Die Euro-Rettung hat für Deutschland gravierende Folgen. Die Bundesrepublik steht in den kommenden fünf Jahren vor epochalen Veränderungen.

Das Geplänkel um die Reform von Hartz IV, der Überlebenskampf von FDP-Parteichef und Außenminister Guido Westerwelle und die Wahlen in diversen Bundesländern – all das wird Deutschland in den kommenden Monaten bewegen. Aber aus europäischer Sicht werden dies allenfalls Fußnoten sein. Was wirklich zählt aus Brüsseler Sicht, ist die Rettung des Euro. 2011 wird das Jahr der Entscheidung. Sollte die Rettung gelingen, wird dies mittelfristig Europa und Deutschland im Mark verändern.

Das mag pathetisch klingen und aus deutscher Sicht auch ein wenig unwirklich. Hierzulande steigen Löhne und Exporte, die Arbeitslosigkeit sinkt, Konsumenten und Unternehmen sind voller Optimismus – Deutschland ist zu Beginn des neuen Jahres endlich wieder ein Gute-Laune-Land. Aber diese Stimmung kann sehr schnell kippen. Deutschland ist stark, aber auch einsam.

Denn die Euro-Zone taumelt – nach einer kurzen vorweihnachtlichen Atempause – weiter dem Abgrund entgegen: Die Risikoaufschläge für zehnjährige griechische, spanische und italienische Anleihen haben zwischen den Jahren neue Höhen erreicht. Neben Portugal, Spanien und dem führungslosen Belgien gerät jetzt auch die zweitgrößte Euro-Volkswirtschaft Frankreich zunehmend ins Visier der Finanzmärkte.

Der EU-Hilfsfonds wird wohl verdoppelt werden

Die Stimmung auf der europäischen Polit-Bühne verharrt – trotz milliardenschwerer Rettungsaktionen – weiterhin in einem Schwebezustand zwischen Verunsicherung und Angst: In Brüssel erwartet eine überwältigende Mehrheit, dass der EU-Hilfsfonds für Pleite-Länder von derzeit 440 Milliarden Euro bis zum Sommer zumindest verdoppelt wird, weil nach Irland und Griechenland noch mehr Staaten gerettet werden müssen.

Natürlich kann derzeit niemand mit Gewissheit sagen, dass es so kommt. Aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Das hat mehrere Gründe. Die Märkte sind weiterhin sehr nervös, und sie haben – mit einigem Recht – wenig Vertrauen in die Problemlösungskapazitäten der verantwortlichen EU-Politiker.

Außerdem sieht es nach anfangs großem Getöse nicht mehr so aus, dass die EU-Länder einen zukunftsfähigen Stabilitätspakt, der wirksame Vorkehrungen zum Schuldenabbau und gegen neue Schuldenberge vorsieht, beschließen werden. Hinzu kommt, dass die europäischen Staaten, Banken und Unternehmen in diesem Jahr einen gigantischen Finanzierungsbedarf von 2,4 Billionen Euro haben – 40 Prozent mehr als 2010. Wahrscheinlich werden die wirtschaftlich schwachen Euro-Staaten im Kampf um Investoren und im Wettbewerb um Kapital Risikoprämien zahlen müssen, die mittelfristig für sie unbezahlbar sind.

Deutschland wird als Wächter und Stabilitätsgarant ausfallen

2011 wird also das entscheidende Jahr für die Lösung der akuten Euro-Krise. Langfristig wäre unsere Währung dann aber noch immer nicht über den Berg. Völlig unsicher ist beispielsweise, ob die geretteten Euro-Länder nach Auslaufen der EU-Hilfen wieder in der Lage sein werden, am Markt zu bezahlbaren Konditionen frisches Geld zu erhalten.

Wenn nicht, wird der Geldhahn im Namen der europäischen Solidarität wieder aufgedreht werden müssen – Ende offen. Ein solches Horrorszenario ist alles andere als unrealistisch. Denn trotz Sparkurs wird die Gesamtverschuldung Griechenlands bis 2012 laut EU auf 156 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) weiter steigen, in Irland auf 115 Prozent des BIP. Gleichzeitig sinken Wachstum und Einkommen. Dies wird das Misstrauen an den Kapitalmärkten weiter schüren.

Was bedeuten diese Entwicklungen für Deutschland und Europa? Erstens: Deutschland wird als Wächter über strikte Schuldenregeln und als Stabilitätsgarant künftig ausfallen – trotz aller gegenteiligen Sonntagspredigten aus Berlin.

Die Rettung wird mehr kosten als vorgegaukelt wurde

Die Bundesregierung hat zusammen mit Frankreich automatische Sanktionen für chronische Schuldensünder verhindert, und sie hat kurz vor Weihnachten ausdrücklich einem permanenten Milliarden-Rettungstropf („Europäischer Stabilisierungsmechanismus“) zugestimmt, der von 2013 an kriselnde Staaten aus der alleinigen Verantwortung für ihre verfehlte Politik entlässt und ihnen im Notfall „Solidarität“ zusichert.

Zweitens: Deutschland dürfte auch 2011 nicht in der Lage sein, Kernforderungen durchzusetzen. Wer die Währungsunion in ihrer jetzigen Form retten und Länder mit völlig unterschiedlicher Leistungskraft und Schuldenbelastung zusammenhalten will, wird wohl um eine Art Transferunion von reichen zu armen Ländern nicht mehr herumkommen.

Drittens: Die Rettung des Euro wird die deutschen Steuerzahler vermutlich viel mehr kosten, als ihnen jetzt vorgegaukelt wird. Es ist aus heutiger Sicht nicht zu erwarten, dass die geretteten Länder ihre Kredite in vollem Umfang zurückzahlen. Das wird gravierende Folgen haben für die deutsche Haushaltspolitik.

Deutschland wird niemals austreten

Viertens: Die Diskussionen über den Austritt Deutschlands aus dem Euro oder den Ausschluss von Schuldensündern sind Phantomdebatten. Angela Merkel hat sich im Bundestag festgelegt: „Niemand in Europa wird alleingelassen. Niemand in Europa wird fallen gelassen.“ Das waren Merkels wichtigste Sätze im Jahr 2010.

Die Partnerländer werden sie beim Wort nehmen. Merkels Versprechen könnte am Ende sogar zur Grundlage für die Einführung von sogenannten Eurobonds werden. Dieses Thema, also die Vergemeinschaftung von Risiken durch gemeinsame Anleihen und höhere Zinsen für Deutschland, dürfte schon sehr bald wieder auf der Tagesordnung stehen. Ob Eurobonds als Krisenabwehrinstrument wirksamer und billiger sind als Rettungsfonds, die immerzu von den Märkten ausgetestet würden, ist jedoch unsicher.

Und schließlich fünftens: Der Kampf für einen krisenfesten Euro wird die Volkswirtschaften der Euro-Zone immer enger miteinander verweben, es wird viel mehr Koordination und gegenseitige Kontrolle bei Steuern, Haushalt, Bildung und Wettbewerb geben. Merkel ist nach langem Winden mittlerweile im Grundsatz dazu bereit.

Diese Entwicklung wird die Rolle des Bundestages verändern, die föderalen Kompetenzen einengen, die nationalen Entscheidungsspielräume begrenzen und möglicherweise auch die deutsche Lohnpolitik verändern. Nach der Wiedervereinigung steht Deutschland in den kommenden fünf Jahren erneut vor epochalen Veränderungen.

Quelle: Welt Online