Möbel, Matratzen, Computer – überall lauert Reklame mit durchgestrichenen Preisen, die völlig aus der Luft gegriffen sind. Die Gerichte scheinen machtlos zu sein.

Jetzt reicht es. In all den Jahrzehnten als gewiefter Teppichhändler hatte Mohammed Ali Kazempur manches erlebt. Der neue Prospekt des Rivalen aber war einer zu viel. Um angeblich 75 Prozent reduziert bot der Konkurrent seine Orientteppiche zum Start der neuen Filiale feil. Bei jedem Teppich standen zwei Preise, einer davon dick durchgestrichen, mitunter Tausende Euro höher. Kazempur rief seinen Anwalt an.

Das war 2007. Was folgte, war ein vier Jahre langer Streit durch alle Instanzen, bis zum Bundesgerichtshof. Dort bekam der in Freiburg lebende Kazempur, vor über 40 Jahren aus dem Iran nach Deutschland gekommen, nun recht. Die obersten Richter stellten im Kern fest: Wer zur Eröffnung seiner Filiale mit Rabatten wirbt, muss sagen, ab wann die durchgestrichenen Preise gelten – und sie später auch verlangen. Im Werbeprospekt dürfen keine Fantasiepreise stehen.

Das Urteil steht in einer Reihe von Entscheidungen, mit denen deutsche Richter seit Jahren den Wildwuchs bei Rabatt-Aktionen bekämpfen wollen. Bisher ohne Erfolg. Jeden Tag angeln die Deutschen neue Prospekte aus dem Briefkasten: Einbauküchen um Tausende Euro billiger, zwei Matratzen jetzt zum Preis von einer, der Preis der Digitalkamera plötzlich in unglaubliche Tiefen gestürzt. Und wer ins Internet geht, sich bei den Tausenden kleinen Shops und Ebay-Verkäufern umsieht, kann sich vor durchgestrichenen Preisen und Rabatten kaum retten. Ob die Preissenkungen irgendetwas mit der Realität zu tun haben? Wer weiß das schon.

Oft sind es nur Mondpreise

„Da wird dem Kunden oft Sand in die Augen gestreut“, sagt Günter Hörmann, Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Hamburg, die Sonderangebote und Rabatte seit Jahren im Blick hat. „Es werden manchmal einfach Preise verlangt, die man sich ausgedacht hat, um sie dann angeblich zu senken.“ Mondpreise nennt man solche Fantasiepreise auch, die niemals bezahlt werden, die schlicht dazu da sind, einen dicken Rabatt vorzugaukeln.

Der Bundesgerichtshof festigte mit seiner jüngsten Entscheidung eine Rechtslage, die auch bisher schon recht eindeutig ist. Im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb sind klare Regeln definiert: Der durchgestrichene Preis muss über längere Zeit hinweg ernsthaft verlangt worden sein. Und es muss klargemacht werden, worum es sich beim durchgestrichenen Preis handelt – ob es also etwa der frühere Preis oder eine Empfehlung des Herstellers ist. In den unteren Instanzen wimmelt es von Richtersprüchen gegen Händler, die ihre Rabatte frei erfanden oder wenigstens frisierten.

Möbel Höffner wurde verurteilt, weil das Möbelhaus nur wenige Tage vor Beginn einer Rabattaktion seine Ausgangspreise schnell erhöht hatte. Media Markt in Mannheim verlor vor Gericht, weil kurz vor Beginn einer Rabattaktion mindestens ein Preis noch schnell heraufgesetzt wurde. Online-Shops für Design-Leuchten, Brillen-Anbieter oder Bekleidungshäuser – die Liste der Verurteilten ist lang. Doch die Prospekte liegen weiter im Briefkasten. Offensichtlich ist es für die Anbieter schlicht zu lukrativ, weiter mit Rabatten zu locken – auch auf die Gefahr hin, schließlich vor Gericht gezerrt zu werden.

Wenn Wissenschaftler das Phänomen analysieren, sprechen sie vom sogenannten Ankerpreis. Den Ankerpreis hat der Verbraucher als Bezugspunkt im Kopf, um beim Einkauf schnell zu erkennen, ob er zu viel zahlt. Wer regelmäßig einen Liter Milch oder ein halbes Pfund Butter kauft, hat für diese Produkte einen klaren Ankerpreis. Auch beim klassischen Schlussverkauf für Bekleidung gibt es relativ klare Regeln – der Kunde hat ein Preisgefühl, der neue Preis steht meist auf dem Etikett mit dem alten Preis.

Bei teuren Produkten wie Möbeln oder Küchen ist das anders. Diese kauft man selten, und die Produkte sind komplex und oft schwer vergleichbar. Hier gibt es keinen inneren Ankerpreis, der Verbraucher muss seinen Fixpunkt woanders suchen. „So ein durchgestrichener Preis ist dann ein guter Anhaltspunkt, an dem sich die Kunden orientieren können“, sagt Martin Natter von der Universität Frankfurt, der sich seit Langem mit Preisbildung beschäftigt. „Mit einem nicht ehrlich gewählten Preis, also einem Mondpreis, funktioniert das oft trotzdem.“

Die Frankfurter Psychologin Ellen Weidemann weist auf einen weiteren Effekt hin: „Durch solche riesigen Preisunterschiede entsteht erst einmal großer Handlungsdruck beim Verbraucher“, sagt Weidemann, die für das Marktforschungsinstitut Creative Analytic 3000 arbeitet. „Man will sich so ein unschlagbares Angebot wenigstens einmal ansehen.“ Die Hoffnung auf ein Schnäppchen ist einfach stärker als die Zweifel am Rabatt.

Viel Arbeit für die Gerichte

Weil die Lockangebote so wirksam sind, werden wohl auch die Gerichte noch lange Arbeit haben. „Die Problematik mit den durchgestrichenen Preisen beschäftigt uns seit Langem und immer wieder“, sagt Arndt Joachim Nagel, auf Wettbewerbsrecht spezialisierter Rechtsanwalt in München. Ein Trick, mit dem die Anwälte oft zu tun haben, ist der Missbrauch der unverbindlichen Preisempfehlung. Diese Preisempfehlung, kurz UVP, wird vom Hersteller dem Händler gegeben. Der Händler kann, wenn er möchte, seinen billigeren Preis der UVP gegenüberstellen.

Rechtlich ist das erlaubt, solange die unverbindliche Preisempfehlung als solche gekennzeichnet wird. Doch wie die Preisempfehlung zustande kam und wie hoch sie ist, kann der Verbraucher nur schwer nachvollziehen. „An die UVP kommt man nicht ran, die Hersteller sagen, das bekommt nur der Händler“, sagt Günter Hörmann von der Verbraucherzentrale Hamburg. „Für die Verbraucher ist das eine Fata Morgana, mit der nicht geworben werden dürfte.“ Besonders beliebt ist die UVP bei Unterhaltungselektronik. Hier sinken die Preise so schnell, dass gern mit veralteten, höheren Preisempfehlungen der Hersteller geworben wird.

Doch nicht nur dort wird getrickst. Die Hamburger Verbraucherzentrale spürte kürzlich auf, wie die Drogeriekette Rossmann die Preisempfehlung missbrauchte. Bei einer ganzen Reihe von Produkten, vom Deo bis zur Zahnbürste, wurde der Sonderangebotspreis dem durchgestrichenen UVP-Preis gegenübergestellt – und mit Preisnachlässen von mehr als 50 Prozent geworben. Doch Rossmann hatte schon vor Beginn des Sonderangebots nicht die UVP verlangt, sondern bereits deutlich niedrigere Preise. Statt der behaupteten Ersparnis von 50 Prozent zur UVP waren die Produkte in Wahrheit nur zwischen zehn und 20 Prozent billiger.

Egal, wie der Fantasiepreis konstruiert wird – der Verbraucher ist oft machtlos. „Mondpreise sind sehr schwer nachweisbar“, sagt Rechtsanwalt Nagel. „Wenn man meint, dass Schindluder getrieben wird, sollte man über einen längeren Zeitraum den Preis verfolgen und Fotos machen oder Internetausdrucke.“ Anschließend wendet man sich an die Verbraucherzentrale, die einen Verstoß abmahnen kann. Am Ende kann ein kleiner Sieg stehen. Die große, wilde Rabattschlacht aber wird weitergehen.

Quelle: Welt Online