Düsseldorf. Die Energiewende kommt nur langsam voran. Der Bau neuer Stromnetze, Kraftwerke und Ökostromanlagen ist eine Herkulesaufgabe. Nach der Atomwende sollen auch fossile Energien durch erneuerbare ersetzt werden. Bis 2020 soll der Anteil des „grünen“ Stroms 35 Prozent betragen, zuletzt ware es 20 Prozent. Es folgt eine Übersicht über den Stand und die Aufgaben:

Stromnetze

Der Ausbau der Transport- und Verteilnetze spielt eine Schlüsselrolle, trifft aber auf Bürgerproteste und verzögert sich. Genehmigungen dauern teils mehr als zehn Jahre. Neue Leitungen sind nötig, um etwa den Windstrom vom Norden Deutschlands zu den Verbrauchern im Süden zu transportieren. Allein bei den Höchstspannungsnetzen fehlen laut Deutscher Energieagentur 3.700 Kilometer bis 2025, gebaut wurden in den letzten Jahren aber nur rund 100 Kilometer. Auch der Anschluss von Offshore-Windrädern stockt.

Kraftwerke

Ohne neue konventionelle Kraftwerke kann die Energiewende kaum gelingen, da sie die Schwankungen des Ökostroms ausgleichen. Mit dem Atomausstieg bis Ende 2022 fehlen Kraftwerke mit 20.000 Megawatt Kapazität, die rund um die Uhr laufen können. Zwar gehen auch neue Kraftwerke ans Netz, andere werden aber stillgelegt. Die Bundesregierung setzt auf neue Gaskraftwerke, da diese weniger klimaschädlich als Kohlemeiler sind. Viele Versorger zögern mit dem Bau, da sich Gaskraftwerke wegen hoher Brennstoffkosten und niedriger Stromabsatzpreise nicht lohnten. Ob eine Kraftwerkslücke droht ist umstritten: Die Netzagentur erwartet in diesem Winter keinen Stromausfall, die Versorgungssicherheit bleibe aber für Jahre angespannt. Nach dem Aus von acht der 17 AKW greift Deutschland verstärkt auf Stromimporte aus Ländern wie Frankreich, Polen und Tschechien zurück, ist 2011 insgesamt aber Nettoexporteur geblieben.

Die Energieriesen

Die Akw-Betreiber E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall Europe wurden von der Atomwende kalt erwischt. 2011 mussten die AKW-Betreiber hohe Einbußen hinnehmen. E.ON rechnet mit dem ersten Nettoverlust in der Firmengeschichte. Allein E.ON und RWE wollen in den kommenden Jahren weltweit fast 20.000 Jobs abbauen. Die Konzerne, die bislang auf Atom und Kohle gesetzt haben, wollen ihr Ökostromgeschäft ausbauen, können sich aber eine schnelle Erhöhung der Investitionen nach eigenen Angaben nicht leisten, da die abgeschalteten AKW als Gewinnbringer fehlen.

Stadtwerke

Die 900 Stadtwerke in Deutschland wollen Milliarden in neue Kraftwerke investieren und ihren Anteil an der Stromerzeugung in den nächsten zehn bis 15 Jahren auf 25 Prozent mehr als verdoppeln. Allein die acht größten deutschen Stadtwerke halten Investitionen von zehn Milliarden Euro binnen zehn Jahren für möglich. Sie wollen den Platzhirschen Konkurrenz machen.

Windkraft

Mit 7,6 Prozent vom Energiemix macht Strom aus Windkraft den größten Teil der erneuerbaren Energien aus. Laut Branchenverband BDEW lag die Kapazität Mitte 2011 bei 28.000 Megawatt. Vor den deutschen Küsten drehten sich 54 Windräder mit insgesamt 210 MW. Damit scheinen die Ziele unerreichbar, bis 2020 rund 7600 MW und bis 2030 etwa 25.000 MW Offshore-Windenergie zu installieren. Um das Ausbauziel bis 2030 zu erreichen, ist laut Bundesumweltministerium eine jährliche Zubaurate von bis zu 1500 MW erforderlich. Dies entspricht der Installation von einer Windturbine pro Tag während der „Schönwetter-Saison“, die nur etwa die Hälfte des Jahres ausmacht. Neben Technik-Problemen sind die hohen Kosten für die Offshore-Anlagen ein Hemmschuh.

Solarstrom

Die lange hoch subventionierte Photovoltaik hatte 2011 nur 3,2 Prozent Anteil am Energiemix, aber 60 Prozent mehr als im Vorjahr. Die in Deutschland istallierten Anlagen könnten rechnerisch 5,1 Millionen Haushalte versorgen. Bis 2020 soll der Anteil der Solarenergie auf zehn Prozent steigen. Nach der reduzierten Förderung liegt die staatlich garantierte Vergütung des Solarstroms fast auf dem Niveau des Haushaltspreises für Strom. Damit wird für Anlagen-Betreiber der Eigenverbrauch interessant. Bei den derzeitigen technischen Standards ist es allerdings für einen Privathaushalt kaum möglich, mehr als 30 Prozent des erzeugten Solarstroms selbst zu verbrauchen.

Energiespeicher

Eine der Hürden ist neben den Netzkapazitäten die Speicherung der Energie. Batterien, die im großen Stil Strom aus erneuerbaren Quellen speichern können, stehen noch am Anfang. Daher müssen konventionelle Kraftwerke wegen wetterbedingter Produktionsschwankungen derzeit noch die gleiche Menge an potenzieller Leistung bereitstellen.

Wärme

Die Politik konzentriert sich auf die Stromerzeugung, dabei gilt der Wärmesektor als „schlafender Riese“. Hier gibt es große Potenziale in der Erzeugung und beim Sparen: Mit einem neuen Fördergesetz soll der Anteil der Anlagen, die neben Strom auch Abwärme verkaufen können, bis 2020 erhöht werden: Von derzeit 16 Prozent auf 25 Prozent gemessen an der Stromproduktion.

Öko-Wärme

Die Bundesregierung plant ein neues Gesetz, um den Einsatz von Wärme aus Erneuerbaren Energien wie Holzpellets oder Solarthermie stärker zu fördern und sie vor allem auch in Altbauten zum Einsatz zu bringen. Dies wird vermutlich eine Mischung aus finanziellen Hilfen und Verpflichtungen sein. (Reuters)

GEBÄUDESANIERUNG

Etwa ein Drittel des deutschen Gasverbrauchs wird für das Heizen verwendet. Daher hat die Regierung ihr Programm zur Gebäudesanierung über zinsverbilligte Kredite aufgestockt. Zudem sollen Hausbesitzer die Sanierungskosten besser von der Steuer absetzen können. Dies hat der Bundesrat abgelehnt, da die Länder die Steuerausfälle nicht tragen wollen. Das Gesetz hängt im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat fest, weswegen Hausbesitzer kaum sanieren, da sie die Neuregelung abwarten.

ENERGIESPAREN

Je weniger Strom verbraucht wird, desto weniger Kraftwerke und Netze sind nötig. Trotz des Wirtschaftsbooms ist der Verbrauch 2011 leicht gesunken. Dennoch ist in ganz Europa das Energiesparziel von 20 Prozent für 2020 in Gefahr. Die EU will das Ziel mit einer neuen Richtlinie noch erreichen. Die Staaten müssen noch zustimmen. Deutschland ringt um eine Position. Das Wirtschaftsressort setzt auf freiwilliges Sparen, das Umweltministerium stützt die Richtlinie in weiten Teilen.

KLIMASCHUTZ

Alle Anstrengungen haben das Ziel, den Treibhausgasausstoß zu drücken. In diesem Jahr soll das Kyoto-Ziel von 21 Prozent weniger C02-Produktion gegenüber 1990 erreicht werden. Dies gilt als sicher, da bereits in den vergangenen Jahren die Einsparung größer war. Bis 2020 sollen es 40 Prozent weniger sein.