Erst Ed Hardy, nun Hollister: Marketing-Strategen greifen tief in die Trickkiste, um Kundschaft anzulocken – der Verbraucher merkt es oft nicht.

Über eine Stunde wartet Emma nun schon in der Schlange im Frankfurter Einkaufstempel „MyZeil“. Die zierliche Studentin steht vor einer grünen Strandhütte, durch deren Fenster nur schemenhaft zu erkennen ist, was sich dahinter befindet. In drei Linien haben sich die Wartenden mittlerweile aufgereiht. Geduldig harren sie aus und hoffen darauf, eingelassen zu werden. Dann endlich: ein Nicken. Einer der beiden muskelbepackten, nur mit Badehosen bekleideten Türsteher lächelt Emma zu. Sie hat es geschafft. Sie darf rein. Für sie öffnet sich die Tür zur einzigen Deutschland-Filiale der amerikanischen Modemarke Hollister.

Wonach Emma giert, ist der Legende nach ein Produkt mit Gesichte. Sie beginnt mit dem 21-jährigen John M. Hollister. Er ist ein Mann mit einem „unstillbaren Durst nach Abenteuer, Reisen und Schönheit“, der aus der Spießigkeit seines Elternhauses im US-Bundesstaat Maine flüchtet. Nach einem Abstecher in das heutige Indonesien landet er in Kalifornien, um dort 1922 den Vorläufer der heutigen Firma Hollister Co. zu gründen.

Der Haken nur: Die Geschichte ist erfunden. Im Jahr 2000, dem Jahr, in dem Hollister wirklich gegründet wurde, hat sich vielmehr ein gewiefter Marketing-Experte den Gründungsmythos ausgedacht, um einer unbekannten Marke Gewicht zu verleihen. Das hat in den USA gut funktioniert. Nachdem dort die Wachstumsgrenzen erreicht sind, wird Europa abgegrast. Hunderte Menschen tummeln sich jeden Tag vor dem unscheinbaren Frankfurter Laden, obwohl das Unternehmen kaum für sich wirbt, nicht in Anzeigen, noch im Fernsehen. Die Erfinder haben mit raffinierten Methoden einen Kult geschaffen, der weltweit Jünger hat.

Zu dieser Einkaufsreligion passen die glatten Körper, die die Türsteher vor dem Frankfurter Laden mimen. Die Botschaft ist klar: Wer hier rein darf, gehört dazu. Die langen Wartereihen schrecken dabei die Kunden nicht ab. Sie locken sie vielmehr an, sagt Marken-Experte Klaus-Dieter Koch. „Das äußere Kennzeichen eines anziehungsstarken Ortes ist immer eine Schlange“, so Koch. Seit einem Jahr gibt es die Filiale in Frankfurt jetzt schon. Und seither sind die wartenden Jugendlichen dort Alltag. „Wir dachten, die sind dort nur am Eröffnungswochenende in der Menge“, sagt die Verkäuferin einer benachbarten Boutique. Doch auch heute stehen die Menschen bis vor ihren Eingang, um nebenan einzukaufen. „Man muss das nicht verstehen“, so die Boutique-Besitzerin.

Gerade in der Geheimniskrämerei liege die Anziehungskraft von Hollister, sagt Klaus-Dieter Koch. Er hat sich in seinem Buch „Was Marken unwiderstehlich macht“ mit ähnlichen Fällen beschäftigt. Exklusivität werde nicht mehr als teuer, sondern als „schwer zu bekommen“, „nur für Insider“ verkauft. „Sie unterscheidet die Wissenden von den Unwissenden“, so der Markenexperte.

Sehr viel zu erfahren muss es dabei nicht geben. Zwei Holzstufen führen bei Hollister in den Verkaufsraum. Auf den Schildern zur Männerabteilung steht „Dudes“, die Frauen nennt Hollister „Bettys“. Im Zwielicht der kleinen Halogenstrahler, die dicht über der ausgelegten Ware hängen, tummeln sich Kunden und Verkäufer. Überall riecht es nach dem Hollister-Parfum „SoCal“, ein blumiger Duft, der den „Beach-Lifestyle Südkaliforniens verkörpern“ soll. Aus den Lautsprechern dudelt ein Mix aus Indie-Klängen und Surfer-Pop. Wer nach ein paar Minuten mit der Reizüberflutung klar kommt, fragt sich, wo denn jetzt die Kleider sind, die die langen Wartezeiten wert sind.

Das mag für manchen dann enttäuschend enden. Auf den Tischen liegen einfarbige T-Shirts und Polo-Hemden mit großem weißem „Hollister“-Schriftzug. Die Jeans gibt es nur in einer Farbe: dunkelblau. Das ist nicht viel origineller als die karierten Holzfällerhemden. Es gibt sie für Männer, es gibt sie für Frauen, manchmal groß und manchmal klein kariert. Die Art von Beliebigkeit legt nahe: Der Star ist der Store, nicht die Mode. Das sieht auch Jörg Nowicki von der Fachzeitschrift „Textilwirtschaft“ so: „Das Erfolgsgeheimnis von Hollister ist die perfekte Inszenierung. Die Ware ist austauschbar und eher langweilig.“

In den USA hat Hollister, eine Tochtermarke des amerikanischen Modekonzerns Abercrombie & Fitch, mittlerweile über 500 Geschäfte. Im Schnitt setzt eine Filiale 2,3 Mio. Dollar pro Jahr um. Hollister hat es dabei vor allem auf eine jüngere Zielgruppe abgesehen. „Die Marke positioniert sich klar im kalifornischen Surferstil und steht für eine lässige und freiheitsliebende Lebensart“, sagt Franz-Rudolf Esch, Marketing-Professor an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Gelockt wird mit dem Versprechen, über die Kleidung auch ein Stück von der Image der Wellenreiter aus dem Süden Kaliforniens am eigenen Leibe zu tragen.

Dem Marken-Image wird alles untergeordnet, auch das äußere Erscheinungsbild der Angestellten, die nicht einfach nur „Verkäufer“ heißen. Sie sind „Store Models“. Das einzige wirkliche Einstellungskriterium ist das Aussehen, Model-Maße sind Pflicht. „Schöne, gut gestylte Menschen lösen Kaufanreize aus und zwar sofort“, sagt der Marken-Experte Koch. In einem Mitarbeiter-Leitfaden wird zudem peinlich festgelegt, wie der lockere Surferstil der Store-Models auszusehen hat: Blaue Jeans, Flip-Flops, bei Frauen kein Make-up, bei Männern kein Bart. Selbst die Grußformeln werden vom Unternehmensgeist diktiert. Dem haben sich auch die deutschen Verkäufer zu beugen. In Frankfurt lautet ein Gruß zum Beispiel: „Hey, welcome to the pier.“

Zur Inszenierung gehört auch eine gewisse Öffentlichkeitsscheu. Den Frankfurter Laden mit Strandhaus-Fassade ziert von Außen kein Firmenlogo, die schweren Fensterläden erlauben kaum einen Blick ins Innere. Und auch mit der Presse wird offiziell nicht gesprochen.

Experten bezweifeln allerdings, dass die kalifornischen Möchtegern-Surfer auch auf Dauer so erfolgreich bleiben. Ein solch perfektes, künstliches Vorgehen wie Hollister es betreibt, werde nicht langfristig funktionieren, sagt Marken-Experte Koch. Er ist sich sicher: „Der nachhaltige Erfolg wird ausbleiben.“

„Hollister ist sicherlich eine Marke, die gerade im Trend ist, ob sie das Zeug zu einer Kultmarke hat, muss sich allerdings noch zeigen“, sagt der Marketing-Professor Franz-Rudolf Esch. Ein Blick in die USA zeige aber, dass das Modelabel dort im Jahr 2009 noch zu den 40 wertvollsten Marken zählte, derzeit jedoch nicht mehr unter den Top 50 sei. Und auch die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Die Umsätze der Marke in den USA sind in den vergangenen Jahren geschrumpft. Im Jahr 2008 erlöste die Abercrombie-Tochter noch 1,5 Mrd. Dollar, 2009 waren es nur noch 1,3 Mrd. Dollar. Dem soll Europa entgegenwirken. Allein vier neue Geschäfte plant der Mutterkonzern Abercrombie & Fitch in den kommenden Jahren in Deutschland.

Doch das könnte dann auch schon der Zenit der Entwicklung gewesen sein. Die es in den Laden geschafft haben, kennen die Marke oft von einem USA-Aufenthalt – und wenn der Kult dort weniger Anhänger findet, dann ist es auch hier nur eine Frage der Zeit. Denn nur wenige Marken schaffen es, die anfängliche Begeisterung auf Dauer zu bewahren. Das beste Beispiel dafür findet sich zwei Etagen über dem Frankfurter Hollister-Laden. Hier ist ein Shop unter der Marke des lange begehrten Tatookünstlers und Modeschöpfers Ed Hardy. In den verirrt sich nur noch ab und zu ein Kunde. So sieht es aus, wenn die man die letzte Welle verpasst hat.

Quelle: Welt Online