Wegen Japan höchst aktuell: In “A New Beginning“ erforscht der Spieler die Welt nach dem Atom-GAU. Die Designer erhielten nun den Deutschen Computerspielpreis.

„Wir sind hier im Haus der Kunst, und das ist eine gute Wahl“, so begann Kulturstaatsminister Bernd Neumann seine Eröffnungsrede beim Deutschen Computerspielpreis, der 2011 zum dritten Mal vergeben wurde. In der vergangen Jahren sah man Neumann noch an, dass er sich nur schwer mit der neuen Kunstform anfreundet. Diesmal aber wirkte er schon wirklich entspannt. Dafür gab es zwei Gründe: Es gab keine Gewaltdebatten mehr und einige Gewinnerspiele waren hochaktuell und aufregend.

Computerspiele sollen Kultur werden, das will dieser Preis anerkennen. Es gibt ja auch immer wieder mal zaghafte Anzeichen dafür – so wurde diese Woche bekannt, dass das demnächst erscheinende Spiel „L.A. Noire“ als erstes Videospiel bei einem der großen Filmfestivals zugelassen wurde, in Tribeca nämlich. Weil man ähnliche Meldungen immer wieder mal hörte – unter anderem die, das längst Erwachsene bis 40 spielen – wurde vor drei Jahren der „Deutsche Computerspielpreis“ geschaffen.

Er hatte von Anfang an ein Problem, das es nur hier zu Lande gibt, nämlich die Gewaltdebatte. Besonders München tut sich immer wieder als Zentrale der etwas kulturkonservativen Games-Verächter hervor, erst kürzlich wollte das Land Bayern das eigentlich nicht extreme Spiel „Dead Space 2“ ganz verhindern. Weil aber Teile der Gameswirtschaft an der Isar sitzen, findet der Preis dort abwechselnd mit Berlin, also alle zwei Jahre, statt.

Die Wahl dieses Ortes war nie ganz einfach. Und so begann alles nun, zum zweiten Mal in München, mit einem Deja-Vu: Schon wieder hatte Horst Seehofer doch noch abgesagt. Damals vor zwei Jahren war sein Fernbleiben politisch zu verstehen – der Amoklauf von Winnenden war erst wenige Wochen her und Egoshooter sollen aus Sicht der Konservativen wie immer mit Schuld gewesen sein. Diesmal gab es keine derartige schwelende Debatte, so dass sein Fehlen maximal als Desinteresse gedeutet werden kann. (Wenn in Berlin verliehen wird, ist Wowereit durchaus zur Stelle und hält eine Rede.)

Grund für eine neue Debatte gab es aber schon deshalb nicht, weil die Organisatoren sich dies Jahr einen Kniff einfallen lassen haben, mit dem sie ihr offenbar für immer entgehen wollen: Sie legten den offiziellen deutschen Preis einfach mit dem kommerziellen „Lara“ zusammen, einem anderen Preis für Videospiele. Beide teilen sich jetzt einen Abend, haben ansonsten nichts miteinander zu tun, außer einer klaren Arbeitsteilung: Laras gehen an die großen internationalen Blockbusterspiele, in denen auch mal geschossen wird. Der zur Hälfte staatlich finanzierte „Deutsche Computerspielepreis“ geht nur an pädagogisch Wertvolles.

Damit ist der große Zankapfel der letzten Jahre vom Tisch. Zweimal wäre die Jury beinahe zerfallen, einmal, weil eine Mehrheit in ihr den Welterfolg „Grand Theft Auto IV“ nomieren wollte, aber aufgrund politischen Drucks nicht durfte. Das Spiel war ab 18 und zeigte hemmungslos das Leben eines Gangsters.

Grausige Zukunftsvision

Solchen Streit wird es jetzt also nicht mehr geben. Der große Gewinner des Abends, das deutsche Spiel „A New Beginning“, war dann auch gleich richtig vorbildlich: In dem Abenteuerspiel der Hamburger Firma Daedalic geht es um einen Forscher, der in eine schreckliche Zukunft nach der globalen Klimakatastrophe reisen muss. Im Jahr 2050 ist die Welt verwüstet, San Francisco unbewohnt, der Eiffelturm von Wasser umspült.

Man spielt einen Ingenieur, der Energie aus einer Alge ziehen und damit die Welt retten könnte, hätte ihn nicht ein mächtiger Atomkonzern vom Markt verdrängt. Grausige Pointe: Mitten im Spiel erfährt man, dass der Auslöser für die Katastrophe ein Atom-Unfall war. Natürlich ist das Spiel lange vor Japans GAU programmiert worden. Heute wirkt die Arbeit der Umweltaktivisten und Game-Designern gefährlich aktuell.

„A New Beginning“ist ansonsten ein normales Point-and-Click-Adventure, mit seinen immer wieder eingestreuten filmartigen Szenen, in denen einzelne Comic-Panels auf dem Bildschirm erscheinen, wirkt es allerdings sehr modern. Auch seine Atmosphäre ist gelungen. Zurecht bekommt es zwei Preise, bestes Spiel und bestes Jugendspiel, die Entwickler erhalten 150.000 Euro.

Hits aus dem Jahr 2010 räumen bei Laras ab

Weitere Gewinner sind das Hüpfspiel The Kore Gang, die (wirklich sehr ambitionierte) Online-Version von „Die Siedler“, das Handyspiel „Galaxy on Fire“. Als bestes so genanntes Serious Game gewann „Energetika“, noch ein Titel über Energiepolitik. Aktueller hätte der Preis nicht sein können. Vielleicht ist Seehofer ja deshalb nicht gekommen: Er hätte sich zu dem für die Union derzeit peinlichen Thema Atomenergie äußern müssen.

Bei der Lara dann, die ab jetzt ein Preis für drei internationale Spiele ist (PC, Konsole und Mobil) gab es ein Wiedersehen mit großen Erfolgen des Vorjahres: Star Craft II, Assassin’s Creed Brotherhood und World of Goo in der iPad-Version. Diese Spiele, obwohl weltweit Millionenerfolge, verblassten dann sogar ein wenig nach soviel hoch politischer Debatte, die bei den deutschen Gewinnerspielen mitschwang. Wer sagt’s denn: Videospiele können also doch Bezug nehmen auf das Zeitgeschehen. Endlich hatte man das Gefühl, dass sie wirklich ins Haus der Kunst gehören.

Quelle: Welt Online