Alle schimpfen auf den Biosprit E10. Wie geht es den Leuten, die ihn verkaufen müssen? Unser Reporter hat den Test gemacht.

Es ist der Tag 10 von E10, die Lokführer streiken, die Leute sind auf ihre Autos umgestiegen und stehen dafür im Stau, und wenn sie zur Tankstelle fahren, kostet das gewohnte Superbenzin, wenn sie es denn im Zapfsäulenwald finden, fast zehn Cent mehr als früher. Vielleicht nicht der beste Tag, um Tankwart zu spielen.

Während ich mir die knallrote Jacke anziehe, die zwei Nummern zu groß ist, und den Neigungswinkel des Firmen-Basecaps im Schaufenster der „Total“-Tankstelle überprüfe, mache ich mich auf zornige Kunden gefasst und übe schon mal Beschwichtigungsphrasen: „Wir können nichts dafür. Die Politik hat die Einführung von E10 beschlossen.“ Oder: „Drinnen haben wir ein Buch, da können Sie nachsehen, ob Ihr Auto den Biosprit verträgt.“ Oder: „Nein, nein, hier kommt kein Weizen in den Tank. Hauptsächlich Rüben aus Frankreich.“ Oder: „Hey, ich tue auch nur meinen Job.“

Was ja nicht stimmt, denn an der Tanke an der Holzmarktstraße in Berlin sitzt der Tankwart meistens hinter der Kasse, während ich normalerweise ein paar Straßen weiter vorm Computer sitze. Aber jetzt stehe ich in der Märzsonne, frage die anrollenden Kunden, ob sie Fragen zu E10 hätten, und komme mir reichlich blöd vor.

„Das wird schon gut gehen“, sagt Katharina Letzin. „Die Leute sind angesäuert, aber keiner rastet aus.“ Die Tochter des Pächters jobbt in den Semesterferien auf der Tankstelle. „Wir haben 24 Stunden geöffnet, 365 Tage im Jahr“, erzählt sie. Das geht nur, wenn die ganze Familie mitmacht: Vater, Mutter, Schwester, Schwager. Mit ihren 23 Jahren hat Frau Letzin schon eine Lehre als Einzelhandelskauffrau und ein Jahr in einer Autowerkstatt hinter sich, soeben hat die resolute Blondine ihr erstes Semester Wirtschaftsingenieurwissenschaften abgeschlossen. Wenn sie fertig ist, würde sie am liebsten bei BMW in der Entwicklungsabteilung anfangen. Eine Frau, die vermutlich keine Quote braucht.

Zuerst die gute Nachricht: Die Kunden ballen vielleicht die Fäuste, aber lassen sie in der Hosentasche stecken. Die meisten sind dankbar, dass ihnen jemand die Sache mit dem Ökosprit erklären will. Ihnen fällt nicht auf, dass ich keine Ahnung habe. Uniformen wirken in Deutschland immer noch Wunder. Besonders bei Frauen. Als mich eine junge Frau bittet, ihr beim Tanken von Erdgas zu helfen und ich mich nicht gerade geschickt anstelle, entschuldigt sie sich sogar bei mir – obwohl, wie es sich herausstellt, „die Zapfsäule spinnt“, wie die herbeieilende Frau Letzin feststellt. Ich bin froh, dass mich niemand bittet, die Wasserstoff- oder Flüssiggasanlagen zu bedienen, die es an dieser Tankstelle gibt.

Erstaunlich viele Kunden haben sich schon im Internet erkundigt, ob ihr Auto E10 verträgt. David Pockrandt aus Friedrichshain greift ohne Zögern zur Bio-Spritpistole. Er fährt einen älteren Volvo mit dem Aufkleber „Erotic-Lounge“. Ist damit das Auto gemeint? Pockrandt weiß, dass „die Kiste das Zeug verträgt“, und hält die ganze Aufregung für ein Medienprodukt. „Das ist doch lächerlich. In anderen Ländern fahren Autos mit viel mehr Ethanol im Tank. Hier wird nur von den Lobbys Stimmung gegen die Ökologie gemacht.“

Eine andere Kundin widerspricht. „Mein Auto verträgt das neue Benzin. Aber ich tanke das herkömmliche Super, weil ich dagegen bin, dass Lebensmittel in den Tank wandern.“ Ich sage meinen Spruch mit den französischen Rüben auf. „Hören Sie, Anbaufläche ist Anbaufläche“, sagt sie.

Alexander Grocholewski aus Prenzlauer Berg weiß, dass alle Smart mit dem neuen Treibstoff fahren können, tankt aber trotzdem das herkömmliche Super. „Ich habe meine Mercedes-Vertragswerkstatt angerufen, und sie haben mir davon abgeraten, weil der Verbrauch bei E10 zu hoch ist.“ Über solche Auskünfte kann Manuel Fuchs nur den Kopf schütteln. Der „Total“-Pressesprecher betätigt sich heute auch als Berater an der Tanke.

Ständig blättert er im 40-seitigen Machwerk der „Deutschen Automobil Treuhand“ zur E10-Verträglichkeit, das an der Kasse ausliegt und auch im Internet abrufbar ist. „Als die Kanzlerin die Europäische Union zu ehrgeizigen Klimazielen drängte, lautete die Frage, ob die Hersteller den Verbrauch ihrer Flotten und damit den Kohlendioxidausstoß durch technische Neuerungen an den Motoren drosseln, oder ob wir den Weg über den Treibstoff gehen“, sagt Fuchs.

Die Autohersteller hätten auf die Treibstoff-Lösung gedrängt, nun würden sie die Fahrer mit Warnungen vor dem neuen Benzin verunsichern. „Dabei ist der Fuß auf dem Gaspedal für die Frage der Kilometerleistung pro Liter viel wichtiger als die Zusammensetzung des Benzins.“

Neben Grocholewski lässt ein anderer Kunde E10 in den Tank seines Smart füllen. „Der verträgt das angeblich“, sagt er. „Und wenn nicht – mir egal. Ist ja ein Firmenwagen.“ Manche Firmen sehen das enger. Eine grauhaarige Frau steigt aus einem Renault Kangoo mit der Aufschrift „Häusliche Krankenpflege“ und greift zum „Excellium Super Plus“.

Als ich sie frage, ob sie Informationen zu E10 brauche, fragt sie mit Berliner Charme zurück: „Können Sie nicht lesen? Das ist nicht mein Wagen. Die Chefin sagt, ihr kommt kein Ethanol in den Tank.“ Ich weise sie darauf hin, dass es nicht gerade Super Plus sein muss. Wir haben ja noch das alte Super im Angebot. Sie zuckt mit den Achseln. Am Ende zahlen wohl die Patienten die höheren Spritrechnungen.

Eine Typologie der Ablehner und Befürworter des neuen Kraftstoffs ist unmöglich. Ein Benzin-Kulturkampf entlang der Bruchlinien Alt und Jung, Mann und Frau, Ost und West, Alternative und Bürgerliche findet jedenfalls nicht statt. Dieselfahrer fahren mit einem überlegenen Lächeln vor. Im Diesel, sagt Herr Fuchs, seien allerdings auch acht Prozent Methanol. Viele Autofahrer sind einfach genervt. Jolanda Roskosch aus Friedrichshain weiß, dass ihr alter Fiat Cinquecento das neue Benzin nicht verträgt, aber die Mitarbeiterin eines Stadtmagazins ist nicht deshalb gegen E10, sondern „weil ich gegen das Chaos bin“.

Silke Krüger aus Mahlow in Brandenburg schaut mit mir in die Autotreuhand-Liste, stellt fest, dass ihr VW Fox keine Probleme mit E10 haben dürfte – der Wagen wird schließlich im Ethanol-Land Brasilien gebaut – und tankt dann trotzdem das alte „Super 95“, weil sie „auf Nummer sicher gehen will und durch die Berichte in den Medien verunsichert“ sei.

Es trägt nicht gerade zur Beruhigung bei, wenn die Branche das alte Superbenzin als „Schutzsorte“ bezeichnet. Damit meinen sie nicht, dass es die Motoren schützt, sondern dass für die Autofahrer, die ältere Modelle fahren oder dem Biosprit misstrauen, laut EU-Verordnung eine bestimmte „Schutzmenge“ vorhanden sein muss. Freilich muss man an vielen Tankstellen lange suchen, um die entsprechende Zapfsäule zu finden.

Hier und dort kann man den Eindruck gewinnen, dem Kunden soll eingeredet werden, er habe nur die Wahl zwischen E10 und Super Plus. An Letzins Tankstelle gibt es noch jede Menge Zapfsäulen, an denen „Super 95“ getankt werden kann. Und es greifen noch recht wenige Kunden, zu E10. „Aber wir müssen die Tanks bis zum April leer haben“, sagt Frau Letzin, „weil dann das Sommerbenzin kommt.“

Für die Pächter war die Umstellung auf E10 mit einer Menge Stress verbunden. Es mussten neue Tanks und Säulen eingebaut oder die alten so gereinigt werden, dass keine Rückstände blieben. Dann musste die Kennzeichnung an der Tankstelle vom „Preismast“ über die Zapfsäule bis zum Kassensystem umgestellt werden. Und nun gibt’s trotzdem Ärger. „Bekannte von uns haben ein Opel-Autohaus. Und da klingelt das Telefon ununterbrochen. Die Kunden haben nur eine Frage: E10, E10, E10. Die können das nicht mehr hören!“

Mag sein, aber die Frage, die mir an diesem Tag an der Tanke am häufigsten gestellt wird, lautet: „Wer haftet, wenn ich mein Auto mit E10 betanke, und es gibt trotz Ihrer klugen Liste einen Motorschaden?“ Die Standardantwort besteht darin, dem Kunden das bereitliegende Info-Blatt mit den telefonischen Hotlines der wichtigsten Hersteller in die Hand zu drücken. Solange die Hersteller keine Garantie für ihre Motoren abgeben, dürften die Kunden zurückhaltend bleiben.

Auch wenn die meisten nicht so misstrauisch sind wie der Rentner, der gerade Leerflaschen zurückbringt, mich an der Jacke packt und zischt: „Das ist alles Politik! Die Bahn streikt, gleichzeitig wird das Benzin teurer. Merken Sie was? Der Verbraucher ist in der Nahrungskette ganz hinten. Der wird immer abgezockt. Ich sage Ihnen noch was: Mit unseren Autos wird gerade der Langzeittest mit Biosprit gemacht.

Der kleine Mann zahlt immer die Zeche. Aber nicht mehr lange.“ Erwartet er hier ägyptische Zustände? „Das kann schneller anders werden, als sich die Politiker denken.“ Ich frage ihn, ob er sich für die Zeitung fotografieren lassen wird. „Nee, das könnte Ihnen so passen! Dann komme ich in irgendwelche Listen!“

Tankwart im nächsten Leben

Fazit eines Tags an der Tanke: Im nächsten Leben werde ich Tankwart. So viele nette Lächeln bekommt man selten an einem Tag. Obwohl eine dreijährige Ausbildung ein wenig übertrieben dafür klingt, dass man dann hauptsächlich an der Kasse sitzt und Kreditkarten durchs Lesegerät zieht. Frau Letzin versichert mir, dass ihr Azubi auch eine Scheinwerferbirne auswechseln, einen fachkundigen Ölwechsel durchführen und mir helfen könnte, wenn ich wieder mal statt meine Reifen aufzublasen die Luft herausgelassen habe. Außerdem gibt es die Möglichkeit einer Zusatzausbildung zum Automechatroniker.

Mir kommt der Gedanke, dass sich die Tankstellen und Treibstoffhersteller eine Menge Kundenärger hätten ersparen können, wenn sie ein paar Tage lang ihre Azubis abgestellt hätten, um mit den Autofahrern zu reden. Denn bei den Kunden überwiegt das Informationsbedürfnis die Wut.

Mit bloßen Erklärungen über die Verträglichkeit von Biosprit wird es freilich nicht getan sein. Die Autofahrer müssen wissen, wer die Rechnung zahlt, wenn ihr Fahrzeug trotz Unbedenklichkeitserklärungen Schaden nimmt. Hier ist die Autoindustrie am Zug. Wenn E10 wirklich unschädlich ist, fragt man sich, warum die Hersteller keine Garantien für die Motoren abgeben. Ob aber immer mehr Ethanol im Sprit auf Dauer die richtige Lösung ist, darf man bezweifeln.

Die Zukunft kann man bei „Total“ an der Holzmarktstraße schon besichtigen, wo Brennstoffzellenautos Wasserstoff tanken. „Clean Energy Partnership“ nennt sich das Bündnis namhafter Autohersteller und Treibstoffproduzenten, das zusammen mit der Bundesregierung die entsprechenden Modelle auf den Markt bringen und die Kunden in Deutschland mit einem Tankstellen-Netz versorgen will. Gemessen daran erscheint das Rübensaft-Benzin-Gemisch E10 irgendwie von gestern.

Auf der Liste der Deutschen Automobil Treuhand (DAT) erfahren Sie, ob der Biosprit E10 Ihrem Motor schadet.

Quelle: Welt Online