IAB-Direktor Joachim Möller glaubt an einen deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig wird sich der Hartz-IV-Anteil erhöhen.

An diesem Donnerstag veröffentlicht die Bundesagentur für Arbeit (BA) die Arbeitslosenzahlen für März – viel spricht dafür, dass sie wieder gut ausfallen werden. Joachim Möller, der Chef des an der BA angegliederten Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) blickt optimistisch in die Zukunft. Vor der größten Herausforderung sieht er die Behörde selbst.

Welt Online: Herr Möller, können wir trotz der Ereignisse in Japan weiterhin mittelfristig mit einem robusten Arbeitsmarkt in Deutschland rechnen? Die ersten Unternehmen erwägen bereits die Anmeldung von Kurzarbeit.

Joachim Möller: Aus jetziger Sicht haben die Ereignisse keine allzu großen Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. Hier und da können zwar Bänder stillstehen, weil japanische Zulieferteile fehlen. Wenn aber für japanische Produktionsausfälle etwa deutsche Autohersteller einspringen müssten, entsteht ein gegenläufiger Effekt. Wie die Bilanz am Ende ausfällt, lässt sich noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Generell sieht es im Augenblick in Deutschland so aus, dass die Signale auf Grün stehen. Wir haben einen Sog am Arbeitsmarkt, der zu mehr Beschäftigung führt und die Arbeitslosigkeit senkt. In manchen Regionen im Süden Deutschlands haben wir schon fast Vollbeschäftigung.

Welt Online: Sie gehen im Jahresdurchschnitt von weniger als drei Millionen Arbeitslosen aus. Wann wird die Grenze unterschritten?

Möller: Ab September können wir spätestens damit rechnen.

Welt Online: Vollbeschäftigung für das ganze Land ist also möglich?

Möller: Ja, das halte ich für möglich, aber auf dem Weg dahin werden wir einige Probleme haben. Vollbeschäftigung ist kein Selbstläufer. Wir befürchten, dass wir auf der einen Seite einen starken Fachkräftemangel haben und auf der anderen Seite viele Personen schwer vermittelbar sind, weil die Qualifikationen nicht stimmen.

Welt Online: Der Abbau der Arbeitslosigkeit könnte also gebremst werden, weil wir unter den Arbeitslosen nicht mehr die richtigen Leute haben?

Möller: Das Negativszenario ist, dass wir eine hohe strukturelle Arbeitslosigkeit haben, weil Spezialisten und hoch qualifizierte Facharbeiter gesucht werden. Unter den Arbeitslosen haben wir dagegen viele gering Qualifizierte, die noch nicht einmal einen Schulabschluss haben. Da hat die Arbeitsmarktpolitik auch eine Bringschuld, dieses Szenario zu vermeiden.

Welt Online: Sie müssen qualifiziert werden.

Möller: Ja. Es könnte aber dennoch ein harter Kern von nicht beschäftigungsfähigen und zu gering qualifizierten Personen übrig bleiben, die nicht vermittelbar sind. Die Weiterbildung stößt irgendwann an ihre Grenzen, weil die Fähigkeit und Bereitschaft dazu auch von einer gewissen Grundbildung abhängt.

Welt Online: Derzeit sind rund zwei Drittel der Arbeitslosen Hartz-IV-Empfänger, davon die meisten langzeitarbeitslos. Gehören die alle zum harten Kern?

Möller: Unter den zwei Millionen sind rund ein Drittel Alleinerziehende, die häufig gut qualifiziert sind, aber trotzdem nicht arbeiten können wegen fehlender Kinderbetreuung. Unter den Hartz-IV-Empfängern sind aber auch ganz schwere Fälle, bei denen wir ein ganzheitliches Herangehen mit Therapie brauchen, wie etwa bei Drogensüchtigen. Das Spektrum ist sehr, sehr breit.

Welt Online: Jetzt werden also erst einmal diejenigen Arbeit finden, die erst seit kurzem arbeitslos sind?

Möller: Ja, bei den Arbeitslosengeld-Empfängern wird es in diesem Jahr einen Rückgang um rund 20 Prozent geben, der Abbau der Arbeitslosigkeit wird vor allem davon getragen. Der Anteil der Hartz-IV-Empfänger an allen Arbeitslosen wird sich dagegen mit Sicherheit erhöhen.

Welt Online: Auf wie viel Prozent?

Möller: Von 67 auf rund 70 Prozent. Dennoch: Auch da haben wir eine positive Tendenz, nicht zuletzt wegen der Hartz-Reformen und ihrem Grundsatz „Fordern und Fördern“.

Welt Online: Die hohe strukturelle Arbeitslosigkeit ist aber auch nach den Hartz-Reformen nicht verschwunden.

Möller: Auch die Langzeitarbeitslosen haben von der Reform profitiert. 2006 empfingen noch 1,85 Millionen Arbeitslose in Westdeutschland Leistungen aus der Grundsicherung. Jetzt sind es 1,44 Millionen. In Ostdeutschland sank die Zahl von 975.000 auf 727.000. Wir haben da eine Bewegung. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist jedoch immer noch zu hoch. Aber den stärksten Abbau der letzen Jahrzehnte haben wir nach den Hartz-Reformen gehabt. Wir müssen das Fördern noch spezifischer an den individuellen Bedürfnissen ansetzen, das erfordert aber Geld und hochqualifizierte Vermittler. Es ist immerhin gelungen, den harten Kern von Arbeitslosigkeit zumindest an den Rändern zum Schmelzen zu bringen.

Welt Online: Die Politik entzieht der Bundesagentur für Arbeit aber Geld. Die BA fürchtet, jahrelang Schulden anhäufen zu müssen.

Möller: Wir dürfen uns nicht vom Thema Arbeitsmarktpolitik verabschieden, auch wenn der finanzielle Druck sehr hoch ist. Die Stunde der Arbeitsmarktpolitik schlägt doch nicht dann, wenn es gerade keine Jobs gibt, sondern genau jetzt, wenn hoffentlich viele Jobs geschaffen werden, die besetzt werden müssen.

Welt Online: Sie appellieren also an die Politik, der BA mehr Geld zukommen zu lassen?

Möller: Die Arbeitsmarktpolitik hat eine wichtige Funktion in der Gesellschaft, für sie muss Geld da sein. Wir haben ihre Wirksamkeit untersucht und sie wurde reformiert, inzwischen sehen wir fast überall positive Effekte.

Welt Online: Aber selbst wenn wir alle Arbeitslosen optimal qualifizieren könnten, reicht es doch nicht?

Möller: Wegen des demografischen Wandels wird das Erwerbspotenzial deutlich abnehmen. Wir müssen nicht nur die Reserven im Inland mobilisieren, sondern auch im Ausland. Zum 1. Mai gibt es mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit neue Chancen aus den osteuropäischen Ländern. Wir rechnen mit 100.000 bis 140.000 Personen pro Jahr. Das werden eher die Jüngeren, Qualifizierten sein.

Welt Online: Wann können wir die Vollbeschäftigung in ganz Deutschland erreichen?

Möller: Wenn dieser Sog, diese Kaminwirkung am Arbeitsmarkt anhält, dann wird sich das vom Süden her allmählich auf die Republik ausbreiten.

Welt Online: In diesem Jahrzehnt?

Möller: Wir können das in einem Zeitraum von zehn Jahren erreichen.

Welt Online: Die Gewerkschaften klagen über die Ausweitung der Zeitarbeit, sehen eine „Zweiklassengesellschaft“.

Möller: Es sind eine Menge Zeitarbeitsjobs entstanden in den vergangenen Jahren, das ist wahr. Darüber kann man sich auch freuen, die Zeitarbeit ist Jobmotor. Aber diese Arbeitsplätze sind leider meist instabil. Nach 90 Tagen sind mehr als die Hälfte der Arbeitsverhältnisse beendet. Der Brückeneffekt in reguläre Beschäftigung ist relativ gering.

Welt Online: Gerade wurden Mindestlöhne in der Zeitarbeit für allgemeinverbindlich erklärt – ändert das etwas?

Möller: Ja, das war auf jeden Fall ein wichtiger Schritt. Ansonsten hätten wir ab Mai ein massives Problem mit Lohndumping. Manche Probleme sind damit aber noch nicht gelöst. Daher schlagen wir beispielsweise „Equal Pay“ in Stufen vor, also die gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit nach und nach. Zu hart darf die Zeitarbeit nicht reguliert werden, sonst gräbt man ihr das Wasser ab.

Welt Online: Wenn die Arbeitskräfte knapp werden, verbessern sich nicht automatisch Gehälter und Bedingungen?

Möller: Nur für qualifizierte Fachkräfte, aber nicht für die gering Qualifizierten. Unter denen wird es keine Knappheit geben.

Welt Online: Also nimmt die Spaltung am Arbeitsmarkt tatsächlich zu?

Möller: Die Auseinanderentwicklung des Arbeitsmarktes ist eine Gefahr. Dass sich der Trend verschärft, gilt es zu ändern. Noch sehen wir eine erstaunliche Stabilität insgesamt: Im Schnitt arbeiten die Mitarbeiter zehn Jahre im selben Unternehmen. Aber bei den unter 30-Jährigen ist die durchschnittliche Betriebszugehörigkeitsdauer deutlich gesunken.

Welt Online: Viele würden sagen: Ist doch nicht schlimm, Hauptsache mehr Menschen haben einen Job.

Möller: Mehr Unsicherheit und soziale Ungleichheit kann unerfreuliche Folgewirkungen haben, bis hin zu höherer Kriminalität. Die Gefahr ist doch, dass der soziale Kitt zerbröselt.

Quelle: Welt Online