modelle; immer eine Nacht vor allen anderen Herstellern.

Hunderte Journalisten, Autoexperten und VIP-Gäste drängeln sich dann auf den Rängen. Als Porsche-Chef Matthias Müller in die Halle rauscht, dröhnt und raucht es. Müller steigt aus einem Panamera Hybrid mit 318 PS. Seine Präsentation ist kurz, er spricht von der sauberen Technik der Zukunft – was man als Automanager eben zurzeit so sagt. Dann steuert er auf seinen Vorstandsvorsitzenden am Rand der Bühne zu. Martin Winterkorn legt Müller den Arm auf die Schulter, dann gibt er dem 57-Jährigen einen sanften Klaps auf den Hinterkopf. Die beiden Automanager strahlen sich an wie zwei Schulbuben.

Die kleine Szene sagt viel über den Menschen Martin Winterkorn und darüber, wie er die VW AG führt. Winterkorn hat nichts von der professionellen Gewandtheit des Daimler-Chefs Dieter Zetsche, nichts von der nüchternen Sachlichkeit des BMW-Lenkers Norbert Reithofer. Schnörkellos wirkt er und längst nicht so unnahbar wie sein Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch.

Wer Martin Winterkorn nach der größten Leistung in seinem Leben fragt, bekommt eine erwartbare und eine überraschende Antwort: „Das ist zum einen, dass ich es mit dem Team gemeinsam geschafft habe, Volkswagen nach einer schwierigen Zeit ab 2007 wieder auf den richtigen Kurs zu bringen. Und zum anderen, dass es mir trotz aller Hierarchien gelungen ist, das zu bleiben, was ich von Anfang an war: ein einfacher Mensch“, sagt Winterkorn in einem Fernseh-Porträt, das n-tv an diesem Montag ausstrahlt.

Martin Winterkorn, der Chef von Europas größtem Autobauer und mit einer Jahresvergütung von zuletzt 9,3 Millionen Euro der bestbezahlte Vorstandsvorsitzende eines Dax-Konzerns, ist also ein einfacher Mensch. Wie geht das? „Indem ich meine Wurzeln nicht vergesse und außerdem nicht, wo ich herkomme: aus einfachen Verhältnissen“, sagt er.

Wer ein Gespräch mit Martin Winterkorn ausdehnen will, lenkt es auf technische Details, auf Spaltmaße, Designlinien oder Heckleuchten. Rücklichter – auch darum kümmert sich der Chef des 400.000-Mann-Konzerns. Wenn man ihm mit Technikthemen kommt, vergräbt er seine Hände noch tiefer in den Hosentaschen als sonst, dann macht er sich steif, legt den Kopf leicht zurück und legt los, doziert, schwärmt. Winterkorn steuert auf einen Tiguan zu, testet den Türgriff – Klappe auf, Klappe zu, immer wieder.

„Die Qualität der Fahrzeuge ist exzellent. Wenn Sie den Türschließkomfort betrachten, mit welcher Ruhe das geht.“ Es muss also richtig rumms machen, damit es eine gute Tür ist? Winterkorn wird ungeduldig. „Eine Autotür schließt dann richtig, wenn sie langsam zugeschlagen wird und auch dann gut zugeht. Dann stimmen die Karosserie und das Dichtungskonzept.“ Winterkorn kann den Ingenieur und Techniker nicht verleugnen. Eine seiner ersten Stationen nach dem Studium der Metallkunde und Metallphysik war die Qualitätssicherung bei Audi.

Winterkorn ist ein Autonarr

Winterkorn ist ein Car-Guy, ein Autonarr – und darin Konzernlenkern wie Reithofer oder Zetsche sehr ähnlich. „Ich mag ihn, den Martin Winterkorn. Wenn der einen schönen Porsche sieht, einen neuen 911er zum Beispiel, rennt er hin. Dann leuchten seine Augen vor Begeisterung heller als die Scheinwerfer eines Phaetons“, sagt Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück, der sich mit Winterkorn schon so manchen Schlagabtausch geliefert hat. Noch größer als Winterkorns Begeisterung für das Automobil ist offenbar die für Manager, die erfolgreich Autos entwickeln, bauen und verkaufen – so wie Porsche-Chef Müller.

Dann ist auch vor großem Publikum wie in Genf so etwas wie Herzlichkeit zu spüren. Ein Kumpeltyp ist der VW-Chef dennoch nicht. Als solcher hätte er es weder bis an die Spitze von VW gebracht – gerade unter Ferdinand Piech –, noch könnte er sich lange dort halten. „Martin Winterkorn ist das Beste, was VW passieren konnte“, sagt Jörg Bode (FDP), Wirtschaftsminister Niedersachsens und Mitglied des Aufsichtsrates bei Volkswagen. „Es ist angenehm, mit ihm zu tun zu haben, er ist weder trocken noch langweilig. Es gab allerdings auch Gelegenheiten, bei denen ich anderer Meinung war als Martin Winterkorn. Seither weiß ich, dass es besser ist, ihn an meiner Seite als gegen mich zu haben“, sagt Bode. „Denn meistens hat er am Ende Recht.“

Winterkorn weiß genau, was er will – auch und gerade bei seinen Managern. „Eine zweite Chance kriegt jeder, eine dritte selten“, sagt er. Der Umgangston im VW-Management ist bisweilen rau. Seine Art Kritik zu üben? „Das ist beim ersten Mal sicher freundlich, beim zweiten Mal etwas heftiger.“ Widerspruch? „Lasse ich zu.“ Geduld? „Kann ich verlieren.“ Laut werden? „Möglich, ich bin ziemlich impulsiv.“ Der Porsche-Betriebsratschef kennt das, wenn Winterkorn in Rage gerät. „Der Wiko ist nicht immer so lieb und nett, wie man meint. Dem gehen schon mal die Gäule durch“, sagt Uwe Hück.

„Aber am Ende bringt er alle wieder an einen Tisch. Da packt er einen auch auf seine durchaus charmante Art am Arm und es geht weiter, bis es ein Ergebnis gibt.“ Dass einer im Konzern den Kurs vorgibt, und wenn es sein muss, mit deutlichen Worten, ist in Firmen ja nicht ungewöhnlich, für Winterkorn aber ist es die Basis für Erfolg: „Wir reden hier über einen Konzern, über viel Geld und viele Menschen, deren Arbeitsplätze an der Qualität der Produkte hängen. Da kann man keine Kompromisse machen, die den Erfolg des Unternehmens gefährden.“

Winterkorn macht keine Kompromisse, wenigstens nicht so, dass es Außenstehende bemerken würden. Seit er 2007 das Steuer übernommen hat, ist die Halbwertszeit von Spitzenmanagern bei VW auf ein Allzeittief gefallen. „Wir sehen keinen Anlass, bei Porsche reinzuregieren. So lange das Geschäft gut läuft“, sagt Winterkorn. Das klingt beruhigend, ist aber eine handfeste Drohung, denn was „gut laufen“ heißt, wird in Wolfsburg festgelegt. Von dort aus wird der Konzern, der in mehr als 150 Ländern mit zwölf Automarken aktiv ist und weltweit in 62 Fabriken produziert, zentral gesteuert.

Eine Strategieabteilung samt Vorstand gibt es nicht. Winterkorn ist sein eigener Chefstratege. Die Markenchefs können mitreden, aber wie weit das geht, wird in Wolfsburg entschieden. Der Volkswagen-Chef treibt seine Belegschaft zu Höchstleistungen an, weil er sein Unternehmen zur weltweiten Nummer eins der Branche machen, er will aus Volkswagen das formen, was Jürgen Schrempp einst mit dem Daimler-Konzern nicht gelang: eine Welt AG. Winterkorn hört dieses Wort nicht gern, aber nichts anderes wäre VW, wenn seine Pläne aufgehen.

Bis 2018 sollen die Wolfsburger an General Motors (GM) vorbeiziehen und Marktführer Toyota entthronen. Zehn Millionen Autos will Winterkorn dann pro Jahr verkaufen, am liebsten will er diese Marke schon 2015 nehmen. Die attackierten Autoriesen zeigten sich allerdings zuletzt erstaunlich hartnäckig im Verteidigen ihrer führenden Stellung. GM hat sich erstarkt zurückgemeldet, Toyota hatte zumindest die endlose Pannenserie gut weggesteckt. Martin Winterkorn scheint die Gegenwehr nur anzuspornen: „Dass Toyota nicht freiwillig das Feld räumt, war voraussehbar.“

VW ist weiter auf Einkaufstour

So wie Winterkorn und Aufsichtsratschef Piëch – als immer noch bei weitem einflussreichster Mann im Konzern – VW ausgerichtet haben, hat er tatsächlich gute Chancen, schon bald an allen in einer der weltweit wichtigsten Industriebranchen vorbeizuziehen. Winterkorn versteht das schwierige Geschäft, mit zwölf Marken im Konzern zu jonglieren, mit Firmen, die Edellimousinen, Supersport- und schwere Lastwagen ebenso herstellen wie Premiumautomobile, Pkw für den Massenmarkt oder Minifahrzeuge.

Sein eigentlicher Coup ist allerdings, dass es ihm gelingt, aus diesem Vielmarken-Geflecht mächtig Vorteile zu ziehen – was zum Beispiel bei GM nie funktionierte. Die VW-Marken werden so gesteuert und verzahnt, dass sie sich aus konzernweiten Baukästen bedienen können. Auf gemeinsamen Grundlagen, sogenannten Architekturen, entstehen nicht selten Dutzende verschiedene Modelle unterschiedlicher Marken.

Durch seine schiere Größe und klug genutzte Vorteile hat Volkswagen eine Entwicklung ausgelöst, die zumindest alle europäischen Autohersteller immer stärker unter Druck setzt und zu jeder nur vorstellbaren Kooperation mit Konkurrenten zwingt. Und obwohl es VW als letzter nötig hätte, ist der Konzern weiter auf Einkaufstour. Geht es nach Aufsichtsratschef Piëch, kommen in absehbarer Zeit noch Alfa Romeo, der Motorradhersteller Ducati und womöglich Ferrari hinzu. An der Einverleibung des Lastwagenbauers MAN arbeiten die Wolfsburger gerade mit Hochdruck, die Übernahme der Mehrheit bei Suzuki steht auf der Tagesordnung.

All das wäre nicht möglich, wenn Martin Winterkorn nicht immer wieder ein unglaublicher Kraftakt gelänge: die sensible Machtbalance im VW-Konzern zu beherrschen. Das Management hat er im Griff, aber da sind noch die Arbeitnehmervertreter, die Aktionäre und die Familien Porsche und Piëch, die den Sportwagenbauer kontrollieren und damit auch bei VW entscheidenden Einfluss haben.

Zur Politik hat Winterkorn einen guten Draht, vor allem zu den jeweiligen Landesregierungen in Hannover. Niedersachsen hält traditionell gut 20 Prozent an Volkswagen, ist damit zweitgrößter Aktionär. Bislang ist es Wolfsburg gelungen, auch bei Änderung der politischen Farbenlehre in Hannover einem guten Draht zu behalten. Ohne das Land Niedersachsen hätte Porsche womöglich eine Chance gehabt, VW zu schlucken.

Gut ist auch das Verhältnis zum Konzernbetriebsrat. Autobauer im Süden witzeln, bei VW müsse man bei Standortentscheidungen oder dem Bau eigener Batteriefabriken am besten bei Betriebsratschef Bernd Osterloh nachfragen. Wie eng das Verhältnis des Betriebsrates zum Vorstand war, zeigte die Korruptionsaffäre, die ab Mitte 2005 nach und nach aufgedeckt wurde.

Das System des plumpen Schmierens von Arbeitnehmervertretern gibt es nicht mehr, aber noch heute geht bei Volkswagen gegen den Betriebsrat nichts. Entscheidend ist aber letztlich Winterkorns gutes Verhältnis zum mächtigsten Mann bei VW: Ferdinand Piëch. Fast drei Jahrzehnte hat dieser Winterkorn gefördert und wenn nichts Ungewöhnliches geschieht, wird Winterkorn einst Piëch auf dem Posten des Aufsichtsratschefs beerben, jenen Mann, den er nach eigenen Angaben am meisten schätzt. Neben Papst Benedikt XVI.

Das Winterkorn-Porträt des Springer-Managers und Journalisten Christoph Keese strahlt der Fernsehsender n-tv heute um 18.30 Uhr aus.

Quelle: Welt Online