Bundeskanzlerin Angela Merkel schließt eine Aufstockung des ESM-Rettungsschirm zur Euro-Rettung nicht mehr aus und geht damit auf EU-Partner zu.

Berlin. Deutschland geht in den Verhandlungen über eine Aufstockung der Euro-Rettungsschirme auf die EU-Partner zu. Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich am Montag erstmals offen hinter ein Modell, nach dem zu dem dauerhaften Rettungsschirm ESM die bereits vergebenen Hilfsprogramme aus dem EFSF hinzugerechnet werden. „Wir könnten uns vorstellen, dass diese 200 Milliarden parallel zu dem ESM von 500 Milliarden laufen, solange bis sie von den Programmländern zurückgezahlt sind“, sagte Merkel nach einer Sitzung des CDU-Präsidiums. Auch der CSU-Vorstand stellte sich hinter den Plan. Allerdings beharrte CSU-Chef Horst Seehofer darauf, dass die tatsächlich übernommene deutsche Haftung für Hilfen für Euro-Staaten nie über 211 Milliarden Euro steigen dürfe.

Stimmt auch die FDP diesem Modell zu, was erwartet wird, hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eine entsprechende Verhandlungsposition für das informelle Euro-Finanzministertreffen am kommenden Wochenende in Kopenhagen. Seit Wochen drängen internationale Partner Deutschland, den Schutzwall erheblich zu erhöhen.

Der Bundestag soll im Mai den ESM-Vertrag verabschieden, der eine Obergrenze von 500 Milliarden Euro vorsieht. Da der ESM um ein Jahr vorgezogen wird und nun bereits im Juli zum Einsatz kommen soll, überlappt er sich mit dem bis Mitte 2013 laufenden bisherigen Rettungsschirm EFSF. Deshalb muss geklärt werden, wie beide Schirme kombiniert werden können. Die EU-Kommission hatte dazu in den vergangenen Tagen drei Modelle vorgeschlagen.

Zur Begründung sagte Merkel, dass zwar die Umschuldung Griechenlands gut verlaufen sei, man aber noch weit von einer Normalsituation in der Euro-Zone entfernt sei. „Wir sehen eine relativ große Sensitivität oder Fragilität, wenn man sich die Zinsen anschaut von Portugal, aber auch von Spanien letzte Woche“, sagte die CDU-Chefin. Auch Finnlands Ministerpräsident Jyrki Katainen deutete am Wochenende ein Einlenken an. Beide Euro-Staaten gehörten zu den vehementesten Gegnern einer Aufstockung der Rettungsschirme.

Der Kompromiss besteht nun darin, dass Merkel und Seehofer einerseits betonen, dass die ESM-Obergenze weiter bei 500 Milliarden Euro liegen wird. Andererseits akzeptieren sie nun aber, dass die bereits laufenden Programme für Portugal, Irland und Griechenland zusätzlich zum ESM-Volumen addiert werden dürfen. Theoretisch ergibt sich daraus ein Schutzwall um die Euro-Zone von rund 700 Milliarden Euro – womit Deutschland den internationalen Partnern entgegenkommt.

Allerdings steigt die verfügbare Summe für Kriseninterventionen in Wahrheit nicht über 500 Milliarden Euro, weil der ESM in seinem ersten Jahr nur 200 Milliarden Euro Kreditvolumen hat. Um die Euro-Zone im Notfall dennoch handlungsfähig zu halten, sollen für ein Jahr die nicht genutzten EFSF-Mittel von rund 240 Milliarden Euro als Reserve zur Verfügung stehen. Mitte 2013 – das betonten sowohl Merkel als auch Seehofer am Montag – sollen die nicht genutzten EFSF-Garantien verfallen. Die drei Länderprogramme sollen aber so lange weiter laufen, bis Irland, Portugal und Griechenland ihre Kredite darauf zurückbezahlt haben.

In der deutschen Debatte dominiert weniger das künftig verfügbare Ausleihvolumen der Rettungsschirme als vielmehr die Frage, wie hoch die theoretische und tatsächliche Haftung des deutschen Steuerzahlers sein wird. Durch die Kombination der beiden Schirme und die Nicht-Anrechnung der drei EFSF-Programme steigt der Gesamtrahmen weit über die bisher versprochenen 211 Milliarden Euro hinaus.

Deshalb machte CSU-Chef Seehofer eine Einschränkung: Seine Messlatte sind künftig nicht mehr die Gesamtvolumen von EFSF und ESM, sondern die Frage der „tatsächlichen“ Haftung. „Die rote Linie bleibt für mich, dass die tatsächliche Haftung für Deutschland nicht über 211 Milliarden Euro steigt, davon sind wir weit entfernt“, sagte er. Derzeit liegt der deutsche Haftungsanteil für Irland, Portugal und das zweite Griechenland-Hilfspaket bei rund 100 Milliarden Euro. Seehofers Festlegung würde bedeuten, dass die CSU keinem Hilfsprogramm mehr zustimmen dürfte, wenn Deutschland bereits zu viele Garantien übernommen hat. Im Bundestag muss über jedes Länderprogramm getrennt abgestimmt werden.

Die Opposition warf der Regierung Wortbruch vor. „Das ist ein weiterer Anwendungsfall des Merkelschen Gesetzes: Je vehementer Angela Merkel etwas ausschließt, desto sicherer ist, dass es dann später doch eintritt“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann. Nun erhöhe sich die deutsche Haftungssumme, und die Kanzlerin überschreite so die selbstgesetzten „roten Linien“ dieser Koalition. „Die Bundeskanzlerin ist unehrlich und erklärt den Menschen nicht, wie hoch die Kosten für die Rettung wirklich sind.“

Der SPD-Haushälter Carsten Schneider warf Merkel zudem vor, sie werde die Zusage nicht einhalten können, das Volumen der Rettungsschirme wieder zu reduzieren. „Wenn die Vorstellung der Kanzlerin ist, sie könnte mit dem Vorschlag, dass nicht belegte Volumen des EFSF ein Jahr – also bis Mitte 2013 – parallel zum ESM laufen zu lassen durchkommen, wird sie mal wieder an der Realität scheitern“, erklärte er.