„Wie viele Griechenlands verkraftet der Euro?“ Dies versuchten Ökonomen auf einer Veranstaltung der Berliner Kaufleute zu beantworten, darunter der Euro-Gegner Joachim Starbatty und Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin. Der frühere Berliner Finanzsenator, bekannt für seine Provokationen, hielt sich zurück - weitgehend.
Auftritte von Thilo Sarrazin versprechen immer einen Skandal. Wenn man dabei gewesen ist, kann man Freunden und Kollegen danach anschaulich darüber berichten. Folglich war das Berliner Ludwig-Erhard-Haus brechend voll, nachdem der Verband der Berliner Kaufleute und Industrieller zu einer Diskussion mit dem Bundesbankvorstand sowie Hans Barbier und Joachim Starbatty, zwei bekannten Ökonomen, geladen hatte. „Wie viele Griechenlands verkraftet der Euro?“, lautete das Thema. Nicht wenige der Notare, Steuerberater und Volkswirte, die der Einladung gefolgt waren, hofften wohl, dass Sarrazin die Frage mit den wenigen Worten beantworten würde: „Kein einziges mehr.“
Um es vorweg zu sagen: Sarrazin wurde der Erwartung nicht gerecht. Ob es daran lag, dass er sich seiner Verantwortung als Bundesbanker bewusst war? Oder ob er Publikum und Anlass eines Skandals nicht für würdig befand? Wer weiß das schon. Jedenfalls führten seinen Äußerungen nicht zum Absturz des Euro. Und die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland hat Griechenland auch noch nicht abgebrochen. Für die 15 beziehungsweise 25 Euro Eintritt, die Mitglieder und Gäste zahlten, erhielten sie von Sarrazin also gar nicht so viel Gegenleistung.
Geboten wurde ein Abend der Eitelkeiten, an dem sich Barbier und Starbatty daran freuten, dass sie schon immer um die Geburtsfehler des Euro gewusst hätten. Barbier, heute Vorstandschef der Ludwig-Erhard-Stiftung, sonnte sich in dem Wunsch, der Euro möge mit einem „großen Kladderadatsch auseinander fliegen“. Dass an dessen Wert die Ersparnisse der Deutschen hängen, dass die Folge ein Chaos weit über die Finanzbranche hinaus sein könnte, all das interessierte den 72-Jährigen wohl genauso wenig wie Joachim Starbatty. Der emeritierte Professor ist als Chef der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft für seine Gegnerschaft zum Euro bekannt. Auf ihre alten Tage scheint beiden Theoretikern die Lust am Untergang gemein.
Im Vergleich zu ihnen wirkte Sarrazin nicht mehr wie das Enfant Terrible, das er sonst gibt, sondern wie ein Bundesbankvorstand, der um die gefährliche Wirkung unbedachter Worte auf Anleihe- und Währungsmärkte weiß. Die Griechen sollten so sparen wie Berlin unter seiner Ägide als Finanzsenator, riet er. Er habe, als er 2001 die Hauptstadt-Kasse übernahm, die Ausgaben gekürzt und sie dann sieben Jahre nicht mehr erhöht. Halte man sich an diese Regel, dann werde auf Dauer schon alles gut.
Außerdem gab er ihnen einen weiteren Rat mit auf den Weg: Sie sollten das ihnen eigene Schmiergeldsystem – „Fakelaki genannt“ – aufgeben. Unter dem Strich rechne es sich für den einzelnen nicht, wenn er genauso viel Geld in Umschlägen zugesteckt bekomme, wie er weiterreichen müsse. Ganz ohne Provokation kann Sarrazin eben nicht.
Gut nur, dass es Starbatty, der Ökonom, und nicht Sarrazin war, der an diesem Abend offenbar private Erfahrungen als gesicherte Erkenntnisse von sich gab: „Die Griechen sind sympathisch, jeder, der sie kennt, weiß das“, sagte er. „Aber wenn man nicht aufpasst, ziehen sie einen über den Tisch.“ Dieser Eindruck basiert wohl auf ähnlich gefestigten statistischen Erhebungen wie die im Ausland zum Teil noch vertretene Meinung, dass Deutsche Lederhosen tragen.
Ein Glück, dass nach so einem Abend voller vermeintlich rhetorischer Höhenflüge ein Notar die Ökonomen auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Sie hätten recht theoretisch diskutiert, was Griechenlands Krise eines Tages bedeuten könnte, sagte er. Ihn, als Sparer und Lebensversicherten würden aber die praktischen Folgen der Misere interessieren. Down to Earth, wie die Amerikaner sagen, war die Antwort der Diskutanten auf das Problem ihres Zuhörers ernüchternd – sie hatten keine.