Rund 1000 Höfe sollen wegen des Dioxinskandals gesperrt werden. Wieder bringt ein einziger krimineller Betrieb eine ganze Branche in Verruf.
Am Ende haben Deutschlands Bauern nicht die dicksten Kartoffeln, sondern wieder ziemlich große Sorgen. Sie gehen auch gar nicht mehr so gerne ans Telefon, schon gar nicht, wenn das Landwirtschaftsministerium anruft oder die Presse. „Es bleibt doch immer was hängen“, erklärt Erwin Sieverding die Tendenz zum Wegducken, die in diesen Tagen wieder einmal die niedersächsischen Bauern erfasst. Nicht, weil man etwas zu verbergen hätte, sondern aus Angst stigmatisiert zu werden, wie Sieverding meint. Er ist Tierarzt in Lohne und ständig unterwegs im deutschen Nordwesten, Hochburg der Geflügelzucht. Rund 1000 Höfe wird das Landwirtschaftsministerium in Hannover im Laufe der Woche sperren lassen, weil dort möglicherweise Tierfutter verwendet worden ist, in dem mehr potenziell krebserregende Dioxine gefunden wurden als zulässig. Für das Image der deutschen Geflügelbauern ist das schon jetzt ein Desaster, ökonomisch weiß man das noch nicht so ganz genau. Der Bauernverband rechnet schon mal mit einem „Millionenschaden“.
Es kommt jedenfalls einiges zu auf die betroffenen Landwirte, die jetzt nachweisen müssen, dass in ihren Produkten, in Puten, Eiern oder Hähnchen keine verbotenen Dioxinrückstände zu finden sind. Das ist, Stall für Stall, im Zweifel ein Wettrennen mit der Zeit. Eier sind ohne entsprechendes Zertifikat auf dem Markt kaum noch zu verkaufen, und die Hähnchen wachsen weiter und über die genormten Größen der Ställe und Schlachtanlagen hinaus, ein Tribut an die Massentierhaltung. „Wir brauchen die Untersuchungsergebnisse innerhalb von ein oder zwei Tagen“, fordert Jürgen Seeger, Kreislandwirt in Oldenburg. Eine kurze Zeit könnten seine Kollegen eine Sperrung ja durchhalten. „Aber länger? Das geht nicht.“ Für einen Hähnchenmäster mit beispielsweise 40.000 Tieren könne sich schon nach vier, fünf Tagen ein Verlust von 120.000 Euro ergeben.
Untersuchungen dauern lange
Und dennoch: So schnell, wie sich Landwirt Seeliger es wünscht, werden die Tests von Eiern, Fleisch und Futter beim besten Willen nicht über die Bühne gehen. Tierarzt Sieverding wartet zum Beispiel gerade auf das Ergebnis eines seiner Kunden, dessen Eierprobe er über Weihnachten an ein Hamburger Labor geschickt hat, und das jetzt gerade mitgeteilt hat, dass es noch weitere 24 Stunden für das endgültige Ergebnis braucht. Drei bis fünf Werktage, so ein Mitarbeiter des auf derartige Untersuchungen spezialisierten Unternehmens, müssten die Betriebe schon einkalkulieren. In der Praxis kann es länger dauern. Für die Bauern, so fasst es Gerd Hahne zusammen, Sprecher des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums, gebe es jetzt kaum Möglichkeiten, selbst zu agieren. „Sie sind die Leidtragenden“. Noch seien seine Kollegen einigermaßen gelassen, ergänzt Landwirt Seeger, die Wut komme erst nach und nach. Wenn Eier und Hühner stallweise unverkäuflich bleiben.
Sie wird sich dann vor allem gegen die Futtermittelhersteller richten, die schon jetzt von den Bauernverbänden ins Visier genommen werden. „Die Hersteller“, so formuliert es das Landvolk Niedersachsen müssten alle „den Landwirten durch die belasteten Lieferungen entstandenen Kosten“ übernehmen. Die Landwirte müssten „auf einwandfreie Lieferungen“ vertrauen können.Der Deutsche Bauernverband geht deshalb von Schäden in Millionenhöhe aus, die allein durch die Sperrung der Höfe entstehen.
Edeka und Rewe seien nicht beliefert worden
Unterdessen ist immer noch unklar, in welchem Umfang und wo die verunreinigten Eier und das Fleisch in den Handel gelangt sind. Auf Anfrage von „Welt Online“ antworteten die Lebensmittelketten Edeka, Rewe und Tengelmann, sie seien nach derzeitigem Stand nicht von gesperrten Landwirtschaftsbetrieben beliefert worden. Auch Eier verarbeitende Betriebe wie der Nudelhersteller Birkel und der Nahrungsmittelkonzern Unilever äußerten sich entsprechend.
Hingegen wurde einer der größten deutschen Schlachtbetriebe, Tönnies, von einem jetzt gesperrten Betrieb beliefert. Josef Trilling, Chef der Qualitätsprüfung, sagte „Welt Online“: „Eine Schweinemastanlage aus Nordrhein-Westfalen, die uns mit Fleisch beliefert, ist gesperrt worden.“ Derzeit werde überprüft, ob der Dioxin-Gehalt eine relevante Höhe habe.
Der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, warf der Futtermittelindustrie sogar „kriminelle Machenschaften“ vor. „Man muss davon ausgehen, dass hier systematisch Stoffe untergemischt wurden, die eigentlich entsorgt werden müssten“, sagte zu Baringdorf „Welt Online“. Wenn von einem Unglücksfall gesprochen werde oder schlecht geputzte Maschinen als Begründung herangezogen würden, sei das „lächerlich“. „Wir müssen davon ausgehen, dass über die Verschneidung von Futtermitteln systematisch toxische Stoffe entsorgt werden, deren Entsorgung als Abfall viel Geld kosten würde.“ Deshalb würden Maschinenöle beigemengt, „und diejenigen, die diese Fette beziehen, gucken nicht hin“.
Es geht auch eine Nummer kleiner. Wilhelm Hoffrogge zum Beispiel, der Vorsitzende des Landesverbandes der niedersächsischen Geflügelwirtschaft, hält es zwar auch für „erschreckend, dass so etwas passiert“. Ob die Verunreinigung des Futters aber absichtlich oder versehentlich geschah, das mag er zu diesem Zeitpunkt nicht beurteilen. Nur eines sei klar: „Wenn am Anfang der Wertschöpfungskette ein derart grober Fehler passiert, dann weiß man auch nicht mehr so recht weiter.“ Es muss schon einiges passiert sein, wenn ein energiegeladener und kerzengerader Mensch wie Hoffrogge solche resignativen Töne anklingen lässt. Anders ausgedrückt: In der komplexen Nahrungsmittelwirtschaft reicht eben gelegentlich ein einziges schwarzes Schaf, um die ganze Branche mit ihren Zehntausenden von Betrieben in Verruf zu bringen.
Staatsanwalt ermittelt
Im Dioxin-Skandal 2011 wird dieses Schaf vorläufig in Schleswig-Holstein lokalisiert, wo die zuständige Staatsanwaltschaft Itzehoe am Dienstag offiziell Ermittlungen gegen den Futtermittelhersteller Harles & Jentzsch wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittel-Gesetzbuch eingeleitet hat.
Auf dem Gelände des Unternehmens an der Uetersener Deichstraße herrschte Krisenstimmung. Man kann hier, vorsichtig ausgedrückt, nicht nachvollziehen, plötzlich im Mittelpunkt des Skandals zu stehen. Auskünfte mag Geschäftsführer Siegfried Sievert schon gar nicht mehr geben, noch nicht mal, die Frage nach den Gesellschaftern des Unternehmens mag er beantworten.
Grund für die Schweigsamkeit des Kaufmanns ist ein Bericht des in Bielefeld erscheinenden „Westfalenblatts“, nach dem sich Sievert selbst des „leichtfertigen Umgangs“ mit den Futterfetten bezichtigt habe. Das sei keineswegs so gewesen, sagt er am Dienstagabend, aber da ist die Wucht der Folgen des in allen Nachrichtenkanälen zitierten Berichts nicht mehr zu stoppen: Harles und Jentzsch sind bis zum Beweis des Gegenteils diejenigen, die den Futtermittelskandal verursacht haben. Dabei sind auch andere „Täter“ denkbar, für Harles und Jentzsch jedenfalls spricht, dass das Unternehmen selbst den erhöhten Wert noch vor Weihnachten gemeldet hat. Auch findet sich in allen Futtermittel-Produktbeschreibungen des unternehmenseigenen Internet-Auftritts ein Hinweis auf den Dioxin-Gehalt der Fette (bis zu 75 Nanogramm pro Kilo). Genau dieser Wert wurde vor Weihnachten überschritten, was Sievert auch prompt meldete. Handelt so ein „schwarzes Schaf“?
Sieben Fragen, sieben Antworten: Das müssen Verbraucher jetzt wissen
Eine Frage, die Oberstaatsanwalt Ralph Döpper, jetzt unter Hochdruck klären lassen will. Es wird von den Ergebnissen dieser Ermittlungen abhängen, ob und wenn ja, wann und von wem die betroffenen Landwirte für ihre Einnahmeverluste entschädigt werden. Zu langes Warten, das weiß Tierarzt Sieverding aus 25 Jahren Erfahrung mit den Landwirten in seinem Beritt, „kann einem Betrieb schon mal das Rückgrat brechen“.