Auf die Staatshaushalte rollt eine gewaltige Pensionslawine zu – und die Regierenden drücken sich um Reformen. Ökonomen wollen eine Anpassung an Renten.

Winfried Fuest ist kein ängstlicher Mensch. Doch die anonyme Morddrohung, die ihn erreichte, nachdem er im vergangenen Jahr die Altersversorgung der Beamten als zu üppig kritisiert hatte, jagte dem Professor doch einen gehörigen Schrecken ein. Dabei ist der 64-Jährige Anfeindungen gewöhnt. Seit vielen Jahren analysiert der Ökonom für das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) die Finanzlage von Bund, Ländern und Kommunen – und immer wieder stößt er dabei auf das ungelöste Problem der Beamtenversorgung. Mit dem Beamtenbund liegt er denn auch im Dauerclinch. Doch Fuest hält an seiner Forderung nach Einsparungen in der Altersversorgung der Staatsdiener fest: „Denn die Schere zwischen Rentner und Pensionären geht immer mehr auseinander, weil an den Vergünstigungen nicht gerüttelt wird.“

Akuten Handlungsbedarf sieht auch Bernd Raffelhüschen. Der Direktor des Forschungszentrums Generationengerechtigkeit in Freiburg moniert, dass die Rentenreformen der vergangenen Jahre nicht eins zu eins auf die Beamten übertragen wurden. Raffelhüschen warnt vor einem dramatischen Anstieg der Pensionslast in den kommenden Jahren. Überdies räche sich nun, dass in den siebziger und achtziger Jahren überall in Deutschland der Beamtenapparat kräftig ausgebaut worden war. „Durch die Einstellungswelle werden die demografischen Probleme noch drastisch verschärft, und sie eskalieren zudem ein paar Jahre früher als im Rentensystem“, sagt der Finanzwissenschaftler. In den kommenden Jahren werde sich die Zahl der Pensionäre von rund einer Million auf mehr als 1,6 Millionen erhöhen. Dies drohe vor allem die Haushalte der Bundesländer zu sprengen. Denn drei von vier Beamten werden vom Land eingestellt, etwa als Lehrer oder Polizist.

Die angespannte Kassenlage der öffentlichen Haushalte ist auch ein Schwerpunkt der heute beginnenden Jahrestagung des Deutschen Beamtenbundes (dbb) in Köln. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) wird ebenso erwartet wie Oppositionsführer Frank Walter Steinmeier und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (beide SPD). Doch um Einsparungen geht es den Beamten weniger als um ihre Tarifforderung von drei Prozent plus einen Sockelbetrag von 50 Euro. Man will am Aufschwung beteiligt werden. „Wir müssen einen deutlichen Schritt nach vorne machen“, hatte dbb-Chef Peter Heesen bei der Verkündung der Tarifforderung Mitte Dezember gesagt. Eine „Nullrunde in 2011“, wie sie CSU-Chef Horst Seehofer wegen leerer Kassen für Bayerns Staatsdiener und Pensionäre angekündigt hat, komme überhaupt nicht infrage.

Doch die Länder sind gezwungen zu sparen. Schon jetzt gehen nach IW-Berechnungen 34,6 Prozent ihrer gesamten Steuereinnahmen für Personalausgaben – Tendenz stark steigend. „Dies zeigt, dass in Zukunft immer weniger Geld für Infrastruktur und Investitionen übrig ist“, sagt Fuest. Hinzu komme, dass die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse die Länder verpflichtet, bis 2020 ihre Neuverschuldung auf Null zu senken. „Ohne Einsparungen bei den Pensionen ist das nicht zu schaffen.“

Der Finanzexperte hält Korrekturen bei den Altersbezügen der Staatsdiener auch aus Gerechtigkeitsgründen für geboten. So hat ein Beamter nach nur fünfjähriger Dienstzeit Anspruch auf eine Mindestpension von 1365 Euro, ein Standardrentner kommt mit 45 Beitragsjahren dagegen lediglich auf 1224 Euro. Auch muss der Pensionär nur 30 Prozent seiner Krankheitskosten als Privatpatient selbst absichern, 70 Prozent erhält er vom Staat als Beihilfe. Ein Rentner dagegen zahlt die Hälfte seiner Krankenkassenbeiträge. Hinzu kommt, dass sich die Höhe der Pension am Verdienst der letzten zwei Dienstjahre orientiert, wenn das Gehalt im Regelfall am höchsten ist. Die gesetzliche Rente wird dagegen auf der Grundlage des durchschnittlichen Einkommens während des gesamten Beruflebens berechnet.

„Da kommt eine riesige Pensionslawine auf die Steuerzahler zu“, warnt der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Karl Heinz Däke. „Wenn die Politik sich nicht an die Privilegien traut, drohen Steuererhöhungen zur Finanzierung der immer schwerer werdenden Pensionslasten.“ Däke räumt zwar ein, dass auch bei den Beamten in den vergangenen Jahren gespart worden sei, etwa beim Weihnachtsgeld. Auch wurde das Versorgungsniveau der Pensionäre von einst 75 auf 71,75 des letzten Gehalts abgesenkt. Doch das reicht nach Däkes Einschätzung „noch längst nicht aus“.

Zumal anders als von der Politik angekündigt, nicht alle Einschnitte in der gesetzlichen Rente auf die Pensionen übertragen wurden, wie auch Däke moniert. So wurde 2004 ein Nachhaltigkeitsfaktor in die Rentenformel eingebaut, der langfristig den Anstieg der Renten dämpft. Er wirkt umso stärker, je ungünstiger sich das Verhältnis von Ruheständlern und Beitragszahlern entwickelt. Aus der zunächst vom damaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) geplanten Übertragung auf die Beamten ist bis heute nichts geworden. Auch die unpopuläre Rente mit 67 wurde bisher in vielen Bundesländern – anders als im Bund – nicht auf die Beamten übertragen.

Hoch verschuldete Länder wie Berlin, Bremen oder das Saarland machen keinerlei Anstalten, die Regelaltersgrenze für ihre Staatsdiener heraufzusetzen. Auch Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz bleiben bei 65 Jahren. Spannend wird, ob die neue NRW-Regierung das Gesetz zur Einführung der Pension mit 67 wieder zurücknimmt, das unter Jürgen Rüttgers (CDU) beschlossen wurde. Denn die rot-grüne Minderheitsregierung bereitet eine große Dienstrechtsreform vor. „Intention der neuen Landesregierung ist derzeit noch nicht bekannt“, heißt es in einem internen Papier des Beamtenbundes. Doch der dbb ist hoffnungsvoll. Schließlich hat das SPD-Präsidium beschlossen, die 2012 beginnende schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze auf unbestimmte Zeit zu verschieben – ein Beschluss, an dem sich Präsidiumsmitglied Kraft orientieren dürfte. Zumal die SPD in allen Ländern, in denen sie regiert, die Altersgrenze für die Staatsdiener bei 65 Jahren belassen hat.

Der Chef des Beamtenbundes kann freilich keinen dringenden Handlungsbedarf erkennen. „Alle Rentenreformen der letzten Jahrzehnte sind wirkungsgleich auf die Beamtenversorgung übertragen worden“, sagt Heesen. Das Versorgungsniveau sei dabei in den letzten Jahren sogar stärker gesunken als das Rentenniveau. Allerdings würden seit 2006 Reformen der Beamtenversorgung nicht mehr bundeseinheitlich geregelt, sondern seien seither Ländersache. Insofern entschieden nun die einzelnen Länderregierungen über die Anhebung der Altersgrenze auf 67. „Die These, Beamte und Versorgungsempfänger würden nicht angemessen in Sparbeschlüsse der Politik einbezogen, ist also schlicht falsch“, meint der dbb-Vorsitzende.

Der Finanzwissenschaftler Raffelhüschen hält dagegen. „Anders als bei der Rente gibt es bei der Reform der Beamtenpensionen noch erheblichen Nachholbedarf.“ Eine wirkungsgleiche Übertragung des Nachhaltigkeitsfaktors und der Rente mit 67 sei schon aus Gründen der Generationengerechtigkeit dringend geboten. Denn die Pensionslasten sind im Kern nichts anderes als Staatsschulden. Und schon heute ist nach Raffelhüschens Berechnungen der Wert der Pensionsverpflichtungen doppelt so groß wie die ausgewiesenen Schulden von Bund, Ländern und Kommunen. In dieser Rechnung sind die Witwen- und Waisenversorgung sowie die Beihilfe noch nicht einmal enthalten.

Der Ökonom plädiert sogar dafür, die gesetzliche Altersgrenze für die Beamten in schnelleren Schritten heraufzusetzen, weil die Kosten der Pensionen früher in die Höhe schnellten als die Ausgaben im gesetzlichen Rentensystem. Auch der Nachhaltigkeitsfaktor müsste eigentlich stärker bei den Staatsdienern greifen, weil sich das Verhältnis von Steuerzahlern zu Pensionären künftig noch viel ungünstiger entwickele als die Quote von Beitragszahlern zu Rentnern. Mit diesen Sparmaßnahmen würde das Versorgungsniveau in den nächsten Jahren auf rund 60 Prozent des Bruttoeinkommens absinken. Im Vergleich mit anderen Ruheständlern stünden die Pensionäre damit aber immer noch gut da. Schließlich beträgt das Rentenniveau nur 46,4 Prozent und wird weiter absacken.

Der Steuerzahlerbund hält es zudem für notwendig, den Beamtenapparat zu verschlanken. 1,7 Millionen Beamte und Richter sind bundesweit beschäftigt. Zu viele, findet Däke: „Das Beamtentum sollte auf die Bereiche innere und äußere Sicherheit, Justiz und Finanzverwaltung beschränkt werden.“ Völlig unnötig sei es, weiterhin Lehrer zu verbeamten. In Ostdeutschland sei die Verbeamtung an den Schulen nicht üblich und „der Schulbildung in diesen Ländern tut das keinen Abbruch“. Auch Ökonom Raffelhüschen hält den Beamtenapparat für überdimensioniert: „Mit der Verbeamtung verschiebt die Politik Lasten in die Zukunft.“ Den ein Beamter sei zwar für den Staat in seinen aktiven Zeiten günstiger, da nur geringe Sozialabgaben fällig würden. Dafür schlage er später aber im Ruhestand aufgrund des hohen Versorgungsniveaus sehr viel stärker als seine anderen Angestellten zu Buche, so Raffelhüschen. „Doch dann stehen die heutigen Politiker nicht mehr in der Verantwortung.“

Quelle: Welt Online