Die Umfrage unter den größten deutschen Lebensversicherungen zeigt: Verzinsung auch bei namhaften Anbietern sinkt deutlich.
Hamburg. In den nächsten Wochen bekommen Millionen Deutsche wieder Post von ihrer Lebensversicherung. Die Schreiben über den Stand der persönlichen privaten Altersvorsorge werden bestenfalls abgeheftet. Viel Aufmerksamkeit finden die mehrseitigen Briefe nicht, in denen meist mit Umschreibungen wie "auf hohem Niveau", "Topverzinsung" oder "weit über dem Kapitalmarkt" die tatsächliche Lage mehr verklärt als erhellt wird. Nur wer die Briefe aus mehreren Jahren nebeneinanderlegt und an den richtigen Stellen nachschaut, wird feststellen: Es wird immer weniger Geld, mit dem später die staatliche Rente aufgebessert werden soll.
In diesem Jahr lohnt erst recht ein aufmerksamer Blick in die Briefe der Versicherer. Denn 57 Prozent der Unternehmen werden die Überschussbeteiligung für die Kunden 2011 senken. Das ergibt sich aus der jährlichen Abendblatt-Umfrage bei den 40 größten deutschen Lebensversicherern, die einen Marktanteil von 88 Prozent haben. Betroffen sind die Besitzer von Kapitallebensversicherungen ebenso wie Kunden mit Rentenversicherungen und Riester-Verträgen. Mit einer geringeren laufenden Verzinsung, wie die Überschussbeteiligung auch genannt wird, sinkt der spätere Auszahlbetrag, oder die monatliche Rente fällt geringer aus. "Die Kunden müssen sich darauf einstellen, weit weniger zu bekommen als ihnen bei Abschluss der Versicherung zugesagt wurde", sagt Thorsten Rudnik vom Bund der Versicherten.
Nach der Abendblatt-Umfrage haben 23 von 40 Versicherern die Überschussbeteiligung um bis zu 0,40 Prozentpunkte gesenkt. Das sind zehn Unternehmen mehr als im Vorjahr und auch das Ausmaß der Kürzungen hat deutlich zugenommen. Denn zwölf der 23 senkenden Versicherer haben die laufende Verzinsung um 0,30 Prozentpunkte oder mehr reduziert. Darunter sind namhafte Anbieter wie die Debeka, der Volkswohl Bund und der Direktversicherer Europa. Kürzungen in diesem Ausmaß gab es im Vorjahr bei lediglich zwei Anbietern. Im Durchschnitt ergibt sich auf Basis der Abendblatt-Umfrage eine durchschnittliche Überschussbeteiligung von 4,08 Prozent nach 4,23 Prozent für 2010. Allein von den zehn größten Versicherern, die 53 Prozent des Marktes ausmachen, haben sechs die laufende Verzinsung reduziert, darunter auch Marktführer Allianz und der Zweitplatzierte, die R + V. "Spätestens im nächsten Jahr wird die Vier vor dem Komma nicht mehr zu halten sein", sagt Manfred Poweleit, Herausgeber des Branchendienstes map-Report.
Auch der Garantiezins für Neukunden soll 2011 sinken
Die Versicherer leiden unter den niedrigen Zinsen, denn fast 88 Prozent der 727 Milliarden Euro, die Lebensversicherer für ihre Kunden angelegt haben, stecken in Wertpapieren, für die es Zinsen gibt. Die Zinsen öffentlicher Schuldner sind seit Herbst 2008 - dem Ausbruch der Finanzkrise - um einen Prozentpunkt gefallen. Das verringert die Zinseinnahmen für die Versicherer jedes Jahr um 1,5 Milliarden Euro.
Gemessen an dem, was Sparer derzeit für ihr Geld bekommen, erreichen die Versicherer noch eine relativ hohe Verzinsung. "Entscheidend ist die reale Rendite, also was nach Abzug der Inflationsrate übrig bleibt. Dieser reale Zins ist auch derzeit attraktiv", sagt Ergo-Vorstand Daniel von Borries. Die Experten der Ratingagentur Fitch schätzen den durchschnittlichen Zinsertrag der Wertpapiere der Versicherer auf etwa 4,4 Prozent. Das erreichen sie nur mit lang laufenden Papieren, die noch eine hohe Verzinsung haben.
Schon seit Jahren müssen sich die Kunden mit sinkenden Überschussbeteiligungen abfinden. "Damit tragen die Gesellschaften den gesunkenen Zinsen am Kapitalmarkt Rechnung, denn wir haben bei der Rendite zehnjähriger Bundesanleihen im Jahr 2010 ein historisches Tief gesehen", sagt Reiner Will, Geschäftsführer der Ratingagentur Assekurata. "Wenn die Zinsen am Kapitalmarkt nur noch zwei bis drei Prozent betragen, wäre es von den Versicherern unsinnig, ihre Reserven zu plündern, um die Überschussbeteiligung konstant zu halten."
Wegen der niedrigen Zinsen soll in diesem Jahr auch der Garantiezins für Neukunden sinken, also jener Teil der Verzinsung, den der Versicherer über die gesamte Laufzeit dem Kunden fest zusagt. "Für die Bestandskunden ist der einmal zugesagte Garantiezins aber sicher", so von Börries. Das Bundesfinanzministerium möchte nur noch, dass 1,75 Prozent garantiert werden, die Versicherer tendieren zu zwei Prozent. Aktuell liegt der Garantiezins bei 2,25 Prozent. Diese Änderungen wirken sich immer nur auf neu abgeschlossene Verträge aus. Die Branche fürchtet deshalb, dass dann weniger Kunden für die private Altersvorsorge gewonnen werden können. "Das Neugeschäft wird einbrechen", sagt Poweleit. "Denn die Kombination zwischen sinkender Überschussbeteiligung und gekürztem Garantiezins ist das Schlimmste, was der Branche passieren kann." Schnelle Besserung ist nicht in Sicht. Die Analysten der Banken rechnen für 2011 kaum mit steigenden Zinsen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hält die Zinsen wegen der Probleme in einigen Euro-Staaten niedrig. "Das geht zulasten der Vorsorgesparer", sagt Poweleit.
Eine Kündigung der Versicherung bedeutet oft hohe Verluste
Die können nur wenig Einfluss auf die Entwicklung nehmen. Denn die Kündigung von Lebens- oder Rentenversicherungen geht meist mit hohen Verlusten einher. Eine akzeptable Ablaufleistung oder Rente können noch jene erwarten, deren Police in den nächsten Jahren endet und die bei einem Versicherer mit einer über dem Marktdurchschnitt liegenden Überschussbeteiligung sind. Unkalkulierbarer wird es für Sparer, die erst in zehn oder mehr Jahren die Ernte ihres Sparfleißes ernten wollen. Und wer jetzt erst einen Vertrag abschließt, hat die schlechtesten Aussichten, wenn die Zinsen nicht wieder deutlich steigen. "Jede Form der Geldanlage ist in der derzeitigen Situation für die Verbraucher ein Risiko, das schwer zu handhaben ist", sagt Poweleit. Die Lebensversicherung sei trotz aller Probleme noch das geringste Übel.