Der Biosprit E10 wird von den Deutschen an den Zapfsäulen ignoriert. Nun ruft Wirtschaftsminister Brüderle (FDP) zu einem Benzingipfel.

Berlin. Der neue Biosprit E10 erweist sich immer mehr als Flop. Nicht nur, dass sieben von zehn Autofahrern das Superbenzin nicht tanken, dessen Ethanolanteil von bisher fünf auf zehn Prozent gestiegen ist. Gestern hat die Verweigerungshaltung der Verbraucher sogar zu Verwicklungen zwischen der Mineralölindustrie und Politik geführt.

Nachdem die Deutsche Presseagentur (dpa) den Hauptgeschäftsführer des Mineralölwirtschaftsverbandes (MWV), Klaus Picard, mit der Äußerung zitiert hatte, die bundesweite Einführung von E10 werde vorläufig gestoppt, hagelte es Kritik vom Bundesumweltministerium. "Das Durcheinander, das die Mineralölwirtschaft hier veranstaltet, ist nicht akzeptabel", kritisierte Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) scharf. Zugleich hat er einen Stopp bei der Einführung des Biosprits scharf kritisiert. "Das verunsichert die Verbraucher."

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Röttgens Eingreifen führte prompt zu einem Dementi aus dem MWV. Picard stellte klar, dass es keinen Rückzug der Branche gebe, der Vertrieb laufe weiter, lediglich die Raffinerieproduktion werde angepasst. Zwischenzeitlich hat sich Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) zu Wort gemeldet. Er verkündete, wegen des Streits um die Einführung des Biosprits einen Benzingipfel einzuberufen. Jetzt wurde bekannt, dass dieses Treffen der Bundesregierung an diesem Dienstag stattfinden soll. . Die Regierung will dabei gemeinsam mit Mineralölwirtschaft, Autobranche und Verbraucherschützern nach einer Lösung bei der Absatzkrise des neuen Super-Benzins suchen.

Gleichzeitig wirkte sich die Nachricht von der vorläufigen Pause bei der Einführung von E10 an der Börse aus. Die Aktie des Biospritherstellers Verbio rutschte um 25 Prozent in den Keller, erholte sich nach dem Dementi des MWV auf 3,64 Euro, was immer noch ein Minus von 8,6 Prozent bedeutete.

E10 ist Teil der Biokraftstoffstrategie der Bundesregierung. Es soll die Umwelt schonen und zudem die Abhängigkeit Deutschlands zu Lieferländern wie Libyen verringern.

Doch der gut gemeinte Plan des Bundes erweist sich voller Tücken. E10 ist nur für gut 90 Prozent der in Deutschland zugelassenen Autos verträglich. Die restlichen zehn Prozent riskieren einen Motorschaden. Weil viele Autofahrer die neue Benzinsorte aus Furcht nicht tanken wollen und lieber auf die bis zu acht Cent pro Liter teurere Sorte Super Plus zurückgreifen, führt dies bei den Tankstellen dazu, dass die kleineren Tanks unter den Zapfsäulen mit Super Plus bis zu viermal täglich wieder aufgefüllt werden müssen, während das E10 in den größeren Tanks weitgehend unberührt vor sich hinschlummert.

Bei den Raffinerien lagert zudem nun massenweise E10 im Tank, das sich nicht verkaufen lässt. Die Folge ist, dass die Betriebe nicht mehr auf vollen Touren produzieren können oder sogar wieder auf das bisherige Super umstellen müssen, weil das neue Benzin mangels Lagermöglichkeit nirgendwo gelagert werden kann.

Von den 15 Raffinerien in Deutschland haben sieben Betriebe bereits auf die neue Benzinsorte umgerüstet. Auch Aral wollte seine Anlagen in Gelsenkirchen und Lingen jetzt umstellen. Nach den Erfahrungen der vergangenen Tage hat das Unternehmen diese Entscheidung jetzt verschoben. "Wir müssen erst die Akzeptanz der Verbraucher für E10 sicherstellen", sagte eine Aral-Sprecherin gestern dem Abendblatt.

Die Raffinerien, die den Biosprit bereits produzieren, befinden sich in Süd- und Ostdeutschland. Deshalb kann die umweltfreundlichere Benzinsorte auch noch nicht in Hamburg angeboten werden - selbst wenn auf einigen Zapfhähnen bereits die Bezeichnung E10 steht. Nach den ursprünglichen Plänen der Mineralölwirtschaft sollten alle Tankstellen bis Ende März umgerüstet werden. Ob sich dies nach dem jetzigen Chaos noch verwirklichen lässt, ist unklar.

"Es gab Unschärfe in der Ausarbeitung des Gesetzes", sagt Rainer Wiek, Chefredakteur vom Branchenfachblatt "Energie Informationsdienst (EID)", dem Abendblatt. "Es ist nachvollziehbar, dass es zu Produktionsdrosselungen kommt, wenn die Autofahrer E10 nicht kaufen wollen."

Die Akteure des Benzinchaos:

Um den neuen Biosprit E10 tobt eine erbitterte Debatte: Wer ist Schuld daran, dass der Kraftstoff an den Tankstellen floppt? Eine Übersicht der Akteure:

DIE REGIERUNG: Das Gesetz für die Einführung von E10 ist eine Vorgabe der Europäischen Union, die mehr Bioanteile für herkömmlichen Sprit festschrieb. Die Regierung, die den Mineralölkonzernen den E10-Zwang verordnete, weist der Branche die Schuld zu. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) sagen, die Wirtschaft habe sich aus der Verantwortung gestohlen und hätte genug Zeit für eine gute Informationsstrategie gehabt. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hat nun zu einem „Benzin-Gipfel“ eingeladen.

DIE MINERALÖLWIRTSCHAFT : Ihr Verband, der MWV, sieht sich als Opfer unausgegorener politischer Vorgaben. Könnte es nach ihm gehen, wäre der Ladenhüter E10 längst vom Markt verschwunden und es würde wieder überall das alte Super fließen. An der Verweigerung der Autofahrer will die Branche keine Mitschuld haben. Es sei die Pflicht von Politik und Autoherstellern gewesen, besser zu informieren. Die Verbände der Biokraftstoffindustrie halten sich mit Kritik zurück und bedauern den Stopp der weiteren E10-Umstellung.

DIE VERBRAUCHER: Fast niemand will das neue E10 tanken. Sieben von zehn Autofahrern, deren Benziner den Bio-Sprit vertragen, meiden die neue Sorte. Dabei könnten nach Berechnungen 93 Prozent aller in Deutschland angemeldeten Benziner das E10 problemlos schlucken.

DIE AUTOMOBILINDUSTRIE weist die Schuld ebenfalls von sich. Der Branchenverband VDA betont, dass 99 Prozent der Fahrzeuge deutscher Hersteller E10 vertragen. Frühzeitig habe der VDA zusammen mit der Organisation der Internationalen Kfz-Hersteller die Verträglichkeits-Liste erstellt. Die ins Internet gestellte 23 Seiten lange Broschüre liest sich bei einem Fahrzeugtyp etwa so: „An 10. Stelle der Fahrzeug-Ident-Nr. steht eines dieser Zeichen: T,V,W,X,Y,1,2,3,4,5,6,7,8,9“. Die Branche würde von der E10-Einführung profitieren, weil ihr damit härtere Auflagen für den Kohlendioxid-Ausstoß erspart bleiben.

DIE AUTOFAHRERLOBBY ADAC: Der größte Automobilclub Europas sieht die Schuld bei der Mineralölbranche. Die Hersteller des neuen Kraftstoffes haben laut ADAC eine vernünftige Aufklärung versäumt.

DIE BAUERN: Aus Sicht von Bauernpräsident Gerd Sonnleitner ist es kein Wunder, dass viele Autofahrer nicht wissen, ob ihr Auto E10 verträgt. Der Verweis auf die im Internet abrufbare Liste sei völlig unzureichend. Für Landwirte ist die Kraftstoffbranche ein neues Geschäftsfeld.

DIE UMWELTSCHÜTZER: Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) betrachtet E10 als Mogelpackung und Verbrauchertäuschung. Der Bund argumentiert, die Ausweitung der Ethanolproduktion benötige mehr Ackerfläche, was zu mehr Treibhausgasen und Monokulturen führe. Der Naturschutzbund NABU fordert ganz einfach ein generelles Tempolimit von 120 auf den deutschen Autobahnen, um das Klima zu schonen.

Fünf Fragen an Wolfgang Lohbeck zur Einführung des Benzins E10:

Der neue Bio-Sprit schadet der Umwelt.

Wolfgang Lohbeck, 66, ist Automobil-Experte bei Greenpeace.

1. Hamburger Abendblatt:

Herr Lohbeck, die Einführung des neuen Benzins E10, das zehn Prozent Bioanteil (Ethanol) enthält, sorgt für Unruhe an den Tankstellen. Die Benzinbranche muss es anbieten, aber die Autofahrer sind verunsichert und tanken lieber teurere Alternativen. Was bringt E10?

Wolfgang Lohbeck:

Abgesehen von den Sicherheitsbedenken der Autofahrer und den Preisdebatten an den Zapfsäulen - E10 führt in eine völlig falsche Richtung. Denn dieses neue Mischbenzin bringt keine Entlastung, sondern eine stärkere Belastung der Umwelt.

2. Was spricht denn gegen diesen neuen Sprit?

Lohbeck:

Die Umweltbilanzen von Biotreibstoffen sind noch schlechter als die von konventionellem Sprit, unter anderem wegen des hohen Bedarfs an Kunstdünger für den Anbau der Energiepflanzen. Biosprit vom Acker verschärft zudem die Konkurrenz um Rohstoffe für Nahrungsmittel - ein verheerender Trend. Letztlich profitiert die Automobilwirtschaft, die nicht bereit war, noch strengere Grenzwerte für den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid zu akzeptieren.

3. Wenn man die Umwelt über den Kraftstoff nicht entlasten kann, wie geht es dann?

Lohbeck:

Die Automobilindustrie müsste einen Paradigmenwechsel einleiten, was sie aber nicht tut. Autos könnten erheblich leichter gebaut werden, als das heutzutage der Fall ist. Und zwar nicht unter Verwendung von mehr Aluminium oder exotischen Materialien, sondern durch Verzicht auf immer mehr Ausstattung und Elektronik in den Fahrzeugen. Der unsinnige Trend zur Aufrüstung des Automobils muss aufhören. Ein Kleinwagen könnte ohne Weiteres mit einem Ausstoß an Kohlendioxid von 35 bis 40 Gramm je Kilometer gebaut werden - heutzutage sind es aber 90 bis 100 Gramm.

4. Müssen wir also auf einen Boom der Elektroautos hoffen?

Lohbeck:

Bislang bieten Elektroautos keine ernsthafte Alternative. Die Elektroantriebe und vor allem die Batterien sind nicht ausgereift. Welcher Kunde soll sich einen Elektro-Kleinwagen kaufen, der dreimal so viel kostet, aber weniger leistet als das gleiche Modell mit Verbrennungsmotor?

5. Welche technologischen Schritte bringen denn am ehesten Fortschritte?

Lohbeck:

Die Hinwendung zu einer konsequenten Leichtbauweise in der Automobilwirtschaft ist entscheidend. Das müsste allerdings mit Tempolimits verbunden sein. Die deutsche Kultur der Hochgeschwindigkeit ist eine der Ursachen für immer weiter steigende PS-Zahlen. Weniger Geschwindigkeit bedeutet weniger Verbrauch und zugleich mehr Sicherheit auf den Straßen.