Nicht die Finanzkrise, der Dschungel des Internets macht Firmenchefs von heute Sorgen. Sie befürchten den Verlust wertvoller Informationen.

Ausgerechnet Dmitri Medwedjew zeigt sich angesichts der neuen Transparenz im Internet denkbar entspannt. Auch wenn Russland sonst nicht gerade für seine Offenheit bekannt ist, präsentiert sich der Staatschef auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos als großer Freund der neuen Medien – einer, der schon morgens nach dem Aufstehen zum Laptop greift, um die Nachrichten zu checken. Nicht einmal die weltweit scharf attackierte Enthüllungsplattform Wikileaks kann ihm Schrecken einjagen: „Ich für meinen Teil habe gar nichts Neues erfahren“, sagt er über die Informationen, die rund um Russland enthüllt worden waren.

Er habe bisweilen den Eindruck gehabt, die Dinge seien einfach aus dem Netz kopiert worden. „Mancher mag sich verletzt fühlen durch so was, wir nicht: Wir sind robuste Kerle.“ Mit dieser Abgebrühtheit in Sachen neue Medien ist der Präsident beim Gipfeltreffen in den Schweizer Alpen eine Ausnahmeerscheinung: So sehr Smartphones, iPads und Laptops inzwischen zum Standardinventar in Davos zählen, so groß ist der Respekt der Wirtschaftselite vor den möglichen Gefahren, die die fortschreitende Digitalisierung mit sich bringt.

Finanzkrise war gestern, die nicht überschaubaren Dimensionen der virtuellen Welt sind es, die die Wirtschaftsführer umtreiben: „Das Internet ist ein Dschungel“, sagt ein Schweizer Unternehmenschef und spricht damit vielen Vorstandskollegen aus der Seele. „Wir finden einen Raum vor, in dem man unbegrenzt wachsen kann. Aber man kann nichts erwarten, nicht einmal das Unerwartete.“

In Davos wird zumindest in Ansätzen greifbar, welche Komplexität der Datendschungel inzwischen erreicht hat – etwa wenn Wang Jianzhou, Chef des chinesischen Telekomriesen China Mobile Communications, fast beiläufig erwähnt, dass er 600 Millionen Chinesen zu seinen Kunden zählt. Eine rasant steigende Zahl davon sind Besitzer von Smartphones, die über das mobile Internet Tag für Tag ihre persönlichen Spuren und Daten im Cyberspace hinterlassen. Ungefährlich ist das nicht: Immer wieder werden beim Gipfeltreffen Studien zitiert, denen zufolge ein Gutteil der Internet-User schon negative Erfahrungen mit der Verletzung des Datenschutzes gemacht hat.

Für Privatpersonen ist das unangenehm, für Unternehmen und Regierungen kann es teuer und gefährlich werden. Und so diskutieren die Manager die Frage, wie viel Transparenz wünschenswert ist und wo Grenzen eingezogen werden müssen, um die Arbeitsweise von Firmen oder die internationale Diplomatie nicht zu unterminieren. „Offenheit schafft Vertrauen. Jemand, der Dinge versteckt und lügt, wird auf die Dauer an Autorität verlieren“, sagt zum Beispiel der US-Blogger und Universitätsprofessor Jeff Jarvis.

Doch so mancher Manager befürchtet, dass dadurch eine Kultur der Angst entstehen könnte: „Vertraulichkeit ist eine wichtige Vorraussetzung für Innovation“, sagt ein Unternehmenschef, der nicht genannt werden will. „Wer immerzu befürchten muss, dass seine in kleinen Zirkeln geäußerten Gedanken öffentlich gemacht werden, traut sich vielleicht nicht mehr, auch schräge Ideen weiterzuverfolgen.“ Einigkeit herrscht immerhin bei der Frage, dass Transparenz grundsätzlich eine gute Sache ist.

Ergebnis einer Diskussion war deshalb das Motto: „Verberge weniger, aber verberge das, was du nicht veröffentlicht sehen willst, besser.“ „Das Web hat die Macht, die Gesellschaft zu verändern“, sagt Daniel Domscheit-Berg, ehemaliger Sprecher von Wikileaks, der die Plattform im Herbst wegen Unstimmigkeiten mit Julian Assange verlassen hat. Mit seinem Projekt Openleaks will er seinen Beitrag dazu leisten. Anders als bei Wikileaks soll seine Plattform jedoch nur die technische Infrastruktur bereitstellen, über die anonyme Informanten geheime Dokumente sicher verschicken können. „Wir sehen uns als offene Wissensdatenbank“, sagt er. Openleaks sei ein Werkzeug, mit dem Missstände auf der Welt öffentlich gemacht werden sollten. „Das ist die Transparenz, für die wir kämpfen.“

Quelle: Welt Online