Betrüger verdienen Milliarden mit dem illegalen Handel rezeptpflichtiger Medikamente. Viele Hamburger bekommen obskure Werbeangebote.
Hamburg. Die Eintrittskarte zum Schwarzmarkt sieht so unscheinbar aus wie eine Postkarte. Als Werbezettel liegt sie dieser Tage in den Briefkästen vieler Hamburger - und die Versprechen auf der Rückseite klingen verheißungsvoll: Eigentlich verschreibungspflichtige Medikamente seien rezeptfrei im Internet bestellbar, der Versand weltweit kostenlos, die Abwicklung "sicher, einfach, diskret". Ob Potenzmittel wie Viagra, Schlankheitspillen oder das Grippemedikament Tamiflu - Internetseiten haben all das im Angebot, was in einer herkömmlichen Apotheke nur auf Anweisung eines Arztes zu haben ist.
Gefälschte Pillen führten sogar zu Todesfällen
Schon seit Jahren boomt der illegale Medikamentenhandel, und das nicht nur in Deutschland. Dass die Kunden jetzt nicht mehr nur mit fragwürdigen Spam-E-Mails, sondern mit einem gedruckten Werbezettel in ihren Briefkästen geködert werden sollen, ist jedoch neu. Dr. Ursula Sellerberg von der Bundesvereinigung der deutschen Apothekerverbände (ABDA) bestätigt dem Abendblatt: "Das Haupteinfallstor ist bislang das Netz. Die Betreiber der illegalen Apotheken richten sich Internetseiten zum Beispiel in Hongkong oder auf den Bahamas ein und verschicken massenweise E-Mails."
Vertrieben werden zumeist sogenannte Lifestyle-Medikamente, also Schlankheits-, Potenz- oder Haarwuchsmittel, aber auch sehr teure Arzneien, die im Kampf gegen Krebs oder Aids eingesetzt werden. Zu unterscheiden ist dabei, ob es sich um Originalmedikamente oder Plagiate handelt. "Im Prinzip wird alles gefälscht, was Geld bringt", so Sellerberg, "selbst Hustensaft und einfache Schmerzmittel sind auf dem Schwarzmarkt zu haben." Weil es für den Verbraucher meist jedoch nicht möglich ist, das eine vom anderen zu unterscheiden, ist die Einnahme der illegal gehandelten Mittel auch immer mit Gefahren verbunden. Nicht selten enthalten sie giftige Inhaltsstoffe oder Verunreinigungen. Manche vom Zoll sichergestellten Präparate waren beispielsweise mit Babypuder gestreckt oder mit Straßenteer überzogen.
"Für den Verbraucher können die gesundheitlichen Schäden immens sein", stellt Expertin Sellerberg klar. Selbst Todesfälle sind in diesem Zusammenhang bekannt - auch durch eine zu hohe Dosierung der Wirkstoffe. Im besten Fall ist den illegalen Medikamenten nichts als Mehl oder Backpulver enthalten - oder der Wirkstoff in einer deutlich geringeren Menge als auf der Verpackung angegeben. "Den Herstellern ist egal, was in den Tabletten drin ist", so Sellerberg. "Für sie zählt nur der Profit." Wie viel Umsatz im illegalen Medikamentenhandel generiert wird, ist schwer schätzbar. Die Weltgesundheitsorganisation geht für das Jahr 2010 von rund 56 Milliarden Euro aus. Der internationale Verband der Arzneimittelhersteller schätzt den Anteil der gefälschten Medikamente an allen Arzneien auf etwa sieben Prozent. Wegen der Dunkelziffer stellt das Bundeskriminalamt (BKA) die Aussagekraft solcher Zahlen jedoch infrage. Eine andere Art der Annäherung wählt die ABDA: "Der Handel mit gefälschtem Viagra beispielsweise ist mittlerweile lukrativer als der Handel mit Kokain", sagt Ursula Sellerberg. Nach ABDA-Berechnungen ist ein Kilo Viagra auf dem Schwarzmarkt für durchschnittlich 90 000 Euro zu haben. Ein Kilogramm Kokain koste geschätzte 65 000 Euro und Heroin rund 50 000 Euro. Woher die Fälschungen kommen, ist dem BKA nicht genau bekannt. Hinweise gehen in Richtung Osteuropa, Südostasien und Südafrika. Die Höhe des wirtschaftlichen Schadens, der jährlich durch Arzneimittelfälschungen entsteht, beziffern Pharmaunternehmen auf bis zu 19 Milliarden Euro.
Der Handel mit gefälschten Arzneimitteln wird in Deutschland mit Geld- oder Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren, in schwerwiegenden Fällen mit bis zu zehn Jahren bestraft. An den EU-Grenzen hat der Zoll 2009 rund 11,5 Millionen gefälschte Medikamente abgefangen - 30 Prozent mehr als noch 2008. Selten steht jedoch eine korrekte Absenderadresse auf den Umschlägen - und auch auf anderen Wegen ist eine juristische Verfolgung schwer. Denn die illegalen Onlineapotheken laufen zumeist auf solchen Servern, die vor allem eines sind: ziemlich weit weg von den deutschen Behörden. Im Impressum eines Internetanbieters ist zum Beispiel eine Adresse in Griechenland angegeben. Eingerichtet ist diese Seite allerdings in der Türkei. "In den meisten Fällen stehen nur Briefkastenfirmen dahinter", sagt Sellerberg. Ein Anruf bei der angeblichen Kundenhotline ist entsprechend erfolglos: Zu hören ist Musik und die Ansage, dass alle Leitungen belegt seien. Schließlich wird man aufgefordert, eine Nachricht zu hinterlassen, und das Gespräch ist beendet.
Beim Kauf einer 12er-Packung Viagra gibt's zwei Pillen als Bonus obendrauf
Was die Konsumenten trotz der Gefahren zum Kauf verleiten dürfte, ist wohl immer auch der günstigere Preis. Nach Angaben des Herstellers Pfizer Pharma kostet eine 12er-Packung Viagra mit 100 mg Wirkstoff 164 Euro. Im illegalen Onlinehandel ist ein Preis von 125 Euro für die gleiche Packung angegeben - und zwei Extrapillen gibt es als Bonus obendrauf. Kommt es zu Nebenwirkungen, hilft dann aber doch nur der Gang zum Arzt. "Rein rechtlich hat der Verbraucher beim Kauf illegaler Medikamente für den Eigenbedarf zunächst nichts zu befürchten", sagt Apothekerin Sellerberg. "Gefährlich wird es vor allem für die Gesundheit."