Studentenverbindungen bieten preiswerte Zimmer und gute Kontakte für den Berufseinstieg. Dafür muss man aber auf Lebenszeit verpflichten.

Wer zu den Wohnräumen im ersten Stock will, muss an den Verbindungsbrüdern vorbei. Zu Dutzenden hängen ihre Fotos an der Wand im mächtigen Treppenhaus. Stolze Gesichter. Männer in Galauniform, im sogenannten Vollwichs, sind darauf zu sehen. Sie alle gehören der katholischen Studentenverbindung Suevia zu Berlin an. Je höher man die Stufen hinaufsteigt, desto weiter geht es zurück in der Ahnengalerie.

Auf die Tradition hält man hier viel. Die Verbindung besteht seit 1875. Wer Mitglied werden will, muss katholisch, männlich und studierend sein. Und er muss der deutschen Kultur nahe stehen. Die Suevia vertritt ein konservativ-katholisches Weltbild, allerdings nicht-schlagend. Gefochten wird hier nicht. Vernarbte Gesichter sucht man vergeblich.

Es sind vor allem zwei Gründe, die eine Verbindung attraktiv machen. Zum einen die Unterkunft. „Wir bieten den Studenten günstige Zimmer“, sagt Ludwig Börger, ein drahtiger blonder Mann mit trockenen Zügen und prüfendem Blick. Börger studiert und ist in der Verbindung zuständig für die Organisation von Veranstaltungen. Die gibt es reichlich. Rhetorik-Kursen, historischen Vorträgen und politischen Diskussionen, stehen Partys, Grillabende und Damengesellschaften gegenüber.

Doch die wenigsten jungen Studenten schließen sich einer Korporation nur an, weil sie billig wohnen wollen und gerne feiern: Wer hier aufgenommen wird, kann sich eines dauerhaften, in der Gesellschaft weit verzweigten Netzwerkes sicher sein. Es besteht aus Juristen, Historikern, Medizinern und anderen Akademikern. Dabei gilt das Lebensbund-Prinzip, das heißt, wer einmal drin ist, der ist ein Leben lang der Verbindung verpflichtet. Komme, was wolle. Die Verbindung steht über allem. „Per tenebras, ad lucem“, so lautet der lateinische Wahlspruch der Suevia, „durch die Dunkelheit zum Licht“.

Das gilt auch für den Berufseinstieg. Als Korporierter finde man schneller den Weg in den Arbeitsmarkt, heißt es. Die zahlreichen Kontakte innerhalb des Zirkels der Bundesbrüder, also der Verbindungsstudenten, sollen es möglich machen. Auch die Aktiven der Suevia kommen auf diese Weise an Praktika in Großunternehmen oder bei Bundestagsabgeordneten. Namen nennen, wollen sie lieber nicht. „Selbstverständlich versuchen auch wir unsere Netzwerke zu nutzen. Das findet man in jedem Sportverein. Man nutzt den Informationsvorsprung“, sagt Börger dazu nur.

Der Heidelberger Soziologe Stephan Peters kennt die Funktionsmechanismen der Verbindungen. Er sagt: „Der berufliche Aufstieg ist auch in Verbindungen kein Selbstläufer. Aber man kann sicher sein, dass man dort nur Stellen angeboten bekommt, auf denen man gestalten kann. Das sind oft Posten, die großen Einfluss auf die Gesellschaft haben“. Das kann bei international operierenden Konzernen sein, aber auch in der Politik oder der Justiz. Beispiele gibt es genug. Henning Schulte-Noelle von der Allianz AG, EU-Kommissar Günther Oettinger oder der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchof, sie alle haben Verbindungshintergrund.

Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. Neuankömmlinge müssen erst einmal zwei Semester Fuchsenausbildung absolvieren, die mit einer hausinternen Prüfung abschließt. Erst dann ist man vollwertiges Mitglied und kann von den Älteren profitieren. „Verbindung alleine reicht aber nicht“, sagt Ludwig Börger, „wie für alle anderen zählt auch für uns später im Beruf Leistungsbereitschaft und Charakterstärke. Wer hier nichts leistet, kann auch nicht damit rechnen, weiterempfohlen zu werden.“

Auf Disziplin und Fleiß legt man größten Wert. Der Umfang der Fuchsenprüfung spricht Bände. Historisches Allgemeinwissen ist da nur die Grundlage. Auch muss der Prüfling die Organisationsstrukturen der verschiedenen Bünde kennen, von einzelnen Ämtern bis zu den Dachverbänden, er wird auf den Fachjargon abgefragt und auf Kenntnis des studentischen Liedguts getestet. Wer dann „Wie kam gestern ich ins Nest?/ Bin scheint's wieder voll gewest!“ nicht als den Refrain von August Schusters Trinkgesang „Wütend wälzt sich einst im Bette“ identifiziert, hat schlechte Karten.

Gerade diese verstaubt anmutenden Pflichtübungen sind es, die aus Sicht von Stephan Peters an die Korporation binden. Ob Fuchsenprüfung, Kneipenabende oder der bei schlagenden Verbindungen übliche Fechtunterricht, das Duellieren mit scharfen Waffen: immer gehe es darum, den Zusammenhalt unter den Studenten zu fördern und den Nachwuchs mit dem Geist des Bundes zu imprägnieren. „Man wird dort mit hochgelobten Ritualen belegt, von denen man sich später nur schwer wieder lösen kann“, sagt Peters. „Die meisten Verbindungen integrieren in ein konservatives Weltbild. Das besteht aus Befehl und Gehorsam, der Überhöhung von Männlichkeit durch Trink- und Kampfrituale und einem fest umrissenen Wertekanon.“

Etwas anders sieht das bei den Frauen aus. Wer etwa die Studentinnen der Berliner Damenverbindung Lysistrata besucht, muss aus der Villengegend heraus. Die Damen beziehen eine Wohnung in einem gesichtslosen Mietshaus unweit des Lustviertels am Bülowplatz. Doch auch sie tragen die gleichen Erkennungszeichen, schmücken sich mit den gleichen Symbolen wie die Männerkorporationen. Selbst die Rangfolgen sind entlehnt. Nur dass der Senior hier Seniora heißt und das weibliche Gegenstück zum Alten Herrn als Hohe Dame firmiert. An der Wand hängt die Fahne und um die Schulter flattern die Bänder.

Man trifft hier aber auch auf eine erstaunliche Lockerheit. So scheinen die Damen dieses traditionelle Inventar nicht ganz so ernst zu nehmen. Wie beim Bierzipfel, eine Art Anhänger, und eines der traditionellen Verbindungsaccessoires. Findet man in der femininen Variante darauf den Spruch „Eine supergeile Zeit“, zieren den Herrenzipfel schon mal altertümliche Losungen wie „Das Leben ist nicht zum Grollen da“.

Bei aller Angepasstheit, im Ton sind weibliche Verbindungen unbelasteter von den altehrwürdigen Traditionen. „Wir haben bei uns das Bedürfnis, etwas Gemeinnütziges zu tun“, sagt Sarah Leins von der Lysistrata und erzählt von regelmäßigen Charityaktionen zugunsten von Kinderprojekten.

Der persönliche Nutzen kommt trotzdem nicht zu kurz. Damenverbindungen existieren in Deutschland erst wieder seit wenigen Jahren. Somit ist der Stammbaum des jeweiligen Bundes meist nur ein Hänfling und an der finanziellen Ausstattung hapert es. Zudem sind die Kontakte wenig ausgeprägt. Durchaus neidisch schielen die Damen daher auf die Männer, wenn sie sagen: „Da möchten wir auch hinkommen, dass wir diese effektiven Netzwerke aufbauen“.

Verbindungen werfen gerne für sich die signifikant höheren Examens- und Promotionsquoten ihrer Mitglieder in die Waagschale. Überprüfbar ist das kaum, denn der Verbindungshintergrund wird von der Alma Mater nicht dokumentiert. Sicher ist nur, dass Lernbereitschaft und Motivation hoch sind und die Kontakte sprudeln.

Wer sich allerdings von einer Verbindung automatisch den Aufstieg in die Beletage verspricht liegt falsch, wie der Karriereforscher Michael Hartmann von der TU Darmstadt, erläutert: „Die Bedeutung von Studentenverbindungen für die berufliche Karriere ist nur minimal. Was die Spitzenkarrieren betrifft, spielen sie keine Rolle, zumindest im Bereich der Wirtschaft.“

Der Berufsforscher verweist außerdem darauf, dass man die eigene Karriere, entgegen der landläufigen Meinung, gar nicht planen kann. Denn für das Gelingen von Karriere ist ein Faktor entscheidend: die soziale Herkunft. „Erst dadurch kommen sie in die wirklich wichtigen Netzwerke hinein“. Einen Trost hat er aber: „Ich kann jungen Akademikern nur den Rat geben: Studieren Sie ordentlich, dann gehören sie vielleicht zu denen, die es trotzdem schaffen.“

Quelle: Welt Online