Die Kreditkosten sinken, doch der Bauboom bleibt aus. Denn Investoren zweifeln an der Wirtschaftsentwicklung und fürchten um ihre Jobs.
Hamburg. Die Baugeldzinsen haben ein historisch niedriges Niveau erreicht. Inzwischen bieten die ersten Institute Zinsen von weniger als drei Prozent für eine zehnjährige Baufinanzierung an. Nur noch 2,87 Prozent Effektivzins verlangt die SKG Bank. 2,95 Prozent Effektivzins kostet das Darlehen bei dem Kreditvermittler Interhyp oder Comdirect, wenn der Kunde mindestens 50 Prozent Eigenkapital mitbringt. "Solche niedrigen Zinsen hat es bei der Baufinanzierung seit Bestehen der Bundesrepublik noch nicht gegeben", sagt Felix Schnellbacher vom Verband deutscher Pfandbriefbanken (VdP). Wer weniger Eigenkapital mitbringt, zahlt nur geringfügig höhere Zinsen. "Innerhalb der letzten zwölf Monate ist unser Index für Baugeld bei zehnjähriger Zinsbindung von 4,39 auf 3,26 Prozent gefallen", sagt Max Herbst von der FMH Finanzberatung. Der langjährige Durchschnittszins liegt bei 6,5 Prozent. "Wir rechnen mit weiter leicht fallenden Zinsen in den nächsten Wochen", sagt Herbst.
Die extrem günstigen Zinsen für Bauherren sind das Ergebnis der gesunkenen Zinsen am Kapitalmarkt. Ablesen lässt sich die ungewöhnliche Entwicklung an der Rendite zehnjähriger Bundesanleihen, ein Maßstab für den Preis von Baufinanzierungen. Wer dem Staat für zehn Jahre sein Geld leiht, erzielt gerade noch eine Rendite von 2,15 Prozent. Schon fürchten die Experten, dass bald die Zwei-Prozent-Marke durchbrochen wird.
Dabei brummt die Wirtschaft in Deutschland. Experten rechnen mit einem Wirtschaftswachstum von bis zu drei Prozent in diesem Jahr. "Mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland lässt sich dieses Zinstief nicht erklären", sagt Jochen Intelmann, Chefvolkswirt der Hamburger Sparkasse (Haspa). Vielmehr haben die Sorgen vor einem Rückfall der US-Wirtschaft in die Rezession und einer Abkühlung der chinesischen Wirtschaft den Trend zu niedrigen Zinsen ausgelöst. "Deshalb hat die US-Notenbank den Ausstieg aus ihrer lockeren Geldpolitik vorerst auf Eis gelegt", sagt Intelmann. Das habe die Zinsen in den USA kräftig nach unten gedrückt. "Der deutsche Markt für festverzinsliche Wertpapiere kann sich von dieser Entwicklung nicht abkoppeln", sagt Christoph Rieger von der Commerzbank.
Die Kosten für einen Kredit sind oft niedriger als die Miete
Für Immobilienerwerber sind das günstige Zeiten. 200 000 Euro Kredit kosten rund 700 Euro im Monat. Die Miete für eine Familie ist oft höher. Doch gemessen an den niedrigen Zinsen bleibt die Bautätigkeit gering. Das Ifo-Institut erwartet für dieses Jahr 92 000 Fertigstellungen bei Ein- und Zweifamilienhäusern. Als die Zinsen 1997 doppelt so hoch waren, wurden doppelt so viele Einfamilienhäuser errichtet (s. Grafik).
Anders in Spanien. Die mit der Euro-Einführung verbundenen niedrigen Zinsen lösten in dem Land einen Bauboom aus. Jährlich entstanden 800 000 Wohnungen, mehr als in Deutschland, Italien und Frankreich zusammen. Selbst Menschen mit geringen Einkommen brachten es in Spanien zu zwei eigenen Wohnungen - kreditfinanziert. Steigende Preise und niedrige Zinsen heizten die Lust auf Immobilien an. Innerhalb von zehn Jahren stiegen die Immobilienpreise um 190 Prozent. Inzwischen ist der Boom zusammengebrochen. Eine Million Wohnungen stehen leer. Viele können ihre Kredite nicht mehr bezahlen.
Auch große Wohnungskonzerne verfallen nicht dem Baufieber
"In Deutschland ist eine solche Entwicklung nicht zu erwarten", sagt Erich Gluch vom Ifo-Institut. Seit dem Jahr 2000 sinken die Zinsen fast beständig, doch ebenso nimmt die Bereitschaft ab, sich ein Haus zu bauen. "Viele Leute trauern noch der staatlichen Eigenheimzulage nach, die 2006 abgeschafft wurde", sagt Kai Oppel vom Baufinanzierungsvermittler Hypothekendiscount. "Dabei werden die damit verbundenen Einbußen längst durch die niedrigen Zinsen wettgemacht."
Abgesehen von einigen Ausnahmen zeigt sich, je niedriger die Zinsen, desto weniger wird gebaut. "Fallende Zinsen verleiten potenzielle Bauherren eher zum Abwarten", sagt Gluch. "Auf den ersten Blick erschließt sich nur wenigen der Vorteil historisch niedriger Zinsen, die man sich sogar für zwei Jahrzehnte festschreiben lassen kann", sagt Arno Gottschalk, Baufinanzierungsberater der Verbraucherzentrale Bremen. "Für viele macht es keinen Unterschied, ob die Zinsen bei 3,5 oder 4,5 Prozent liegen." Die monatliche Zinsersparnis bei einem Kredit über 100 000 Euro beträgt in diesem Fall 83 Euro. Wer sechsstellige Summen in eine Immobilie investiert, ist geneigt, solche Beträge zu vernachlässigen. Doch auf Sicht von zehn Jahren kommen so schon knapp 10 000 Euro zusammen. "Das machen sich aber die wenigsten Bauherren bewusst", sagt Gottschalk.
Niedrige Zinsen versetzen die Verbraucher nicht in Kauflaune. Obwohl Makler gern von der Flucht in Betongeld, anziehendem Geschäft und steigenden Preisen berichten, wächst das Geschäft mit Hypothekenkrediten nur moderat. Im ersten Quartal 2010 stiegen die Kredite der Pfandbriefbanken für Eigenheime und Eigentumswohnungen nur um drei Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Experten rechnen kaum damit, dass die Halbjahresbilanz, die noch nicht vorliegt, wesentlich besser ausfällt.
Auch Immobilienprofis verfallen nicht dem Baufieber. 407 neue Wohnungen werden die Unternehmen des Verbandes Norddeutscher Wohnungsunternehmen in diesem Jahr in Hamburg neu errichten. Das sind vier Prozent weniger als vor einem Jahr. "Wichtiger als niedrige Zinsen sind für uns bezahlbare Grundstücke", sagt Verbandssprecher Peter Hitpaß. "Denn Grundstücke, die im Höchstpreisverfahren angeboten werden, können unsere Unternehmen nicht refinanzieren. Da helfen auch keine niedrigen Zinsen." Die Finanzierung von Mietwohnungen ging im ersten Quartal um acht Prozent zurück, heißt es beim VdP.
Fallende Zinsen verunsichern private Bauherren eher. "Niedrige Zinsen lassen eine schwache Wirtschaft erwarten", sagt Baufinanzierungsexperte Herbst. "Die Verbraucher fürchten den Verlust des Arbeitsplatzes und nehmen beim Immobilienerwerb eine abwartende Haltung ein." Da auch die Mieten stabil seien, gebe es auch von dieser Seite nur wenig Druck, in die eigenen vier Wände zu investieren. Und die dennoch den Schritt wagen, sind sehr sicherheitsbewusst.
Häuser in Hamburg wurden 15 Prozent teurer - in acht Jahren
Auch die Immobilienpreise elektrisieren potenzielle Bauherren nicht. Innerhalb von acht Jahren verteuerten sich nach Angaben der LBS gebrauchte frei stehende Einfamilienhäuser in Hamburg um 15 Prozent - im gesamten Zeitraum, nicht pro Jahr. Eigentumswohnungen verteuerten sich um 13 Prozent. Außerhalb von Großstädten liegen die Preissteigerungen innerhalb eines knappen Jahrzehnts sogar nur im einstelligen Bereich. Erst wenn Zinsen und Immobilienpreise wieder steigen, erwartet Gluch mehr Bewegung am Immobilienmarkt. "Einen Immobilienboom lässt sich nur durch Preisblasen erzielen, nicht durch niedrige Zinsen", sagt Gluch. "Wenn die Leute merken, dass die Immobilienpreise innerhalb eines Jahres um bis zu zehn Prozent steigen, dann kaufen oder bauen sie."