Um rund zehn Prozent sind die Umsätze 2010 in der Branche gestiegen, den Bauern jedoch fehlt das nötige Ackerland.
Bio-Eier sind dieser Tage schwer zu bekommen. Seit dem jüngsten Skandal um dioxinverseuchtes Tierfutter kann die rasant gestiegene Nachfrage in Deutschland kaum noch bedient werden. Regelmäßig sind die Regale wie leergefegt. „Der Skandal hat noch mal einen Schub gebracht“, bestätigt Gerald Herrmann von der Münchener Strategieberatung Organic Services. Gebraucht hätte die Bio-Branche diese zusätzliche Aufmerksamkeit allerdings nicht. Denn nachdem der Markt 2009 erstmals überhaupt zurückgegangen ist, ging es im letzten Jahr auch ohne Skandal-Hilfe wieder steil bergauf.
Um rund zehn Prozent sollen die Umsätze 2010 gestiegen sein, schätzt der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Damit kletterten die Erlöse mit Bio-Lebensmitteln hierzulande auf fast 6,5 Milliarden Euro. „Die Branche hat ihre Umsatz-Delle überwunden“, sagt daher BÖLW-Geschäftsführer Alexander Gerber im Gespräch mit „Welt Online“.
Eineinhalb Jahre lang von Mitte 2008 bis Ende 2009 waren die Erlöse hierzulande zurückgegangen, auch wegen der deutlich sinkenden Preise infolge der Weltwirtschaftskrise. „Der Markt schien darüber hinaus vorerst gesättigt“, sagt Experte Herrmann, der etliche Jahre Präsident der International Federation of Organic Agriculture Movements (IFOAM) war, dem Weltdachverband für Bio-Landbau mit Hauptsitz in Bonn.
Supermärkte und Discounter jedenfalls hatten den Ausbau ihrer Bio-Sortimente angesichts der krisenbedingt ?gesunkenen Kaufkraft ihrer Kunden deutlich verlangsamt oder sogar ganz gestoppt. „Erstmals seit Jahren wurden nicht mehr im großen Stil Regalmeter für Öko-Waren frei geräumt“, beschreibt Herrmann im Vorfeld der weltweit größten Branchenmesse Biofach, die am Mittwoch in Nürnberg beginnt.
Mittlerweile scheint wieder alles beim Alten. Die Zahl der reinen Bio-Supermärkte wie Alnatura, Dennree, Basic oder Bio Company jedenfalls steigt kontinuierlich, im vergangenen Jahr allein um 60 auf nunmehr knapp 500. Zudem bauen auch die Discounter und Handelshäuser wie Rewe, Edeka und Metro ihr Bio-Sortiment wieder aus, sowohl mit Markenware als auch im Eigenmarkensegment. Der Kölner Rewe-Konzern hat zuletzt sogar den früheren Grünen-Spitzenpolitiker und Außenminister Joschka Fischer als Berater ins Haus geholt, um sich stärker als nachhaltiges und grünes Unternehmen zu positionieren. Zudem plant Vorstandschef Alain Caparros zusätzliche Läden der Marke „Temma“, ?einer Mischung aus Tante-Emma- und Bio-Laden.
Denn für die kommenden Jahre sagen Handelsexperten der Öko-Branche weiter steigende Umsätze voraus. Auch weil es schlichtweg noch Nachholbedarf in Deutschland gibt. Zwar ist die Bundesrepublik dank ihrer hohen Bevölkerungszahl nach wie vor der größte Bio-Absatzmarkt in Europa. Schätzungen zufolge wird hierzulande alleine ein Drittel der auf dem Kontinent gehandelten Bio-Produkte verkauft. Beim Pro-Kopf-Verbrauch allerdings liegen andere Nationen noch deutlich vorne. Während in Deutschland rund 60 Euro pro Person und Jahr für Bio-Essen ausgegeben werden, sind es in Dänemark und der Schweiz mit 120 Euro jeweils doppelt so viel, rechnet Gerald Herrmann vor.
Und anders als in Deutschland sind die Bio-Erlöse in zahlreichen anderen Staaten während der Wirtschaftskrise nicht zurückgegangen. In Frankreich und Schweden zum Beispiel gab es trotz ?Rezession sogar ein Plus von 15 Prozent, meldet die Unternehmensberatung Organic Monitor.
Für 2010 sagen die Londoner Experten in ihrem Global Organic Food & Drink Market Report bereits einen Umsatz von weltweit 60 Mrd. US-Dollar voraus. Auch das ist ein Plus von fast zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. Größter Markt ist dabei nach wie vor die USA. Herrmann zufolge wird dort noch immer fast die Hälfte der weltweiten Bio-Produktion verkauft.
Die steigende Nachfrage birgt allerdings auch Probleme – Platzprobleme. „Es gibt in Deutschland zu wenig Anbauflächen für ökologische Lebensmittel“, beschreibt BÖLW-Geschäftsführer Gerber. Das bestätigt auch eine Studie der Universität Bonn im Auftrag der Grünen. Während sich die Nachfrage nach Bioprodukten in den vergangenen zehn Jahren um fast 200 Prozent erhöht hat, sind die Ackerflächen wie auch die Zahl der deutschen Bio-Produzenten um gerade mal 75 Prozent angestiegen. Bundesweit gut eine Million Hektar werden derzeit laut BÖLW ökologisch bewirtschaftet. Die Zahl der Betriebe summiert sich dabei auf gut 22.000. Die jährliche Wachstumsrate liegt für beides bei rund fünf Prozent. „Wir brauchen aber mindestens doppelt so hohe Zahlen“, weiß Gerber. Zumal er damit rechnet, dass der Bio-Anteil in Deutschland binnen 15 Jahren von derzeit knapp fünf auf mindestens 20 Prozent nach oben schnellt.
Dieses Marktwachstum droht nun an den deutschen Bauern vorbeizugehen. Das zumindest prognostiziert Berater Herrmann. „Die deutschen Biohändler sind zunehmend auf Importe angewiesen“, sagt er. Und diese Importe kommen immer häufiger von weit her – aus Argentinien und Australien zum Beispiel oder aus Indien und China. „Die Wertschöpfung bei Biolebensmitteln wird immer stärker ins Ausland verlagert“, heißt es dazu in der Bonner Studie. Branchenexperten fordern daher Hilfe aus der Politik. „Bund und Länder müssen endlich die Förderbremse lösen und die heimische Bio-Landwirtschaft wirkungsvoll unterstützen“, sagt zum Beispiel Thomas Dosch, der Präsident vom Erzeugerverband Bioland.
Zwar gibt es ein Bundesprogramm Ökolandbau, aus dem Aufklärungskampagnen und Schulungen sowohl für umstellungswillige Landwirte als auch für die Verbraucher bezahlt werden. Gerald Herrmann zufolge befinden sich aber lediglich 16 Millionen Euro im Fördertopf. „Gleichzeitig investiert der Staat aber zwei Milliarden Euro in Biotechnologien.“ Dabei sei der Zusammenhang zwischen Ökolandbau und Klimaschutz enorm. Das müsse auch die Politik erkennen.