Der ICE ist ein Zug der Superlative, aber anfällig. Die Bahn hat das begriffen und rüstet die Fernzugflotte jetzt mit robusten Wagen aus.

Es gab in den vergangenen Tagen kaum ein politisches Gremium, das darauf verzichtet hätte, Bahnchef Rüdiger Grube vorzuladen. Im Bundesverkehrsministerium musste er vorsprechen, im Abgeordnetenhaus von Berlin oder bei der Sonderkonferenz der Verkehrsminister der Länder.

Was dort jeweils ablief, gleicht sich stets: Grube wirbt trotz zahlreicher Pannen, Ausfällen und Verspätungen „um Vertrauen“, die Politik rügt, verlangt Besserung und droht andernfalls mit Konsequenzen. Aber das größte Defizit der Bahn, der Mangel an Fahrzeugen – egal ob im Fernverkehr oder bei der S-Bahn Berlin – lässt sich in absehbarer Zeit nicht lösen.

Fünf Jahre lang dauert es durchschnittlich, bis neue Züge konstruiert, gebaut und zugelassen sind. Da der Druck auf den DB-Konzern ständig wächst, ist der Bahn-Vorstand auf eine überraschende Lösung verfallen: Züge, die eigentlich für den Regionalverkehr bestellt wurden, sollen so ausgestattet werden, dass sie auf Fernstrecken eingesetzt werden können. Das beschert den Deutschen die ersten Doppelstock-Züge im Fernverkehr.

Erste Pläne waren bereits kurz vor Weihnachten durchgesickert, doch jetzt steht es fest: Die Deutsche Bahn setzt ab Anfang 2014 auch bei langen Distanzen auf Doppeldecker. Der Konzern hat zum Jahreswechsel beim Schienentechnikhersteller Bombardier 27 IC-Doppelstockzüge mit 135 Wagen bestellt. Offiziell stellt die Bahn das Fernzug-Konzept an diesem Mittwoch vor.

Die Bahn investiert 360 Millionen Euro in die Doppelstock-Züge. Sie sind bislang für Geschwindigkeiten bis zu 160 Kilometern pro Stunde ausgelegt, sollen aber so ausgestattet werden, dass sie eine Zulassung für Tempo 185 bekommen. Damit eignen sie sich auf Fernstrecken, die nicht von den Hochgeschwindigkeitszügen ICE?3 befahren werden. Wie es bei der Bahn heißt, sollen die Doppeldecker-IC-Züge zunächst auf drei Linien eingesetzt werden, unter anderem im Nordwesten Deutschlands.

Projekt Personenverkehr

Bahnchef Grube geht mit dem Projekt drei der dringendsten Probleme im Personenverkehr an. Erstens verschafft er sich in einem absehbaren Zeitraum die dringend nötigen Reserven. Zum anderen senkt er die Kosten in der Fernverkehrssparte. Zuletzt verzahnt er die Geschäftsbereiche Fern- und Regionalverkehr besser. Derzeit ist die Bahn kaum in der Lage, bei Zugausfällen Ersatz auf die Schienen zu schicken.

Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) fordert nach dem Bruch eines Radsatzes, dass bei sämtlichen ICE-3- und ICE-T-Zügen die Achsen getauscht werden. Bis die benötigten Teile eingebaut sind, werden mehrere Jahre vergehen. Die Hochgeschwindigkeitsflotte, die nun in kurzen Abständen zum Achs-Check in die ICE-Werke muss, wird also bis auf weiteres hohe Ausfallquoten haben.

Gleichzeitig verzögert sich der überfällige Austausch der IC-Flotte. Noch haben sich Bahn und der Siemens-Konzern nicht auf einen Preis für die bis zu 300 ICs geeinigt, die das neue Rückgrat des DB-Fernverkehrs bilden sollen. Siemens ist der „bevorzugte Bieter“ und vermutlich auch der einzige Lieferant, der ernsthaft in Frage kommt. Geplant war, dass bis Ende 2010 ein Abschluss vorliegt. Nun heißt es, man werde sich „voraussichtlich im ersten Halbjahr dieses Jahres“ einigen.

Selbst wenn es dazu kommt, können die neuen IC-Züge ab 2015 im Einsatz sein – das bedeutet, dass es erst dann Entlastung und damit stabilere Zustände im Fernverkehr geben wird. So lange will und kann Grube nicht mehr warten. Daher nun der Doppeldecker-Plan. Der DB-Konzern lässt bereits bestellte Doppelstockwagen für den Regionalverkehr umrüsten. Das hat zwei Vorteile: Ein Vertrag zur Lieferung mit Bombardier existiert bereits, lange Verhandlungen entfallen damit. Zweitens lässt sich die Umwandlung in Fernzüge ohne allzu großen Aufwand bewerkstelligen. Die Bahn bekommt ihre neuen Fernzüge also in absehbarer Zeit mit einem überschaubaren Kostenaufwand.

Die Ausstattung soll nicht hinter dem üblichen Standard im Fernverkehr zurückfallen, heißt es im Bahnkonzern. In den Doppelstock-ICs gibt es mehr Beinfreiheit als in derzeitigen ICE-Zügen, außerdem Leselampen, Steckdosen an jedem Doppel- beziehungsweise Einzelsitz. Darüber hinaus soll es moderne Informationsdisplays geben, reichlich Platz für das Gepäck und die Möglichkeit, Fahrräder im Zug zu transportieren. Die lokbespannten Wagen werden behindertengerecht ausgelegt, sie bekommen eine geringe Stufenhöhe und deutlich breitere Türen als die ICs, die derzeit im Einsatz sind. Einschränkungen gibt es nur in einem Punkt: Die Zwei-Etagen-Züge haben aufgrund von Platzgründen kein Bordbistro mehr. Es wird also nur Snacks am Platz geben, wenn Bahn-Mitarbeiter mit ihren Caddy durch die Abteile gehen.

Lob vom Fahrgastverband

Der Vorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Karl-Peter Naumann, bezeichnet die Pläne als „gutes Notkonzept“. „Wir brauchen eine schnelle Lösung im Fernverkehr, und Doppelstockzüge dort einzusetzen ist eine, weil sie schnell abgerufen werden können“, so Naumann. „Züge mit Treppen sind allerdings auf längeren Strecken nicht optimal. Allerdings sind Doppelstockwagen immer noch besser als verkürzte Züge oder Zugausfälle, wie wir sie zuletzt häufig erlebt haben.“

Mit den neuen Zügen soll es spürbar Entspannung im Fernverkehr geben, denn sie ersetzen rund 200 der zum Teil 30 Jahre alten IC-Wagen. Diese sollen zunächst aus dem Verkehr gezogen und dann zum größten Teil so aufgearbeitet werden, dass sie im Notfall als Reserve dienen können. Die Bahn will mit den Doppeldeckern allerdings auch sparen. Die Züge, die sich viele Jahre und vom Grundkonzept her bei der Reichsbahn der DDR im Regionalverkehr bewährt haben, gelten nicht nur als wenig störanfällig, sondern sie sind auch günstiger in der Anschaffung und bei der Wartung als die geplanten IC-Züge. Zudem haben sie aus Bahnsicht ein besseres Verhältnis vom Platzangebot zum Gewicht. Die Züge sind kürzer, benötigen weniger Drehgestelle, und ihr Gewicht insgesamt ist geringer, was den Energieverbrauch senkt. All das drückt die Betriebskosten deutlich.

Zuletzt will die Bahn die Kooperation der Sparten Fern- und Regioverkehr ausbauen – und so Synergien gewinnen. Gewartet werden die Züge von DB-Regio-Mitarbeitern – auch wenn sie dem Fernverkehr gehören.

Quelle: Welt Online