Skurrile Idee: In San Francisco haben sich ein Magazingründer, ein Nasa-Ingenieur und ein Schokoladen-Experte zusammengetan, um die erste interaktive Schokolade der Welt zu erfinden. Das Besondere an ihrem Konzept: Die gesamte Produktion wird über das iPhone gesteuert.

Nur 40 Meilen liegen zwischen San Francisco und dem Silicon Valley - und doch Welten. Umso spannender ist es, wenn Start-up-Kultur aus dem Hightech-Tal in Kalifornien auf die Esskultur der Lifestyle-Metropole San Francisco trifft. Das geschieht zurzeit im Zentrum der Westküstenstadt in einer renovierten Lagerhalle am Pier 17 zwischen Fisherman's Wharf und dem Ferry Building. Hier wird gerade Schokolade neu erfunden. Eine besondere Schokolade, in der buchstäblich Technologie und edle Zutaten verschmelzen.

Zu dem Projekt haben sich drei Leute zusammengefunden, die interessanter kaum sein könnten: ein Gründer des Magazins "Wired", Louis Rossetto, ein früherer Nasa-Ingenieur aus dem Space-Shuttle-Programm, Timothy Childs, und der langjährige Schokoladen-Experte Karl Bittong. "Wir versuchen, Dinge so neu zu erfinden, wie wir es im Valley taten", sagte Rossetto dem Online-Magazin CNet.

Rossetto vergleicht die Produktion von Schokolade gerne mit der Herstellung von Wein. Je nach Art und Herkunft entwickeln die Kakaobohnen spezielle Aromen, ähnlich wie Weintrauben unterschiedlicher Rebsorten. Die einen Reben haben eine mineralische Note, bei anderen stechen fruchtige Nuancen hervor. Vergleichbar ist es auch beim Kakao.

Die Schokoladen des "Wired"-Gründers soll es in sechs natürlichen Aromen geben: Das Zitrusaroma stammt aus Bohnen, die auf der Insel Madagaskar wachsen. Die fruchtige Variante hat Anklänge von Rosinen und Pflaumen, Himbeeren und Kirschen. Die nussige Geschmacksrichtung stammt aus peruanischen Bohnen und hat Andeutungen von stark geröstetem Kaffee. Bohnen aus Ghana entfalten den schokoladigen Geschmack mit Noten von Karamell und Malz. Die Varianten blumig und erdig sollen Ende des Jahres auf den Markt kommen. "Wir suchen noch nach den richtigen Bohnen", heißt es dazu auf der Website des Unternehmens.

Es geht Rossetto nicht darum, der Welt eine weitere Schokoladenmarke zu bescheren. Eine besondere sollte es sein: interaktiv entwickelt, hochwertig und politisch korrekt - Schokolade 2.0. Und an dieser Stelle kommt das iPhone des Entrepreneurs ins Spiel. Mit einer eigens programmierten App lassen sich die komplette Produktion und das Forschungslabor von nahezu jedem Punkt der Welt aus steuern: die Mühlen, die Rührgeräte und die Temperatur der Kessel, in denen die Schokoladenmasse brodelt. Ferngesteuerte Videokameras bringen jeden Winkel der Fabrik auf das Handydisplay.

Eine Vision der Erfinder ist die "Augmented Reality" der Schokoladenproduktion: eine erweiterte Realität, in der die Verwandlung des Rohstoffs von der Bohne zur fertigen Tafel bis auf die molekulare Ebene hinab beobachtet werden kann, wie Timothy Childs dem CNet-Reporter sagte. Childs ist übrigens CCO des Unternehmens - Chief Chocolate Officer.

"Tcho", der Name der neuen Marke, steht für "Technology" und "Chocolate". Weil Internet-Technologie viel mit Kommunikation zu tun hat, haben die Firmengründer die komplette Produktionsstrecke im Blick. Dazu gehört zunächst der Kontakt zu den Farmern und Kooperativen in Peru, Ghana und Madagaskar, die Kakao kontrolliert anbauen. Sie sollen eine Beziehung zu dem Produkt erhalten, das aus dem von ihnen gewonnenen Rohstoff entsteht.

In improvisierten "Flavor Labs" genannten Geschmackslaboren, die unter anderem aus einer Mühle, einem von einem Föhn betriebenen Röster und einem Computer bestehen, lernen sie, wie aus den Bohnen hochwertiger Kakao, der Rohstoff der Schokolade, wird. Nachhaltiger Anbau und fairer Handel sind Teil der "Tcho"-Mission: Deshalb stehen die Worte "No Slavery" auf jeder Tafel.

Am anderen Ende der Produktionskette steht der Kunde. Wie bei neuen Software-Produkten gibt es auch bei Tcho die Beta-Tester. Sie erhalten wöchentlich jeweils zwei in Packpapier eingewickelte Proben aus dem Schokoladenlabor und müssen binnen 48 Stunden für jede Probe einen Online-Fragebogen ausfüllen. So entwickelt Tcho neue Produkte. Der Geschmack der Beta-Tester entscheidet. Das Endprodukt heißt dann 1.0.

Diese Firmenphilosophie ist eng mit einem preisgekrönten Marketing-Konzept verzahnt. Die in Berlin und Amsterdam tätige Agentur Edenspiekermann hat die Kampagne entwickelt und in der Kategorie "Packaging Design" eine Nominierung bei den Design Lions 2009 sowie auch beim European Design Awards Gold in der Kategorie "Packaging: Food & Beverages" gewonnen.

Dazu gehören die markante und kantige Typographie der Marke, die hierzulande ungewöhnliche Größe der Tafeln (60-Gramm-Quadrate) und das extravagante und für Schokolade untypische Farbmuster der Verpackung für die unterschiedlichen Geschmacksrichtungen. Damit gelang es den Werbern, die Schokolade 2.0 als hochwertiges und politisch korrektes Produkt am amerikanischen Markt zu platzieren. Als Produkt, das auch einen Preis hat. Die Beta-Tester-Päckchen gibt's für fünf Dollar. Zwei Tafeln à 60 Gramm kosten elf Dollar. www.tcho.com

Quelle: Welt Online