Die Schildbürgerstreiche der Regierung drohen gerade in der Umweltpolitik. Überall blinder Aktionismus – egal ob beim Klimaschutz oder dem Dosenpfand.
Das Chaos, das bei der völlig unvorbereiteten Einführung des Biosprits E10 übers Land kam, ist für den Bürger unfassbar. Beispiellos ist es nicht. Wenn es um das Wohl von Mensch und Natur geht, wenn Katastrophen an die Wand gemalt werden, kollabierendes Klima, Müllnotstand, Schweinegrippe und ähnliche Untergangsszenarien, ist der Aktionismus nicht mehr weit.
Während heute der E10-Gipfel in Berlin tagt, um Schadensbegrenzung beim jüngsten Schildbürgerstreich der Energiepolitik zu erreichen, ist der letzte Flop in diesem Bereich noch lange nicht überwunden: die überbordende Förderung des Solarstroms. Die Summen, mit denen der Stromverbraucher die Millionen von Dächern im Land subventioniert, die mit Fotovoltaikanlagen ausgestattet wurden, sind ins Unermessliche gestiegen. So sehr, dass sich die Bundesregierung jetzt beeilt, diese Zwangsabgabe überplanmäßig Zug um Zug zu senken, zuletzt sogar mit Zustimmung der Solarbranche. Begründung: Der Ausbau sei unvorhergesehen stark gestiegen. Eingedenk der Tatsache, dass der Solarstrom trotz dieses Überraschungs-Booms in der Energieversorgung des Landes nach wie vor so gut wie keine Rolle spielt, drängt sich die Frage auf, welchen energiepolitischen Sinn das Ganze hatte – erst recht ja wohl für den Fall, dass der Ausbau planmäßig, also schwächer ausgefallen wäre.
Ein wenig erinnert der Käuferstreik bei Biosprit an das Drama um die Impfung gegen die Schweinegrippe vor eineinhalb Jahren. Bereits damals ersichtlich haltlose Szenarien über die Todesraten im nächsten Winter führten dazu, dass eine aufgescheuchte Bundesregierung im Verein mit einer dankbaren Pharmaindustrie Dutzende Millionen Impfdosen bereitstellte. Die Erwartung, dass die Deutschen nun Schlange stehen würden vor den Impfstationen, erfüllte sich nicht. Fast geschlossen trat das Volk in den Impfstreik, vergleichbar mit der Verweigerung heute beim neuen Sprit. Sein Bewusstsein für Risiken und Nebenwirkungen war in beiden Fällen höher als das der Regierung und der Industrie, in diesem Fall völlig zu Recht, wie sich hinterher herausstellte. Die Nebenwirkungen der Impfdosen für das gemeine Volk – es gab auch ausgereiftere, verträglichere Varianten für ausgewählte Kreise – stellten sich schon bald als größere Gefahr heraus als die Schweinegrippe selbst.
Nicht minder chaotisch gestaltete sich die Einführung des Einwegpfandes, dem eine langjährige Vorbereitungszeit vorausging. Neben dem – inzwischen kassierten – Atomausstieg war es die zweite umweltpolitische Maßnahme, auf die Rot-Grün damals stolz war. In der Bevölkerung dagegen überwog beim Inkrafttreten der Regel im Jahr 2003 zunächst der Zorn. Dosen, Plastik- und Glasflaschen, die nicht dem Mehrwegsystem unterlagen, kosteten beim Einkauf ab sofort „Pfand“ – der der Bedeutung des Wortes allerdings hohnsprach. Falls man das Behältnis nicht wieder an Ort und Stelle zurückgab, handelte es sich schlicht um einen Aufschlag auf den Kaufpreis, den einem niemand erstattete. Zug um Zug schafften es Getränkeindustrie, Handel und Regierung bis 2006 immerhin, dass die Einwegverpackungen bundesweit zurückgegeben werden konnten.
Mit Stolz auf dieses Werk sollten sich die früheren rot-grünen Umweltpolitiker dennoch zurückhalten, denn von dem Ziel, das sie mit dieser Neuregelung damals verfolgten, sind wir heute weiter denn je entfernt. Als Grund für den Einwegpfand wurde seinerzeit geltend gemacht, dass der Mehrweganteil von Getränkeverpackungen 1997 auf unter 72 Prozent gesunken war. Eine Trendumkehr wurde seither nicht erreicht, im Gegenteil: Nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung ist die Mehrwegquote bis 2008 sogar bis auf 31 Prozent gesunken. Dieser grandiose Fehlschlag spielt allerdings in der heutigen Debatte keine Rolle mehr, ist nach neueren Erkenntnissen doch sehr die Frage, ob Mehrweg oder Einweg die bessere Ökobilanz aufweist. Der Aufwand für die Reinigung von Flaschen und für den Transport, bisweilen quer durch Deutschland, kompensiert womöglich das erhöhte Aufkommen von Abfall, der heute eigentlich auch keiner mehr ist, weil die gesammelten Flaschen dem Recycling zugeführt werden.
Zusätzlich zum chaotischen Inkrafttreten also auch ein komplett unnötiges Gesetz? Nicht ganz, die Flaschen und Dosen bestimmen nicht mehr das Bild von Straßen und Parks. Schmeißt sie hier und da doch noch jemand weg, so sammeln sie andere wieder auf und kassieren dafür manchen Euro.
Einfache, besonders populäre Weisheiten nach dem Muster „Biosprit ist gut“, „Einweg ist schlecht“, „Solarenergie rechnet sich immer“, „neue Grippeformen sind immer tödlich“ können gar nicht oft genug hinterfragt werden, besonders wenn sie zur Begründung politischer Maßnahmen herhalten sollen. So türmen sich die Müllberge bei uns nicht mehr immer höher, oft genug gehen den Müllverbrennungsanlagen, die heute eher Luftreinigungsanlagen sind, die Abfälle aus, die sie in saubere Energie verwandeln können. Dass Papiertüten eine bessere Umweltbilanz als Plastiktüten haben, ist umstrittener denn je. Das „Lexikon der Ökoirrtümer“ von Dirk Maxeiner und Michael Miersch listet eine Vielzahl ähnlicher kleiner und großer Fälle auf, in denen überkommene Weisheiten der Korrektur bedürfen.
Im globalen Maßstab können solche Weisheiten schon mal fatale Folgen haben. Etwa wenn, wie seit den 80er-Jahren geschehen, mit DDT ein harmloses Mittel gegen Insekten verteufelt und verboten wird und deshalb 30 bis 40 Millionen Menschen an Malaria gestorben sind. Wenn hanebüchene Beschwörungen eines weltweiten Biolandbaus in den nächsten Jahrzehnten dazu beitragen sollten, dass im Rahmen der Entwicklungshilfe den Bauern etwa in Afrika dringend notwendiger Kunstdünger vorenthalten werden sollte. Wenn die wissenschaftlich haltlose Zurückdrängung der Genforschung dazu führen sollte, dass den Bauern der Welt angesichts einer auf neun Milliarden Menschen anwachsenden Bevölkerung der Gebrauch von ertragreicheren Pflanzensorten verunmöglich würde.
Diese Dimension von Ökoirrtümern hätte ein anderes Kaliber als die Flops, über die wir uns hierzulande völlig zu Recht ärgern. Ihnen gegenüber verblasst unser Chaos um E10, Schweinegrippe und Einwegpfand zum rührenden Schildbürgerstreich.
Bei der Deutsche Automobil Treuhand (DAT) können Sie sehen, ob Ihr Fahrzeug E10 verträgt.