Die Pflegeversicherung steht vor einer großen Finanzierungslücke. Arbeitnehmern drohen schon bald höhere Beitragszahlungen.
Die gesetzliche Pflegeversicherung droht schneller als geplant in die roten Zahlen zu rutschen. Schon 2012 könnte der Überschuss aufgebraucht sein, sagte der für die Pflege zuständige Vorstand der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), Gernot Kiefer. Zwischen Beitragseinnahmen und Ausgaben klaffe eine Lücke von 200 bis 300 Mio. Euro. Zudem seien die Leistungen 2010 um 500 Mio. Euro ausgeweitet worden. Während die Zahl der Fälle in der Versicherung jedes Jahr um zwei Prozent stiege, erhöhten sich die Einnahmen nur um 0,8 Prozent.
Die schwarz-rote Koalition hatte den Beitragssatz in der Pflegeversicherung am 1. Juli 2008 auf 1,95 erhöht (Kinderlose zahlen 2,2 Prozent). Sie beschloss aber gleichzeitig auch höhere Leistungen. Im vergangenen Jahr wurden knapp 20 Mrd. Euro für die Pflege von mehr als 2,1 Millionen Menschen ausgegeben. Ende 2009 verzeichneten die Pflegekassen noch einen Überschuss von einer Mrd. Euro. Ursprünglich sollte die Reform die Finanzierung bis 2014 garantieren.
Zudem könnten auf die Pflegekassen in den kommenden Jahren noch höhere Ausgaben durch zusätzliche Leistungen zukommen. So soll die Pflegebedürftigkeit neu definiert werden. Dann könnten auch Demenzkranke leichter Leistungen der Pflegeversicherung erhalten. Bisher gibt es drei Pflegestufen, die sich primär an körperlichen Gebrechen orientieren. Künftig soll es fünf Pflegestufen geben, die auch Gedächtnisleistungen und psychische Probleme der alten Leute mit einbeziehen. Konkrete Vorschläge für ein neues System hatte ein Beirat des Gesundheitsministeriums im vergangenen Jahr vorgelegt. Bei einer neuen Definition könnten auf die Pflegeversicherung – je nach Berücksichtigung von Pflegebedarf – Kosten von bis zu fünf Mrd. Euro zukommen. GKV-Vorstand Kiefer begrüßte die Abkehr vom alten, „technischen“ Pflegebedürftigkeitsbegriff. „Den Begriff neu zu fassen, ist richtig, weil damit den sich ändernden gesellschaftlichen und medizinischen Rahmenbedingungen Rechnung getragen wird, zum Beispiel der Zunahme von Demenz“, sagte Kiefer.
Die Kassen sprachen sich auch für eine Nachbesserung der Pflegenoten aus, mit dem Pflegeheime und ambulante Dienste seit einem Jahr bewertet werden. Bisher gibt es Noten für rund 2000 Dienste und 3500 Heime. Es gebe jedoch eine Tendenz zu „positiven Extremwerten“, kritisierte Kiefer. Zudem würden gesundheitliche Risiken, wie Sturzgefahr, chronische Wunden oder der Ernährungszustand nicht ausreichend im Gesamtergebnis herausgestellt. Die Stichproben seien als Prüfgrundlage nicht immer ausreichend, sagte Kiefer. Er forderte eine „Weiterentwicklung im Sinne der Verbraucher“ – auch gegen die Blockade der Vertreter der Pflegeeinrichtungen.
Die Koalition aus Union und FDP hat sich außerdem vorgenommen, die gesetzliche Pflegeversicherung durch eine Kapitaldeckung zu ergänzen. Erste Schritte in diese Richtung werden aber frühestens im nächsten Jahr erwartet. Interesse daran, die Kapitalreserven aufzubauen, haben sowohl die Krankenkassen als auch die private Krankenversicherung. Letztere sieht hier ein lukratives Geschäftsfeld. Die Krankenkassen lehnen das aber ab. „Das Geld der Beitragszahler der Sozialen Pflegeversicherung gehört nicht in die Hände privater Versicherungsunternehmen“, sagte Kiefer. Es sei noch offen, ob der Kapitalstock bei den einzelnen Kranken- und Pflegekassen oder beim Spitzenverband aufgebaut werden solle.
Kiefer sagte, es müsse eine privatrechtliche Beziehung der Versicherten zu der Reserve hergestellt werden, um das Geld vor dem Zugriff der Politik zu schützen. Dennoch, so Kiefer, solle die Kapitalreserve den Versicherten nicht individuell zugeschrieben werden. „Besser ist ein kollektiver Kapitalstock“, sagte der Verbandsvorstand.