Eine überraschend hohe Inflationsrate in Europa bringt Unruhe in der EZB. Einige Analysten erwarten eine Leitzinserhöhung.
Kräftig steigende Verbraucherpreise in den Euro-Ländern bringen die Europäische Zentralbank (EZB) in Zugzwang. Die Kosten für die Lebenshaltung zogen im Dezember um überraschend starke 2,2 Prozent an, wie die Statistikbehörde Eurostat mitteilte. Höhere Energie- und Lebensmittelpreise hievten die Inflationsrate erstmals seit mehr als zwei Jahren wieder über der Marke von zwei Prozent, bis zu der die Frankfurter Währungshüter mittelfristig stabile Preise gewahrt sehen. Auch in den kommenden Monaten dürfte sie darüber liegen. Experten rechnen deshalb damit, dass die EZB ihren Leitzins noch in diesem Jahr anheben wird.
„Wir erwarten für 2011 eine Inflationsrate von zwei Prozent“, sagte Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Thomas Mayer. „Die Leitzinsen auf historischen Tiefständen zu halten, ist deshalb nicht länger angemessen.“ Die EZB werde ab der zweiten Jahreshälfte ihren Leitzins anheben, den sie seit Mai 2009 auf dem Rekordtief von 1,0 Prozent hält. „Das wird der Beginn einer vorsichtigen Normalisierung sein“, sagte Mayer.
„Die Herren Weber und Stark werden jetzt unbequemer auf ihren Stühlen in Frankfurt sitzen“, sagte auch ING-Experte Carsten Brzeski über die beiden deutschen EZB-Ratsmitglieder Axel Weber und Jürgen Stark, die als geldpolitische Hardliner bekannt sind. Andere Analysten gehen trotzdem davon aus, dass die Währungshüter eine Politik der ruhigen Hand betreiben werden. „Wir erwarten nicht, dass die EZB reagieren wird“, sagte Commerzbank-Analyst Christoph Weil. „Sie wird die Zinsen nicht vor dem kommenden Jahr anheben.“ Sein Argument: Ohne die stets stark schwankenden Energie- und Lebensmittelpreise ist der Inflationsdruck immer noch recht gering. Auch die Finanzmärkte hätten keine überbordende Inflation eingepreist. „Erst wenn die Inflationserwartungen stetig steigen, bekommt die EZB ein Problem“, sagte Weil.
Der Leitzins gibt vor, zu welchem Preis sich Geschäftsbanken bei der EZB mit Geld eindecken können. Steigt er, werden auch Kredite an Unternehmen und Verbraucher teurer. Das wiederum dämpft die Nachfrage nach Investitionen und Konsum, was den Spielraum von Unternehmen für Preiserhöhungen einschränkt. Auf diese Weise kann die EZB die Inflation in Schach halten. Höhere Zinsen machen auch den wegen der Schuldenkrise schwächelnden Euro für Investoren attraktiver, was den Wechselkurs stützen dürfte und so den Import von vorwiegend in Dollar abgerechneten Importen wie Öl und anderen Rohstoffen verbilligen könnte.
Steigende Zinsen können aber auch die Konjunktur abwürgen, vor allem in den unter Schuldenkrise und Sparprogrammen ächzenden Sorgenländern wie Griechenland und Spanien. Im Zweifel hat für die EZB allerdings der Kampf gegen die Inflation Vorrang, der ihr wichtigster Auftrag ist. Wie ernst es die Notenbanker damit im Zweifel meinen, zeigt ein Blick zurück: Im Sommer 2008, als vor allem Energie und Nahrungsmittel zeitweise teurer wurden, setzten Weber und Stark eine Zinserhöhung durch - und das kurz vor der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers, die die Weltwirtschaftskrise ins Rollen brachte.