Zeitarbeit bietet Älteren gute Chancen für einen neuen Job, sagt Rolf Steil, Chef der Hamburger Arbeitsagentur
Hamburg. Der Chef der Hamburger Arbeitsagentur beurteilt die künftige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt positiv. Über die Wirkung der Zeitarbeit, Chancen der über 50-Jährigen sowie Jobs mit Zukunft für junge Leute sprach das Abendblatt mit Rolf Steil.
Hamburger Abendblatt:
Herr Steil, 2010 war die Arbeitslosigkeit in Hamburg niedriger als erwartet. Setzt sich der Trend 2011 fort?
Rolf Steil:
Alle Zeichen sprechen dafür. Die für Hamburg prognostizierten 2,5 Prozent Wachstum reichen in jedem Fall aus, um neue Jobs zu schaffen. Hamburg hat sich im November sogar besser entwickelt als der Bund. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit lag im Jahresvergleich bei 10,6 Prozent auf knapp 70 000, während die Arbeitslosigkeit bundesweit um 8,8 Prozent sank.
Mit welchen Höchst- und Tiefstständen ist 2011 zu rechnen?
Steil:
Im April/Mai könnten es mehr als 80 000 Arbeitslose werden. Im Herbst dürfte sich die Zahl in Richtung 60 000 bewegen.
Die Gewerkschaften fordern zurzeit sechs bis sieben Prozent mehr Lohn. Wird das den Jobzuwachs drosseln?
Steil:
Davon gehe ich nicht aus. Die Arbeitnehmer haben über die Kurzarbeit auf Lohn verzichtet, nun sind die Arbeitgeber an der Reihe, etwas vom Aufschwung an die Belegschaften weiterzugeben. Allerdings wird das Lohnplus insgesamt deutlich niedriger ausfallen als im Moment gefordert.
Die Beiträge zur Bundesanstalt sollen 2011 von 2,8 auf 3,0 Prozent steigen. Ist das bei sinkenden Arbeitslosenzahlen notwendig?
Steil:
Ja, aus zwei Gründen. Zum einen sind die Kassen der Bundesagentur nach der Krise leer. Die gut 16 Milliarden Euro Überschuss sind für Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld verbraucht. Zum anderen ist es die demografische Entwicklung. Es geht jetzt darum, möglichst viele der arbeitslosen Menschen für den Aufschwung fit zu machen. Das gilt auch für Hamburg. In der Stadt haben 53 Prozent oder 36 854 Arbeitslose keine abgeschlossene Ausbildung. Ihre Qualifizierung kostet Geld. Tendenziell müsste der Beitragssatz auf vier Prozent steigen. Ansonsten drohen die Agenturen zu reinen Versicherungskassen zu werden, die nur noch Geld auszahlen.
Die vom Bund bereitgestellten Mittel für Ein-Euro-Jobber und andere Programme werden aber für 2011 zusammengestrichen. Welche Folgen hat dies?
Steil:
In Hamburg sinkt die Summe von 187 auf 133 Millionen Euro. Bei allen Programmen, von der Weiterbildung bis hin zu den Ein-Euro-Jobs, wird gleichmäßig gekürzt. Dadurch werden wieder mehr Menschen in der Arbeitslosenstatistik auftauchen, die zuvor in Fördermaßnahmen waren. Dagegen stehen aber die besseren Chancen am Arbeitsmarkt.
Ältere Menschen gehören bisher zu den Sorgenkindern am Arbeitsmarkt. Wie stehen ihre Jobchancen?
Steil:
Dieses Problem wird sich entspannen, jedenfalls für die Menschen über 50, die eine Ausbildung haben. Wir raten ihnen, auch über die Zeitarbeit einen Arbeitsplatz zu suchen.
Experten kritisieren bei der Zeitarbeit, dass über sie kaum Menschen in dauerhafte Anstellungen wechseln ...
Steil:
Tatsächlich werden pro Jahr zwischen acht und 13 Prozent der Zeitarbeiter von den Firmen übernommen. 80 Prozent der Helfer kommen heute von der Zeitarbeit. Insbesondere hoch qualifizierte Ingenieure wollen Zeitarbeitsfirmen ungern abgeben, weil sie mit ihnen gut verdienen. Der richtige Weg wäre, allen Zeitarbeitern das gleiche Salär zu zahlen wie den Festangestellten. Ein Beispiel dafür ist Airbus.
Auch bei den Migranten ist die Arbeitslosenzahl hoch. Was muss geschehen, damit sich das ändert?
Steil:
Bei den jungen Menschen geht es zunächst darum, rasch die deutsche Sprache zu lernen. Ihnen muss zudem bewusst werden, dass mit der Bildung ein Aufstieg verbunden ist. Wie wichtig dieses Problem ist, wird an den Schulanfängern in Hamburg deutlich: Knapp 50 Prozent von ihnen haben einen Migrationshintergrund.
Wie sieht es bei den Erwachsenen aus?
Steil:
Ihre Kenntnisse werden viel zu wenig genutzt, und das ist nicht fair.
Wie meinen Sie das?
Steil:
Es gibt noch immer kein Verfahren und keine Fristen dafür, wie ein Abschluss im Ausland in Deutschland bewertet wird. Das bedeutet, dass diese Menschen entweder arbeitslos bleiben, Aushilfstätigkeiten annehmen müssen oder rasch in andere Länder abwandern. Ausländer sollen aber ihre Kenntnisse in Deutschland anwenden können. Das ist im Interesse der gesamten Volkswirtschaft.
Hoch qualifizierte Akademiker sind aber willkommen?
Steil:
Die sollen künftig leichter einen Arbeitsplatz bekommen, wenn die Agenturen nicht mehr prüfen müssen, ob es einen deutschen Bewerber gibt.
Müssen in Hamburg mehr Lehrstellen geschaffen werden, um den Fachkräftemangel zu reduzieren, oder reichen auch im kommenden Jahr die bestehenden 14 000 Angebote aus?
Steil:
Die Zahl reicht für 2010 und für 2011. Aber es zeichnet sich für Hamburg ein neues Problem ab.
Welches Problem?
Steil:
Knapp 70 Prozent der Haupt- und Realschüler wollen im Anschluss eine weiterführende Schule besuchen. Damit besteht die Gefahr, dass es künftig nicht mehr genug Bewerber für Ausbildungen gibt.
Lässt sich hier nicht durch die Unternehmen gegensteuern?
Steil:
Die Firmen müssen bereit sein, auch weniger qualifizierten Jugendlichen eine Chance zu geben. Um dies zu unterstützen, wird die Agentur im kommenden Jahr eine sozialpädagogische Betreuung aufbauen.
Welche Ausbildungen und Berufe bieten jungen Menschen heute eine gesicherte Zukunft?
Steil:
Bekannt ist, dass im Gesundheitswesen Fachkräfte fehlen, also etwa Krankenschwestern oder Altenpfleger. Aber auch die klassischen Industrieberufe vom Mechaniker bis zum Chemikanten bieten Zukunft und dazu eine gut bezahlte Ausbildung. Kaufleute, Tischler, Maurer, Zimmerer und Elektriker sind ebenfalls gesucht. Wer seine Lehre gut abschließt, dürfte kaum Schwierigkeiten haben, eingestellt zu werden.
Herr Steil, Sie gehen im April in den Ruhestand. Was haben sie sich vom 1. Mai an vorgenommen?
Steil:
Im Sommer möchte ich für vier Wochen nach Korsika. Eine solche Reise mit dem Motorrad und einem Ein-Mann-Zelt war immer ein Traum. Einen leichten Campingkocher habe ich schon.
Gibt es schon einen Nachfolger bei der Agentur?
Steil:
Die Ausschreibung läuft noch. Der neue Leiter wird jemand sein, der schon eine große Arbeitsagentur geführt hat und daher nicht aus Hamburg kommt.