Die Beiträge sollen steigen: Die Union hat für 2011 eine Reform der Pflegeversicherung angekündigt – und ruft zu privater Vorsorge auf.
Unions-Fraktionschef Volker Kauder hat für das kommende Jahr eine Reform der Pflegeversicherung angekündigt. Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssten sich auf höhere Beiträge einstellen, sagte er vor der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Fraktion. Laut Anette Widmann-Mauz (CDU), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, werden mehrere Ministerien bald mit Vorarbeiten für die Reform beginnen. Die „Angebotspalette“ der Pflegeversicherung solle ausgeweitet werden, sagte sie.
Kauder betonte, die zunehmende Zahl Pflegebedürftiger werde dazu führen, dass die Leistungen der Pflegeversicherung „ohne Erhöhung der Beiträge nicht mehr darstellbar“ seien. Gleichzeitig sollten die Versicherten zusätzlich privat Vorsorge betreiben. Ohne solche Kapitalbildung werde die Pflegeversicherung wegen des Altersaufbaus der Gesellschaft nicht mehr auskommen, sagte Kauder. Darüber müsse man noch intensiv diskutieren. Die solidarische Finanzierung der Versicherung bleibe erhalten.
Seit 2008 liegt der Beitrag zur Pflegeversicherung bei 1,95 Prozent des Bruttoeinkommens. Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen ihn zu gleichen Teilen. Versicherte ohne Kinder zahlen 2,2 Prozent. Wann genau die geplante Pflegereform in Kraft treten soll und wann die Beiträge steigen, war gestern nicht zu erfahren. Die Reform könne stufenweise kommen, hieß es.
Im Koalitionsvertrag von Union und FDP ist eine Ergänzung der Pflegeversicherung durch einen neuen Kapitalstock vorgesehen. Er soll „verpflichtend, individualisiert und generationengerecht ausgestaltet“ sein. Ähnlich wie bei der „Riester-Rente“ könnte jeder Versicherte dann neben der Pflichtversicherung selbst Vorsorge betreiben und den angelegten Betrag später als Leistung erhalten.
Dem jüngsten Bericht der Bundesbank zufolge befindet sich die Pflegeversicherung derzeit in den schwarzen Zahlen. Nach Angaben des Verbands der gesetzlichen Krankenversicherung könnten die die Pflegekassen aber schon im nächsten Jahr mehr Geld ausgeben als sie einnehmen. Das erwartete Defizit in Höhe von 200 bis 300 Mio. Euro müsse aus den vorhandenen Rücklagen gedeckt werden. FDP-Politiker Heinz Lanfermann sagte WELT ONLINE, die Pflegeversicherung habe „auf jeden Fall“ bis 2013 genügend Geld. Beitragserhöhungen seien deshalb noch nicht nötig.
Selbst wenn der Begriff der Pflegebedürftigkeit neu definiert werde, wie es die alte Bundesregierung bereits geplant hat, müsse dies „nicht zwingend teurer“ werden, so Lanfermann. Sollten zusätzliche Leistungen eingeführt werden, könnten diese möglicherweise aus dem neuen privaten Kapitalstock bezahlt werden: „Eine zusätzliche Säule, die von den Versicherten finanziert wird, soll etwas von den Belastungen auffangen, die bei der Pflege auf uns zukommen“, sagte Lanfermann. Für diesen Kapitalstock seien zunächst „einstellige Beträge pro Monat“ nötig, die in den folgenden Jahren steigen würden. Der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn sagte, die Pflegebedürftigkeit dürfe nicht neu definiert werden ohne eine ergänzende Kapitaldeckung einzuführen: „Das muss zusammen im selben Gesetz kommen“, sagte er.
Staatssekretärin Widmann-Mauz bekräftigte, die Koalition wolle einen „differenzierten Begriff der Pflegebedürftigkeit“ erarbeiten, der nicht nur körperliche Beeinträchtigungen berücksichtigt, sondern auch anderweitigen Betreuungsbedarf umfasst. Dazu gebe es bereits Pläne. „Die weitere Diskussion muss im Zusammenhang mit der zukünftigen Finanzierung der Pflegeversicherung gesehen werden.“
Nach Angaben der gesetzlichen Krankenversicherung würde ein neuer Pflegebegriff zusätzliche Kosten bis zu fünf Mrd. Euro bedeuten. Dies entspräche einer Beitragssteigerung um 0,5 Prozentpunkte. Experten halten eine neue Definition von Pflegebedürftigkeit für notwendig, damit Demenzkranke leichter Leistungen der Pflegeversicherung erhalten können. Bisher gibt es drei Pflegestufen, die sich primär an körperlichen Gebrechen orientieren. Künftig soll es fünf Pflegestufen geben, die auch Gedächtnisleistungen und psychische Probleme alter Menschen mit einbeziehen. Konkrete Vorschläge für ein neues System hatte letztes Jahr ein Beirat des Gesundheitsministeriums vorgelegt.
Eine Pflegereform hätte auch Auswirkungen für Privatpatienten. Ihre verpflichtende Pflegeversicherung umfasst dieselben Leistungen wie die gesetzliche Versicherung und würde entsprechend teurer. Ein Sprecher des Verbands der Privaten Krankenversicherung sagte: „Prinzipiell gehen wir bei der Reform mit, sie muss nur sauber finanziert sein.“ Eine zusätzliche Kapitaldeckung sei notwendig. Falls ein Kapitalstock aufgebaut werden soll, könnte dies für Streit zwischen den gesetzlichen und den privaten Versicherern sorgen. Letztere sehen in diesem Bereich ein lukratives Geschäftsfeld. Die gesetzlichen Kassen lehnen dies ab und wollen den Kapitalstock lieber in Eigenregie aufbauen.