Euro-Zonen-Chef Juncker kritisiert Kanzlerin Merkel wegen Nein zu Euro-Anleihen scharf. Experte sieht nur geringen Zinsaufschlag.
Brüssel/Hamburg. Der Streit in der EU über die Rettung des Euro wird heftiger. Dabei gerät Deutschland zunehmend ins Visier. Jetzt hat Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker die Bundesregierung wegen ihrer ablehnenden Haltung zur Einführung von gemeinsamen Anleihen der Euro-Zonen-Länder scharf attackiert. "Deutschland denkt da ein bisschen simpel", sagte Juncker, der als Vorsitzender der 16 Euro-Länder innerhalb der EU ein besonderes Gewicht hat, der "Zeit". Man lehne die Idee ab, "ohne dem Vorschlag unter den Rock zu schauen", sagte er. "Diese Art, in Europa Tabuzonen zu errichten und sich gar nicht mit den Ideen anderer zu beschäftigen, ist eine sehr uneuropäische Art europäische Geschichte zu erledigen."
Die Bundesregierung wies die Kritik scharf zurück. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, es helfe niemandem, wenn die einzelnen Akteure sich gegenseitig als uneuropäisch bezeichneten. Der Vorschlag gemeinsamer Staatsanleihen der Euro-Länder sei nicht neu und von der Bundesregierung ernsthaft geprüft worden. Berlin hat rechtliche und ökonomische Vorbehalte. Es seien dazu Veränderungen des EU-Vertrags nötig. Außerdem will die Bundesregierung verhindern, dass der Druck auf die Schulden-Staaten, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen, nachlässt. Derzeit verkaufen alle Euro-Länder einzeln Staatsanleihen, um an Geld zu kommen. Je nach Haushaltslage und Stärke ihrer Wirtschaft zahlen sie dafür unterschiedlich hohe Zinsen. Deutschland muss die niedrigsten Zinsen aufwenden.
Bei der Einführung von gemeinsamen Euro-Anleihen würde Deutschland für die Risiken anderer Länder mithaften und selbst höhere Zinsen zahlen. Dies würde die deutschen Steuerzahler mit Milliarden belasten. Finanzexperte Robert Rethfeld schätzt die Rendite einer solchen Euroland-Anleihe rein rechnerisch auf 3,90 Prozent. Zum Vergleich: Deutschland kann sich gegenwärtig mit 2,95 Prozent refinanzieren. Der Aufschlag würde also bei rund einem Prozentpunkt liegen. "Ein gemeinsamer Anleihemarkt würde die Gesamtliquidität erhöhen, was mit einer Zinssenkung um vielleicht 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte einherginge", sagt Rethfeld. "Um ein vielleicht 0,5 Prozent höheres Zinsniveau gegenüber Bundesanleihen würde ganz Europa an Stabilität gewinnen."
Eine Obergrenze für die Staatsverschuldung könnte zudem verhindern, dass sich Länder beliebig hoch auf Kosten von anderen Staaten verschulden können. Wenn ein Land einen höheren Finanzbedarf hat, müsste es eigene Anleihen ausgeben und dafür auch höhere Zinsen zahlen.
Der Streit zwischen Juncker und Merkel, der auch von persönlichen Animositäten geprägt ist, dürfte sich bis zum EU-Gipfel Mitte Dezember weiter zuspitzen. Juncker, der kürzlich von Altbundeskanzler Helmut Schmidt als eine der wenigen "Führungspersönlichkeiten" in Europa bezeichnet wurde, sucht derzeit Verbündete für seine Idee. Die meisten südeuropäischen Staaten, wie Italien und Portugal, sind dafür. Neben Deutschland sind vor allem die Niederlande, Finnland und Österreich dagegen.
Hinter der Attacke Junckers steht auch das Gefühl zahlreicher kleinerer EU-Länder, Merkel würde sie nicht ernst genug nehmen. Hohe EU-Kreise kritisieren seit Monaten, Merkel zeige "extrem wenig Sensibilität" auf der europäischen Bühne. Sie werfen ihr sogar "Erpressung" vor.