Kurzfristig können nur fossile Brennstoffe die Kernkraft ersetzen – Erzeuger von Kohle, Öl und Gas legen ordentlich zu. Dabei liegt Erdgas vorne.

Bei uns kommt der Strom nicht aus dem Kernkraftwerk, sondern aus der Steckdose. Dieser Spottvers aus den Achtzigern könnte in Deutschland bald unerwartete Aktualität erhalten. Nachdem die Bundesregierung in Reaktion auf Fukushima eilends auf den Anti-Atomkurs der Opposition umgeschwenkt ist, scheint in Europas größter Volkswirtschaft das Ende der Stromerzeugung aus Kernkraft absehbar.

Die Lichter werden in Deutschland vermutlich nicht ausgehen, doch kurzfristig wird auch nicht sämtliche Elektrizität aus Alternativen Energie hergestellt werden können. Merkels Wende in der Energiepolitik kennt unerwartete Gewinner: Nicht zuletzt der Kreml wird sich über die grüne Welle in Deutschland freuen. Denn Russland wird seine Rolle als wichtigster Energielieferant Europas durch die Abkehr von der Kernkraft vermutlich ausbauen können.

Aktuell stammen rund 17 Prozenten der hiesigen Stroms aus Wind, Wasser, Solar, Biomasse und Erdwärme. Die 17 deutschen Kernkraftwerke zeichneten vor dem Moratorium für rund 23 Prozent der Elektrizität verantwortlich. Soll dieses knappe Viertel der hiesigen Stromproduktion ersetzt werden, müssen andere Energieformen dafür in den nächsten Jahren stark gestärkt werden. So groß die Chancen für Windturbinenhersteller und Solarunternehmen sind, nicht mal die optimistischsten Verfechter der Erneuerbaren rechnen damit, dass Wind, Sonne und Wasser das allein schaffen.

„Bis 2050 sollen 80 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren Energiequellen stammen. Das ist das offizielle Ziel. Ich denke aber, das es deutlich schneller gehen wird“, sagt Thiemo Lang, Manager des SAM Smart Energie. Gleichwohl sei die Energiewende keine Frage von Monaten oder Jahren, sondern eher von Jahrzehnten. „Eine Substitution von Atomkraft durch alternative Energien ist nur in sehr eingeschränktem Ausmaß möglich“, sagt Hannes Loacker, Aktienanalyst bei Raiffeisen Capital Management. Barbara Lambrecht, Energieanalystin bei der Commerzbank, macht die Dimensionen deutlich: „Allein durch die Entscheidung, die alten Reaktoren vorübergehend vom Netz zu nehmen, fehlt in Deutschland eine Kapazität von 9,7 Gigawatt.“

Bei diesen Volumina gehe es nicht ohne den Einsatz fossiler Brennstoffe ab. Der Nachteil des Schwenks: Die Erfüllung der Klimaziele wird deutlich schwieriger. Verglichen mit der Kernkraft ist der CO*-Ausstoß der Stromerzeugung aus heimischer Braunkohle 55-mal so hoch, jener der Steinkohle 46-mal so hoch und jener von Erdgas immerhin noch 33-mal so hoch. Da Erdgas von den drei fossilen Brennstoffen noch der klimafreundlichste ist, läuft in Deutschland wohl viel darauf hinaus, mehr Elektrizität aus diesem Rohstoff zu gewinnen – zumal viele Versorger ohnehin bereits reichlich Erfahrung mit Gasturbinen gesammelt haben. „In absehbarer Zeit dürfte vor allem Erdgas die Lücke füllen, die die abgeschalteten Kernkraftwerke hinterlassen“, sagt Energiefonds-Manager Lang.

Der grüne Wahlsieg in Baden-Württemberg dürfte daher nicht zuletzt die Herren im Kreml gefreut haben. Rund ein Drittel des hierzulande verbrauchten Erdgases stammt aus Russland, und die Chancen stehen gut, dass bei einer verstärkten Nachfrage nach Erdgas die russischen Produzenten einen Großteil des Mehrgeschäfts auf sich vereinigen. Die Aktie von Gazprom, des weltgrößten Erdgasproduzenten, hat seit der Reaktorkatastrophe bereits acht Prozent zugelegt. Welch enorme Bedeutung Erdgas und seine verflüssigte Form LNG in der Nach-Fukushima-Ära haben, zeigen die Schätzungen der Credit Suisse: Den Schweizern zufolge wird Flüssiggas in Japan die Hälfte der durch das Beben, den Tsunami und den GAU ausgefallenen Kapazitäten ersetzen müssen.

Doch nicht nur Erdgas, auch andere fossile Energieträger werden eine verstärkte Nachfrage sehen: „So asiatische Länder ihre Pläne zum Ausbau der Kernkraft in Frage stellen, werden sie wegen der Kostenvorteile eher auf Kohle zurückkommen als auf Erdgas“, sagt Commerzbank-Stratege Carsten Fritsch. Das würde einen Trend verstärken, der bereits ohnehin stark ausgeprägt ist: Ebenso wie im 19. Jahrhundert in Europa ist Kohle heute in der Boomregion Fernost der Grundstoff der Industrialisierung. Auf diese Weise gewinnen amerikanische Kohleproduzenten wie Alpha Natural Resources, Peabody oder Walter Energy weiter an Attraktivität.

Sogar der Ölpreis könnte durch den Japan-GAU mittel- und langfristig gestützt werden. Die Credit Suisse schätzt, dass Öl für 30 Prozent der Ausfälle in Japan aufkommen wird. Auch Raiffeisen-Mann Loacker ist zuversichtlich für den Preis des schwarzen Golds: „Der verstärkte Fokus auf nachhaltige Energiequellen wird nicht zu Lasten der Nachfrage nach Rohöl erfolgen.“

Viele Energieaktien haben sich für Anleger ohnehin als Goldgrube erwiesen: Die amerikanische Apache Corp. hat ihren Börsenwert in den vergangenen zehn Jahren fast vervierfacht, die norwegische Statoil brachte Anlegern einen Gesamtertrag von 230 Prozent. Allerdings erinnert das Schicksal von BP daran, dass auch die Ölförderung nicht ohne Risiken ist: Nach der Explosion der Bohrplattform Deepwater Horizon brach der Kurs im Frühjahr und Sommer 2010 vorübergehend um mehr als die Hälfte ein.

Nicht vergessen sollten Anleger, die auf die Energiewende setzten, die Hersteller von Gasturbinen. Denn er Ausstieg aus der Atomkraft bedeutet jede Menge Investitionen in neue Kraftwerke. Zu den Profiteuren zählen Technologiekonzerne wie Siemens, GE oder Alstom.

Quelle: Welt Online