Der Chemiekonzern Merck hat seinen Umsatz kräftig erhöht. Doch das Aus eines Multiple-Sklerose-Medikaments verhagelt die gute Laune.

Farbpigmente, Flüssigkristalle, Biotech-Medikamente, Labormaterial: Die Darmstädter Merck KGaA ist einer der letzten Gemischtwarenhändler der deutschen Chemieindustrie. Während andere Konzerne wie BASF sich immer stärker spezialisieren, kaufte Merck-Chef Karl-Ludwig Kley munter neue Geschäftszweige, zuletzt im März 2010 den Biotech-Laborausrüster Millipore. Die Strategie zahlt sich aus: Kley konnte eine Jahresbilanz 2010 mit einem operativen Ergebnis von gut 1,1 Milliarden Euro präsentieren, gut 71 Prozent mehr als noch im Krisenjahr 2009.

Die Gesamterlöse 2010 stiegen um 20 Prozent auf das Rekordniveau von 9,3 Milliarden Euro. „War ein klasse Jahr“, kommentierte der Merck-Boss trocken sein Rekordergebnis, und verkündete gleich auch das Schmankerl für seine Aktionäre: In diesem Jahr will Merck seine Dividende um 25 Prozent erhöhen, und 1,25 Euro pro Aktie auszahlen. Darüber freuen sich vor allem über zweihundert Mitglieder der Merck-Familie – denn ihnen gehören rund siebzig Prozent der Aktien.

Das starke Ergebnis verdankt das Unternehmen neben dem Millipore-Zukauf auch den Konjunkturimpulsen nach der Krise: Besonders ertragreich war die Flüssigkristall-Sparte, die vom Flachbildschirm-Boom profitiert, sowie die Farbpigmentsparte, die besonders von der steigenden Nachfrage der Autoindustrie nach Lacken getragen wird. Ob die Konjunktur auch im kommenden Jahr den Gewinn des Chemieunternehmens beflügeln kann, bezweifeln Analysten allerdings. Denn das Wachstum der Branche lässt im ersten Quartal des neuen Jahres schon wieder nach.

Doch Konzern-Chef Kley gab sich auch für den Erfolg des laufenden Jahres sehr optimistisch: „Wir erwarten für 2011 ein Wachstum der Gesamterlöse von 16 Prozent und einen Anstieg des operativen Ergebnisses um 35 bis 45 Prozent.“ Diese Prognose fußt vor allem auf den zu erwartenden Erlösen aus dem Zukauf von Millipore, speziell im US-Markt.

Und die benötigt Frey auch, denn ausgerechnet sein wichtigster Zukauf, die im Jahr 2006 für 10,3 Milliarden Euro erworbene Schweizer Biotech-Pharmatochter Serono, schwächelt: Erst vergangene Woche musste der Merck-Serono Forschungschef Bernhard Kirschbaum den Zulassungsantrag auf ein neues Blockbuster-Medikament gegen die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA zurückziehen, der Nachhall der ersten überraschenden Ablehnung im September vergangenen Jahres durch die Medikamentenprüfer.

Die hatten das Risiko, dass MS-Patienten durch Cladribin Krebs bekommen, als zu hoch eingestuft, und weitere klinische Studie angefordert. Die will Merck-Serono nun nachliefern, doch die Daten liegen frühestens Ende des Jahres vor. Auch die amerikanische Zulassungsbehörde FDA wird aller Voraussicht nach in der kommenden Woche negativ über Cladribin entscheiden. Lediglich in Australien und Russland konnte das MS-Wundermittel bislang eine Zulassung erhalten.

Spätes Scheitern belastet das Ergebnis

„Das schmerzt natürlich, und der Schmerz hat auch noch nicht nachgelassen“, kommentierte Kley das späte Scheitern, dass das Ergebnis und Prognose der Biotech-Tochter Serono deutlich belastet: Ohne die Cladribin-Erlöse wird Serono im kommenden Jahr voraussichtlich nicht zum Merck-Wachstum beitragen können. „Ein Scheitern zu diesem späten Zeitpunkt tut besonders weh, denn nicht nur sind kommende Milliardenerlöse bereits in Gewinnprognosen und Aktienkurs eingepreist, auch müssen Marketing-Bemühungen abgebrochen und abgeschrieben werden, das schadet nicht nur dem Cashflow und Reserven, sondern auch der Marke“, kommentierte ein Analyst.

Der Fall Cladribin macht deutlich, wo die Probleme der Sparte liegen: 2010 nahm Serono allein mit seinen fünf umsatzstärksten Biopharmazeutica 3,2 Milliarden Euro ein. Doch der Absatz des Umsatz-Bockbusters Rebif, ebenfalls ein Multiple-Sclerose-Mittel, leidet schon jetzt unter dem Konkurrenzdruck einer neuen Generation von Medikamenten. Gleichzeitig fehlen weitere neue Umsatzbringer, die die anstehenden Millionen-Ausgaben für teure klinische Studien in den kommenden Jahren gegenfinanzieren können.

„Seronos Ergebnis ist überschattet von Herausforderungen und Enttäuschungen in der Forschungspipeline“, gab denn auch Kley freimütig zu, und kündigte verstärktes Engagement in den USA an: „Wir waren bislang nicht in der Lage, dort ausreichend zu agieren, und investieren nun in US-Forschungsnetzwerke.“ Damit könnte Merck einmal mehr durch geschickte Lizenzkooperationen und Zukäufe in den USA die Probleme zu Hause ausgleichen. Denn nicht nur Serono enttäuscht, auch die Selbstmedikationssparte Consumer Health Care hat Probleme: Um siebzig Prozent sackte der Gewinn, prompt wollte Kley einmal mehr einen künftigen Verkauf nicht ausschließen.

Die Probleme mit den Gesundheitssparten verdeutlichen, wieso die Gemischtwarenladen-Strategie der Darmstädter aufgeht: Nur sie erlaubt es einer relativ kleinen Firma wie Merck, mit weniger als zehn Milliarden Euro Umsatz dreistellige Millionensummen in die risikoreiche Entwicklung neuer Biotech-Medikamente zu investieren. „Merck war eigentlich nicht groß genug, um im Biotechmarkt mitzuspielen - aber durch Zukäufe wie Millipore hat Kley eine kritische Größe erreicht, und kann nun das Risiko verteilen“, kommentiert ein Frankfurter Analyst.

Quelle: Welt Online