Experten erwarten, dass die Zahl der neuen Stellen in diesem Jahr weiter steigt – 2010 war das beste Jahr seit 1992

Auch wenn Kälte, Eis und Schnee den Abbau der Arbeitslosigkeit zunächst gestoppt haben – die Zahl der Menschen ohne Job sank bis zum Jahresende trotzdem auf den tiefsten Stand seit 19 Jahren. Ende 2010 waren 3,016 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet und damit zum ersten Mal seit zwei Monaten wieder mehr als drei Millionen. Von November bis Dezember war die Zahl der Arbeitslosen um 85?000 gestiegen, verglichen mit dem Dezember 2009 waren aber rund 260.000 weniger Menschen arbeitslos. Die Arbeitslosenquote stieg im Monatsvergleich um 0,2 Punkte auf 7,2 Prozent. Im Vorjahr hatte sie noch bei 7,8 Prozent gelegen.

Dass die Zahl der Arbeitslosen im Dezember steigt, ist normal. Das Winterwetter macht das Arbeiten im Freien und besonders auf Baustellen mühsam, und die Arbeitnehmer werden für einige Wochen nach Hause geschickt. Dieser Effekt war im Dezember offenbar besonders ausgeprägt, denn der Winter begann in Deutschland in diesem Jahr sehr früh und außergewöhnlich stark. Deshalb stieg auch die saisonbereinigte Arbeitslosenzahl zum ersten Mal seit Juni 2009 wieder an: Rechnet man die saisonüblichen Schwankungen und den wintertypischen Anstieg der Arbeitslosigkeit heraus, ist die die Zahl der Arbeitslosen im Dezember leicht um 3000 gestiegen. Im Westen sank die Zahl der Arbeitslosen zwar um 4000, aber im Osten stieg sie gleichzeitig um 7000. Die saisonbereinigte Arbeitslosenquote liegt im Moment bei 7,5 Prozent.

Experten waren überrascht, sie hatten damit gerechnet, dass die Arbeitslosigkeit weiter zurückgehen würde. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) macht vor allem den frühen und heftigen Wintereinbruch für das unerwartete Plus verantwortlich. Dazu komme, dass es im Dezember bereits weniger staatlich geförderte Ein-Euro-Jobs gegeben habe: Die Bundesregierung hat die Mittel für Arbeitsmarktprogramme gekürzt, so dass die BA in diesem Jahr 20 Prozent weniger ausgeben kann. Viele Jobcenter hätten im Dezember bereits vorausgreifend Geld bei den Ein-Euro-Jobs eingespart.

Der unerwartete Anstieg im Dezember ist für Experten aber kein Alarmsignal. Ökonomen rechnen vielmehr damit, dass die gute Entwicklung des Arbeitsmarktes in den kommenden Monaten weiter anhält. Die Bundesagentur für Arbeit erwartet, dass die Zahl der Arbeitslosen in diesem Jahr im Schnitt auf etwa drei Millionen sinkt. Das wären rund 240.000 weniger als im Jahr 2010. Viele Ökonomen sind noch optimistischer: „Wir erwarten, dass zum Jahresende weniger als drei Millionen Arbeitnehmer ohne Job sein werden“, sagt beispielsweise Eckart Tuchtfeld von der Commerzbank.

Das Jahr 2010 war für den deutschen Arbeitsmarkt das beste seit Anfang der 90er-Jahre. Im Jahresdurchschnitt sank die Zahl der Arbeitslosen um 179?000 auf 3,24 Millionen – den niedrigsten Stand seit 1992. Die Arbeitslosenquote sank im Jahresdurchschnitt von 8,2 Prozent auf 7,7 Prozent. „Der deutsche Arbeitsmarkt hat 2010 von der starken wirtschaftlichen Erholung profitiert“, sagte BA-Vorstandschef Frank-Jürgen Weise. „Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie Anfang der 90er-Jahre.“ Ausländische Medien sprachen deshalb bereits vom deutschen „Arbeitsmarktwunder“.

Solch eine Entwicklung hätte Anfang 2009 niemand vorhergesehen: Während der Rezession ist die deutsche Wirtschaftsleistung um 6,7 Prozent eingebrochen. Während aber in vielen anderen Industrieländern die Zahl der Arbeitslosen gleichzeitig rapide angestiegen ist, blieben hierzulande sowohl Beschäftigung als auch Arbeitslosigkeit relativ stabil. Die OECD schätzt, dass allein die verlängerte Kurzarbeit mindestens 200.000 Arbeitsplätze hierzulande erhalten hat. Auch die Reformen am Arbeitsmarkt und der Einsatz von Arbeitszeitkonten haben ihren Beitrag geleistet.

Mittlerweile ist nicht nur die Arbeitslosigkeit niedriger als vor dem Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise Anfang 2008; auch die Erwerbstätigkeit hat ihre damaligen Höchststände bereits weit übertroffen: Im vergangenen Jahr waren hierzulande rund 40,1 Millionen Menschen erwerbstätig; das sind 197?000 Menschen mehr als im Jahr zuvor. Das ist ein neuer Höchststand.

Die Zahl der Erwerbstätigen im so genannten tertiären Sektor, zu dem auch die Zeitarbeitsfirmen gehören, stieg im vergangenen Jahr um 330.000. Im produzierenden Gewerbe gab es dagegen weitere Verluste; dort sank die Zahl der Erwerbstätigen um 136.000. Damit setzt sich eine langfristige Verschiebung von der Industrie hin zum Dienstleistungssektor fort: Im Jahr 1991 arbeiteten noch knapp 60 Prozent aller Erwerbstätigen im Dienstleistungsbereich; im vergangenen Jahr waren es bereits 73,5 Prozent. Auch die Zahl der Stellen ist im vergangenen Jahr stark gestiegen: Zwischen Oktober 2009 und Oktober 2010 schufen Unternehmen und Staat fast 500?000 neue Stellen; davon waren mehr als die Hälfte Vollzeitstellen. Im Oktober waren hierzulande 28,28 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit werden im Moment in allen Branchen Stellen geschaffen.

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) reagierte prompt auf die Zahlen aus Nürnberg und sagte, er sehe das Ziel der Vollbeschäftigung in „realistischer Reichweite“. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) widersprach Brüderle: „Es ist absurd, vor dem Hintergrund der drei Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen von Vollbeschäftigung zu schwärmen“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki. Rund 1,4 Millionen Arbeitslose, die in der Statistik nicht auftauchen, befänden sich in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und hätten meist keine Perspektive. Die am härtesten betroffenen Erwerbslosen, nämlich Jugendliche, Langzeitarbeitslose, Migranten und ältere Arbeitnehmer profitierten am wenigsten vom derzeitigen Aufschwung.

In Deutschland gilt eine Arbeitslosenquote unter vier Prozent als Vollbeschäftigung. Demnach hätten wirtschaftlich besonders starke Bundesländer wie Bayern oder Baden-Württemberg bereits Vollbeschäftigung; dort liegen die Arbeitslosenquoten bei rund vier Prozent.

Auch Florian Fichtner, Konjunkturexperte am Deutschen Institut für Wirtschafsforschung (DIW), weist darauf hin, dass der Arbeitsmarkt die Wirtschaftskrise nur auf den ersten Blick vollständig überwunden habe. Auch Änderungen bei der Statistik seien verantwortlich dafür, dass die offizielle Zahl der Arbeitslosen stark gesunken sei. Im Frühjahr 2008 und Frühjahr 2009 wurde die Statistik nämlich so verändert, dass viele Arbeitslose aus der Statistik herausfallen: Das betreffe ältere Erwerbslose und Personen, die von privaten Arbeitsvermittlern und nicht mehr von der Arbeitsagentur betreut werden. „Ohne diese Veränderung der Statistik würde die Zahl der Arbeitslosen noch um 150?000 über dem Vorkrisenwert liegen“, sagt Fichtner.

Kurzarbeit fast verschwunden

Auch die Kurzarbeit wurde zwar seit dem Höhepunkt der Krise stark abgebaut, aber völlig verschwunden war sie bis in das vierte Quartal hinein immer noch nicht. Vor allem kleinere Betriebe haben offenbar noch mit einer schwachen Auftragslage zu kämpfen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit bekamen im Oktober noch 220.000 Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld. Das waren zwar 856.000 weniger als im Oktober 2009, aber seit September ist die Zahl kaum zurückgegangen.

Über die Bilanz der BA wird sich Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) trotzdem freuen: Weil sich der Arbeitsmarkt überraschend gut entwickelt hat, benötigt die Behörde für das vergangene Jahr 2010 weniger Geld als erwartet vom Bund. Das Defizit der Behörde lag am Jahresende bei 8,19 Milliarden Euro; davon muss sie 2,94 Milliarden Euro aus ihren eigenen Rücklagen bezahlen. Den restlichen Fehlbetrag in Höhe von 5,25 Milliarden Euro übernimmt der Bund, der einen Zuschuss zahlt. Das sind aber immerhin 700 Millionen Euro weniger als zuletzt geschätzt. Und gemessen an den Prognosen von vor einem Jahr hat der Bund ohnehin eine Menge Geld gespart: Damals war ein möglicher Zuschuss von bis zu 16 Milliarden Euro im Gespräch – der Schäuble nun erspart bleibt.

Quelle: Welt Online