Der Gesetzgeber will Angehörige von Pflegebedürftigen stärker unterstützen. Zudem profitieren sie bald von der Legalisierung der Hilfskräfte aus Osteuropa.

Martha B. lag fast drei Stunden im Nachthemd auf den kalten Fliesen in der Küche ihrer Dreizimmerwohnung. In letzter Minute – die 87-Jährige war schon stark unterkühlt – wurde sie von einer Nachbarin gefunden. Für Günter B., den 58-jährigen Sohn, war es ein Schock. Jeden Tag in der Mittagspause kam der geschiedene Mann zu seiner Mutter, um ihr etwas zu essen warm zu machen. Nur dieses eine Mal hatte ihn ein Termin daran gehindert. Er hatte ihr versprochen, abends zu kommen und sie gebeten, nicht alleine zu kochen. Doch sie hatte auf ihren Abläufen bestanden.

Doch der Sturz öffnete ihm auch die Augen: Günter B. hatte zuletzt immer mehr Aufgaben im Haushalt der Mutter übernommen. Ihr Rheuma hatte zugenommen, ihr Gedächtnis nachgelassen. Jetzt hatte er erkannt: Seine Mutter war ein Pflegefall. Ins Heim wollte er sie aber nicht geben – also musste eine Pflegekraft her. Zu teuer, dachte Günter B. – bis ihm der Pfarrer der örtlichen Gemeinde die Telefonnummer von Maria gab. Sie stammt aus der Slowakei, kümmert sich jetzt rund um die Uhr um Günter B.s Mutter, bekommt dafür 1000 Euro im Monat – und arbeitet schwarz.

Laut Familienministerium sind 2,25 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig. Tendenz steigend. 68 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause in den eigenen vier Wänden gepflegt. Davon wiederum, so steht es im Familienreport der Bundesregierung, übernehmen in zwei Dritteln der Fälle Angehörige die Pflegeaufgaben alleine, in einem Drittel der Fälle hilft ein ambulanter Pflegedienst. Doch ausgebildete Pflegekräfte sind teuer. Hilfe bieten Vermittlungsagenturen, die Kontakt zu Helfern aus Osteuropa herstellen. Ab Mai 2011 wird deren Anstellung dank Öffnung des Arbeitsmarkts leichter. Und auch der Gesetzgeber will den Angehörigen stärker unter die Arme greifen.

„Wir müssen den Erkrankten eine Stimme geben und pflegende Angehörige unterstützen“, kündigte Familienministerin Kristina Schröder (CDU) an. „Pflegende Angehörige brauchen vor allem Zeit für diese Aufgabe.“ Die will ihnen die Ministerin durch das Gesetz zur Familienpflegezeit geben. Mitte kommenden Jahres soll es in Kraft treten. Berufstätige sollen ihre Arbeitszeit dann für bis zu zwei Jahre auf 50 Prozent reduzieren können, dafür aber 75 Prozent ihres Gehalts bekommen. Zum Ausgleich müssen sie später wieder voll arbeiten, bekommen aber weitere zwei Jahre nur 75 Prozent des Gehalts.

Viele Menschen sind aber mit der häuslichen Pflege überfordert, auch wenn sie Zeit haben, und brauchen Unterstützung durch ausgebildete Pflegekräfte. Und die kosten viel Geld: Für eine 24-Stunden-Betreuung würde ein Pflegedienst mehrere Mitarbeiter einsetzen und pro Monat rund 10.000 Euro berechnen. Eine einzelne Fachkraft, die bei einem kranken Menschen für mehrere Monate einzieht, ist nur schwer zu finden. Die Kosten dafür schätzt die Stiftung Warentest auf etwa 6000 Euro pro Monat.

Osteuropäische, gut ausgebildete Pflegekräfte sind eine günstige Alternative. Für viele die einzige. Denn die gesetzliche Pflegeversicherung zahlt nicht annähernd so viel als Pflegegeld aus. 440 Euro monatlich sind es bei Pflegestufe I, 1040 Euro bei Pflegestufe II. Selbst für die höchste Pflegestufe III gibt es nur 1510 Euro – den Rest müssen entweder der Pflegebedürftige oder dessen Angehörige aufbringen.

Dieses Problem hat auch die Bundesagentur für Arbeit erkannt. Seit acht Jahren vermittelt sie über die Zentralstelle für Auslandsvermittlung (ZAV) osteuropäische Helferinnen an pflegebedürftige Menschen. Deutschland arbeitet dabei mit den Arbeitsagenturen in Polen, Tschechien, der Slowakei, Slowenien, Ungarn, Bulgarien und Rumänien zusammen. Allerdings dürfen die durch die ZAV vermittelten Pflegekräfte nur 38,5 Stunden pro Woche arbeiten – meist reicht das nicht, ein ambulanter Pflegedienst wird zusätzlich benötigt.

Außerdem wird der Pflegebedürftige in diesem Fall zum Arbeitgeber mit allen verbundenen Pflichten und Zusatzkosten. Die über die Arbeitsagentur vermittelten Kräfte haben Anspruch auf mindestens 26 Tage bezahlten Urlaub pro Jahr, der Pflegebedürftige muss den Arbeitgeberanteil an der Sozialversicherung abführen und für seine Pflegekraft eine Unfallversicherung abschließen. Und wird die Pflegerin krank, muss ihr Lohn sechs Wochen lang weitergezahlt werden, von der Ersatzkraft, die man finden und bezahlen muss, ganz zu schweigen.

Arbeitskräfte vom grauen Pflegemarkt

Viele Familien suchen sich daher eine Betreuungskraft auf dem grauen Pflegemarkt. Mehrere Zehntausend Helfer aus Osteuropa betreuen Schätzungen zufolge in Deutschland pflegebedürftige Menschen zu Hause. Die meisten von ihnen arbeiten unter der Hand. Häusliche Pflege sei keine Dienstleistung, die frei über alle europäischen Grenzen hinweg angeboten werden dürfe, meint etwa der für die Schwarzarbeitsbekämpfung zuständige Zoll. Wer Schwarzarbeiter beschäftigt, muss mit einem Bußgeld rechnen. 300 Euro werden dann fällig. Leitet die Staatsanwaltschaft ein Verfahren ein oder fordert die Rentenversicherung im Nachhinein Sozialabgaben, können aber auch Tausende Euro daraus werden.

Eine legale Alternative sind Vermittlungsagenturen, die im Rahmen der EU-Dienstleistungsfreiheit mit osteuropäischen Pflegeunternehmen kooperieren. Diese Unternehmen dürfen ihre Dienste auch in Deutschland anbieten. Grundlage ist ein Vertrag, den die betroffene Familie mit einer Vermittlungsagentur abschließt. Die Agentur hat wiederum einen Vertrag mit dem Pflegeunternehmen im Ausland – und das entsendet seine dort fest angestellten und gemeldeten Mitarbeiter in die deutschen Haushalte. Einzige Voraussetzung: Die Behörden des Herkunftslandes müssen eine sogenannte Entsendebescheinigung erteilen.

Dumpinglöhne bei Pflegekräften?

Das Problem dabei ist, eine seriöse Agentur zu finden. Denn nicht immer geht es bei der Entsendung der osteuropäischen Fachkräfte mit rechten Dingen zu. Der Marktführer auf diesem Gebiet, Promedica24, geriet jüngst unter Verdacht, seine polnischen Pflegekräfte zum einen mit Dumpinglöhnen abzuspeisen und zum anderen die Steuern und Sozialabgaben in Polen zu hinterziehen. „Das ganze System funktioniert in vielen Fällen nur mit Ausbeutung, Täuschung und Betrug“, meint Christian Bohl, zweiter Vorsitzender des Bundesverbandes Europäischer Betreuungs- und Pflegekräfte (BEBP). „Die Politik muss das endlich zur Kenntnis nehmen und dem einen Riegel vorschieben.“ Die Forderung des Verbandes: Die Selbstständigkeit von Betreuungs- und Pflegekräften müsse endlich anerkannt werden. Dann bräuchten sie auch kein ausleihendes Unternehmen mehr – und keine Vermittlungsagentur.

Ab Mai könnte alles jedoch ganz schnell gehen. Dann endet die Übergangsfrist, die Deutschland bei der EU-Osterweiterung für die Freizügigkeit von Arbeitnehmern ausgehandelt hatte. Jeder private Haushalt kann dann eine Arbeitskraft aus osteuropäischen Staaten selbst suchen und einstellen. So profitieren Pflegebedürftige noch von der EU.

Quelle: Welt Online