Die Krise in Griechenland zeigt die Mängel der Währungsunion. Die Antwort darauf sehen Experten in einer Stärkung der EU.
Hamburg. Der Wirklichkeit am nächsten kam dieser Tage Michael Offer, der Sprecher des Bundesfinanzministeriums. Gefragt nach der Krise des Euro und den bevorstehenden Finanzhilfen für Griechenland, sagte er, Deutschland sei "zur Solidarität verpflichtet". Spitzer kann ein Regierungsvertreter den Widerwillen vor der vermeintlichen Zwangsgemeinschaft des Euro nicht formulieren, der in diesem Land täglich anschwillt. Knapper kann man die Aversion davor nicht auf den Punkt bringen, dass Deutschland den Euro retten soll, der von hellenischen Bilanztricksern und internationalen Finanzzockern zu Boden gedrückt wird.
Nichts ist übrig von den Verheißungen früherer Jahre und Jahrzehnte, eine Europäische Gemeinschaftswährung werde Europa auf dem Weg zu einer wirklichen Gemeinschaft entscheidende Schritte voranbringen. Schon in der ersten wirklichen Krise des Euro zeigt sich, wie fragil nicht nur das Konstrukt der Gemeinschaftswährung ist, sondern auch die Idee eines geeinten Europas selbst. Es zeigt sich, dass Europa vor allem als Schönwetter- und Nimm-mit-Gemeinschaft funktioniert.
In Deutschland, der stärksten Volkswirtschaft des Kontinents, wächst eine aggressive Antihaltung im Hinblick auf die Euro-Solidarität heran. Griechenland ist der Fixpunkt des Ärgers, doch die Schockwellen reichen tiefer. "Hier bettelt der Grieche um unsere Milliarden", betitelte die "Bild"-Zeitung, Vorformulierer öffentlicher Erregung, am Wochenende ihre Berichterstattung zum Gesuch des griechischen Ministerpräsidenten Giorgios Papandreou nach Finanzhilfen der Euro-Mitgliedstaaten. Vorbei die Sympathie für das Land von Souvlaki, Kalamari und Sirtaki. Jetzt geht es ans Geld, und zwar noch mehr als bisher.
Der Ökonom Thomas Straubhaar, Chef des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts, fürchtet einen neuen antieuropäischen Geist und spricht bereits von einer "europäischen Tragödie", passenderweise ausgelöst in Griechenland, dem Mutterland der Tragödie. Grund zu dieser Furcht liefern Meinungsmacher täglich neu: Hans-Peter Friedrich etwa, Landesgruppenchef der CSU im Bundestag, legte Griechenland am Wochenende nahe, es solle "ernsthaft erwägen, aus dem Euro-Raum auszutreten". Mit der Rückkehr zu einer eigenen Währung - früher Drachme - könne das Land seine Volkswirtschaft eher entlasten und stabilisieren. Großen Auftrieb spüren auch jene, die es immer schon besser wussten, wie Wilhelm Nölling, der frühere Hamburger Wirtschaftsprofessor und Zentralbankratsmitglied der Bundesbank. Mit anderen Professoren hatte er schon 1998 vergeblich gegen die Euro-Einführung geklagt. Nun fühlt er sich bestätigt: "Der Euro ist der größte Irrtum der Währungsgeschichte", schrieb er kürzlich in einem Gastbeitrag für das Abendblatt.
In dieser wüsten Kakofonie von Stammtisch bis Stehpult geht unter, wofür der Euro, wofür Europa stehen. Am 25. März 1957 unterzeichneten auf dem Kapitolshügel in Rom die Vertreter von sechs Staaten die Dokumente zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Für Deutschland unterschrieb Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU). Krieg und Massenmord, Stalingrad und Auschwitz, lagen zu jenem Zeitpunkt keine 15 Jahre zurück, weniger als einen Herzschlag der Geschichte. Dass Deutschland wieder Mitglied der Staatengemeinschaft war, erschien als ein Wunder, doch den wenigsten Menschen in Deutschland war das bewusst. Die Deutschen waren mit dem Wiederaufbau und der Verdrängung der Vergangenheit vollauf beschäftigt. Weise Politiker wie Adenauer oder der Franzose Jean Monnet aber wussten, dass Wunder nicht ewig wirken: Mit der Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums wurde der einstige Aggressor Deutschland politisch ummantelt und zugleich mit seiner ökonomischen Kraft in den Aufbau eines neuen Europa eingebunden. Die Rechnung ging auf, umso mehr, als mit dem Fall des Eisernen Vorhangs der Weg für die Einheit Europas nach Osten hin frei wurde. "Ohne die Einheit Europas", sagte Altkanzler Helmut Kohl (CDU) stets zu Recht, "wäre die Einheit Deutschlands nicht möglich gewesen."
Die "Römischen Verträge" waren die wichtigste Keimzelle für die Schaffung der heutigen Europäischen Union. Seit den 1960er-Jahren schon wurde dieser Prozess auch begleitet von Debatten und Weichenstellungen für eine Europäische Währungsunion. Deren Zielsetzung war es, Währungsschwankungen zwischen den europäischen Staaten zu minimieren, mehr Stabilität in den Geldverkehr und damit auch in den zwischenstaatlichen Handel zu bringen. Die wichtigsten Wegbereiter einer europäischen Währung waren der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) und frühere französische Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing. Nach der ersten Ölkrise 1973 und dem Zusammenbruch des internationalen Währungssystems von Bretton Woods trieben die beiden Politiker Ende der 70er die Einführung der Europäischen Währungseinheit ECU voran. Sie diente zur Verrechnung der einzelnen Staatswährungen in einem festen Rahmen - und war der Vorläufer des Euro.
Die Einführung der europäischen Gemeinschaftswährung zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts brachte die Europäische Union weit voran. Der innereuropäische Handel nahm deutlich zu, der Euro erwies sich als Stabilisator des europäischen Finanzmarktes. "Der Euro hält Europa entscheidend zusammen, es ist dafür fast so wichtig wie der jahrzehntelange Friede", sagte der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel, Architekt des Euro, der "Welt am Sonntag": "Und er ist die Antwort auf die ewige Frage der Amerikaner nach der Telefonnummer von Europa. In der Außen- und Sicherheitspolitik gibt es keine, in der Währungsunion schon."
Die Griechenland-Krise zeigt Konstruktionsfehler und Schwächen des europäischen Regelwerks, zum Beispiel in der Frage, wie viel Einfluss die Europäische Kommission auf die Kontrolle und Überprüfung der nationalen Haushalte haben sollte. Von vielen Menschen aber wird die Krise wahrgenommen als eine Krise Europas grundsätzlich. "Wir stehen im Moment an einem Scheideweg", sagt der Hamburger SPD-Europaabgeordnete Knut Fleckenstein. "Wir haben die Währungsunion eingeführt, ohne sie durch eine politische Union zu flankieren. Die Wirtschaftskrise zeigt, dass die EU und auch die Euro-Zone mit den Instrumenten, die im Moment zur Verfügung stehen, nicht auskommen. Wir brauchen in Europa mehr zentrale Abstimmung." Das will auch der EU-Währungskommissar Olli Rehn, der deutlich stärkere Rechte für die EU-Kommission bei der Aufstellung und der Kontrolle der nationalen Haushalte fordert.
Im zurückliegenden Jahrzehnt wurde die Idee, die Vision eines politisch geeinten Europas erstmals in klare Schranken gewiesen. 27 Mitgliedstaaten zählt die EU nach der Öffnung Osteuropas mittlerweile, sie ist der stärkste Wirtschaftsraum der Welt, besitzt aber nur ein vergleichsweise schwaches politisches Fundament. Einer starken Europäischen Verfassung, die den Weg hin zu einem Bundesstaat geebnet hätte, erteilten die Bürger der EU-Mitgliedstaaten in Wahlen und Volksabstimmungen klare Absagen.
Doch nur ein einiges Europa kann auch in Zukunft ein starkes Europa bleiben, in einer immer komplexeren Wirtschaftswelt, in einem immer härteren Konkurrenzkampf vor allem mit den aufstrebenden ökonomischen Großmächten Asiens, allen voran China und Indien. "Es war ein Fehler, dass die Wirtschaftsunion seit Einführung des Euro nicht ausgebaut wurde. Die Integration basiert auf dem Binnenmarkt plus Geldpolitik. Koordination von Wirtschaftspolitik hat nicht stattgefunden", sagt der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel, Direktor des Instituts für Arbeit und Wirtschaft (IAW). "Diese einseitige Architektur führt jetzt zur Krise, weil die Divergenzen in der Realwirtschaft zwischen den Ländern zugenommen haben."
Das Ansinnen von Professoren, Politikern und Populisten, die Euro-Zone auf ihre stärksten Länder zu verkleinern, weist Hickel strikt zurück: "Wir profitieren vom Euro, gerade in der Finanzmarktkrise. Er sollte nicht aufgelöst, sondern gestärkt werden."
Frieden, Freizügigkeit und Wohlstand, sie gelten als "Dividende" einer Europäischen Union und einer gemeinsamen Währung. Doch die Basis ist nicht selbsttragend, sie muss immer wieder angepasst und modelliert werden. "Die Politik muss den Menschen die Privilegien, Stärken und Vorzüge Europas immer wieder erklären und vor Augen führen", sagt der EU-Parlamentarier Fleckenstein. "Denn sonst glauben die Menschen, dass sich ihr Land wieder in einen sicheren nationalen Hafen zurückziehen kann. Das wäre fatal."