Immer mehr Deutsche zieht es ganz oder für einige Jahre ins Ausland. Lag die Zahl 2002 noch bei 118.000 Auswanderern, stieg sie auf 165.000 im vergangenen Jahr. Auch Familie Hoppe aus Berlin hat ihre Sachen gepackt, um für drei Jahre in Shanghai zu leben. Dagmar Hoppe erzählt von einer Reise ins Ungewisse.

Viele Deutsche wandern aus. Lag ihre Zahl 2002 noch bei 118.000 Auswanderern, stieg sie auf 165.000 im vergangenen Jahr. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind es vor allem die Westdeutschen und die Berliner, die ihrer Heimat den Rücken kehren. Auch Familie Hoppe aus Berlin hat ihre Sachen gepackt, um für drei Jahre in Shanghai zu leben. Dagmar Hoppe erzählt von einer Reise ins Ungewisse.

Zwei Wochen vor dem Umzug: Ich glaube, es ist gut, dass das alles so schnell ging. Da bleibt keine Zeit, viel nachzudenken. Vor vier Monaten ahnte ich noch gar nicht, dass wir Deutschland verlassen würden. Und nun sitzen wir hier auf unseren gepackten Koffern in unserem leergeräumten Haus. Im April kam Torsten, mein Mann nach Hause und fragte mich. „Was hältst du von Shanghai?“ Schon immer wollten wir eine Zeit lang im Ausland leben. Möglichst weit weg, in einem ganz anderen Kulturkreis. Shanghai ist da genau das Richtige. Natürlich auch beruflich. Torsten arbeitet im Bereich Finanzen bei Coca Cola. Hier dreht sich ja immer alles um die Frage, wie man weiter Kosten senken kann, in Shanghai aber kann er neue Märkte erschließen. Das ist doch spannender.

Viele Freunde fragen mich, was ich denn in Shanghai mache. Ich weiß es noch nicht, aber ich bin eigentlich ganz zuversichtlich, dass ich etwas finde, vielleicht im Bereich Kunstmarketing. Ich komme aus der Werbung und habe daher Erfahrung im Marketing. Ehrlich gesagt, freue ich mich aber erst einmal darauf, Zeit zu haben, in diese andere Welt abzutauchen, den Kopf frei zu haben, Tage durch die Gegend zu streifen, Kontakte zu knüpfen. Ich will ja nicht nur andere Expats kennenlernen , sondern vor allem Chinesen.

Ein bisschen Auslandserfahrung haben wir schon. Torsten hat mal ein Jahr in London gelebt, ich ein halbes Jahr. Aber seit wir uns kennen, wollen wir mal für längere Zeit richtig weit weg. Zunächst wurde allerdings nichts aus unseren Auslandsplänen, immer kam etwas dazwischen: Die drei Schwangerschaften, dann Torstens Wechsel zu Coca Cola. Aber es gehörte zu unserem Lebenstraum, und wenn wir das jetzt nicht machen, bereuen wir das vielleicht eines Tages.

In China waren wir früher noch nie. Aber inzwischen gibt es wohl kein Buch über Shanghai, das ich noch nicht geschenkt bekommen habe. Und wir haben über Freunde und Bekannte viele Kontakte vor Ort bekommen, das ist wie beim Schneeballprinzip. Die Expat-Gemeinde in Shanghai ist sehr aufgeschlossen.

Die Aufbruchstimmung begeistert

Noch im April ist Torsten zunächst allein für eine Woche nach Shanghai geflogen. Er kam ganz euphorisch zurück. Vor allem die Aufbruchstimmung hat ihn begeistert. Im Mai sind wir dann gemeinsam rübergeflogen, zu einem sogenannten „look an see trip“. Mit unserem Relocation Agent haben wir uns 40 Häuser angesehen und acht Schulen. Bei der Schule fiel die Entscheidung ziemlich schnell, die Kinder werden auf eine internationale Schule gehen: 30 Prozent Europäer, 30 Prozent Asiaten, 40 Prozent Amerikaner. Auch in Berlin sind die zwei Großen ja schon auf eine internationale Schule gegangen, weil wir immer im Hinterkopf hatten, ins Ausland zu gehen.

Mit dem Haus war es schwieriger. Was uns gezeigt wurde, war uns zu pompös, zu amerikanisch, zu sehr Disney-World. Überall gab es Clubhäuser und Wächter. Wir wollten gern authentischer, „chinesischer“ wohnen und haben uns dann auf eigene Faust auch andere Häuser angeschaut, mittendrin in der Stadt. Da waren sehr schöne Objekte dabei, aber sobald man das Haus verlassen hat, war es laut, es gab keine Bäume an der Straße. Da haben wir kalte Füße bekommen. So mutig sind wir dann doch nicht, zumindest nicht mit den drei Kindern.

Entschieden haben wir uns schließlich erst, als wir wieder am Flughafen waren. Das Haus ist eigentlich viel zu groß für uns. Aber inzwischen sehe ich auch Vorteile. Wir haben eine ganze Etage für Freunde, die uns hoffentlich alle besuchen werden. Von der Wohnanlage kann ich zu Fuß oder mit dem Fahrrad zum Einkaufen gehen. Mir ist es wichtig, nicht so abgeschottet zu leben.

Ende Juni kamen die Möbelpacker und haben bis auf ein paar Koffer mit unserer Kleidung für die nächsten Wochen alles verladen. Es dauert ja einige Wochen, bis die Container per Schiff ankommen. Ich hoffe, das klappt alles bis Mitte August. Da bin ich erst eine Woche allein in Shanghai und will alles einrichten, bevor ich dann noch einmal nach Deutschland zurückfliege und die Kinder hole. Die bleiben so lange bei den Großeltern.

Aufregend für die Kinder

Für die Kinder ist das alles sehr aufregend. Sie sind schon ganz gespannt. Vor allem Antonia, die Älteste, ihr fällt es leicht, neue Kontakte zu knüpfen. Isabell ist schüchterner und hängt mehr an dem Alten. Am schwersten wird es aber wohl für den Kleinen, er ist ja erst fünf und spricht noch kein Wort Englisch. Wir versuchen, den Kindern möglichst viel Vertrautes in ihrem neuen Zuhause zu schaffen. Ich habe mich schon nach einem Reitverein erkundigt. Und wir werden skypeln, das heißt die Kinder können über Video mit ihren Freunden in Berlin sprechen und sie dabei auch sehen. Ende Juni haben wir noch einmal all ihre Freunde zu einem großen Abschiedsfest eingeladen, 40 Kinder waren es insgesamt! Zwei Tage später kamen dann die Möbelpacker.

Auch Torsten und ich werden wohl am meisten unsere Freunde vermissen. Ich glaube zwar, es ist kein Problem, in Shanghai neue Kontakte zu knüpfen. Sicherlich werden die aber anders sein als hier, weniger tief, weil ja alle wissen, dass sie nur für eine begrenzte Zeit bleiben. Jetzt, wo wir nicht einmal mehr Stühle in der Küche haben, werden wir jeden Abend woanders hin eingeladen und bekocht. Die einen haben uns Teller und Tassen geliehen, die anderen Handtücher und Schlafsäcke. Bei so viel Hilfsbereitschaft und Nähe fällt es mir schwer zu gehen.

Fehlen wird mir auch der blaue Himmel, über Shanghai liegt oft so ein Grauschleier. Und natürlich das Schwarzbrot. Eine ganze Kiste voll habe ich schon zu den Möbeln mitgeschickt.

Seit Juni lernen Torsten und ich Chinesisch, eine Stunde in der Woche. Man muss sehr auf die Betonung achten, weil ein Wort verschiedene Bedeutungen haben kann, je nachdem, wie man es ausspricht. Vielleicht könnte ich jetzt schon einkaufen auf Chinesisch. Torsten hat bei seiner ersten Rede in Shanghai die ersten Sätze auf Chinesisch gesprochen. Die Menschen fühlen sich dann ganz anders wertgeschätzt.

Erst einmal gehen wir für drei Jahre nach Shanghai. Aber wer weiß? Geplant ist, dass wir nach Berlin zurückkommen, daher haben wir unser Haus hier auch erst einmal nur befristet vermietet. Das ist uns vor allem im Hinblick auf unsere Eltern wichtig. Jetzt sind sie noch fit, aber irgendwann sicher nicht mehr. Da möchten wir in der Nähe sein. Unseren Müttern fällt es ohnehin am schwersten, dass wir nach Shanghai gehen. Auch wenn wir sie heute gar nicht so häufig sehen, ist es doch ein anderes Gefühl, ob wir drei Stunden mit dem Auto oder elf Stunden mit dem Flugzeug entfernt wohnen.

Nach Deutschland wollen wir erst wieder im Mai nächsten Jahres kommen, dann heiratet mein Bruder. Unseren Urlaub werden wir vor allem in Asien verbringen. Ich geh doch nicht nach China, um dann jede Ferien nach Deutschland zu fahren.

Aber manchmal verlässt mich auch die Euphorie. Zum Glück habe ich schon einen Platz gefunden, an den ich mich dann zurückziehen werde, wenn ich mal Heimweh oder Sehnsucht habe, am Ufer des Huangpu. Ich habe ihn von unserem Hotel aus entdeckt, in dem wir im Mai gewohnt haben. Da habe ich einen freien Blick aufs Wasser und die Schiffe. Das erinnert mich an meine Heimat Hamburg und gibt mir ein Gefühl von Zuhause.

*Die erste Woche: Nach elf Stunden Flug lagen wir Torsten in den Armen, den die Kinder und ich fast vier Wochen nicht gesehen hatten. Zu lange! Wir nahmen wir die Magnetschwebebahn und sausten mit bis zu 430 Stundenkilometern Shanghai entgegen. Einfach riesig, diese Stadt! Modernste Hochhäuser mit blinkenden Fassaden, wohin man schaut. Dazu vierspurige, verstopfte Straßen, unglaublich viele Mopeds, die wohl inzwischen die Fahrräder ersetzt haben, und Unmengen von Baustellen, auf denen rund um die Uhr gearbeitet wird.

Da unser Container mit den Möbeln noch nicht zum Auspacken frei gegeben war, blieben wir für die ersten Nächte im Hotel. Dann kamen endlich unsere Sachen! Zwölf Mann wuselten herum und entluden drei Lastwagen mit 300 Umzugskisten plus Möbel in einem halben Tag. Leider kam dann aber die große Enttäuschung: Mindestens 40 Prozent unserer Möbel waren angeschlagen, in den antiken Stühlen waren Dellen, ein Regal mussten wir wegschmeißen. Ich traue mich gar nicht, die Kisten mit dem Porzellan und den Weingläsern zu öffnen… Schon bitter, wie lieblos mit den Sachen umgegangen wurde.

Die Kinder finden das Haus toll und überhaupt gefällt es ihnen in Shanghai bisher sehr gut. Da die Häuser in unserer engen Umgebung alle neu gebaut sind, ziehen gerade alle Nachbarn erstmals ein und die Kinder haben schon erste Kontakte knüpfen können. Montag geht die Schule los, ich bin gespannt, wie sich alle drei nach dem ersten Schultag fühlen werden.

Wenn alle Kisten ausgepackt und alles an seinem Platz ist – übrigens schon ein witziges Gefühl, sein Sofa in einer so anderen Umgebung wiederzusehen – werde ich mich daran machen, einen guten Mandarin-Kurs zu finden, um möglichst schnell in die Sprache hineinzukommen.

Aufgezeichnet von Annette Kuhn

Quelle: Welt Online