Mit Pasta, Rührei und belegten Brötchen wollen norddeutsche Traditionsbetriebe den großen Gastro-Ketten Marktanteile abnehmen.
Hamburg. Bodentiefe Panoramafenster, lederbezogene Stühle an 25 Holztischen, dunkelrot gestrichene Wände. Die neueste Filiale des Hansebäckers Junge am Poßmoorweg ist mehr Selbstbedienungsrestaurant als Bäckerei. Das spiegelt auch das Speisenangebot wider: Neben dem üblichen Sortiment an Backwaren locken warme Gerichte wie Rührei und Pasta. "Keine Bäckerei überlebt heute nur mit Brot und Brötchen", sagt Kim-Sandra Wedemann, die für zehn Hamburger Filialen des Hansebäckers Junge verantwortlich ist. "Morgens machen wir immer noch die meisten Umsätze, aber das Mittagsgeschäft kann durchaus mithalten."
Damit steht der norddeutsche Traditionsbetrieb für einen Trend: Die Bäcker wachsen als Konkurrenten der Systemgastronomen wie Vapiano, Subway oder sogar McDonald's heran. Gretel Weiß, Herausgeberin der Fachzeitschrift "Food Service", sieht das Backhandwerk als einen der Aufsteiger im Außerhausmarkt. "Bäcker sind dazu prädestiniert, gute Gastronomen zu werden", sagt die Branchenkennerin. "Das Snackgeschäft der Bäcker ist eine schnell wachsende Milliardengröße und überdurchschnittlich krisenresistent." Schon 18 von 100 Besuchen im Selbstbedienungssegment finden nach Angaben von "Food Service" beim Bäcker statt, Tendenz steigend. Die Gründe sieht Weiß in den traditionellen Stärken der Betriebe: optimale Standorte, gutes Image sowie die Möglichkeit, vor Ort frisch zuzubereiten.
Drei Hamburger Erfolgsrezepte
Für die Bäcker sind Mittagstisch, Snacks und Latte macchiato eine Chance, die wachsende Konkurrenz im traditionellen Geschäft auszugleichen. Erst im vergangenen Dezember hatte Discount-Riese Aldi angekündigt, in den kommenden Jahren flächendeckend automatische Backstationen einzuführen. Branchenexperten rechnen damit, dass diese Offensive zu einer Neuverteilung von Marktanteilen führt. In vielen Supermärkten ist das Aufbacken von vorproduzierter Backware bereits üblich, zudem drängen immer mehr Discount-Bäcker auf den Markt. Die Bäcker-Innung Hamburg wäre schon froh, wenn die rund 15 000 deutschen Betriebe im Bäckerhandwerk den Branchenumsatz von knapp 13 Milliarden Euro im Jahr 2009 weiter halten können. Denn der Appetit der Deutschen auf Brot stagniert bei 85 Kilogramm, die pro Kopf und Jahr verzehrt werden.
Der Quickservicemarkt hingegen, also Imbisse, Fast-FoodLokale und Kaffeebars, ist 2009 nach Angaben von "Food Service" um drei Prozent gewachsen. "Es gibt immer mehr Singlehaushalte, sodass der Außerhausmarkt floriert", erklärt Peter Becker, Bäckermeister aus Harburg und Präsident des deutschen Bäckerverbands. "Betriebe in Ballungsgebieten könnten mit dem Sofortverzehr zukünftig die Hälfte ihres Umsatzes machen." Die Lage sei allerdings entscheidend für das Konzept, in ländlichen Gebieten werde sich das schnelle Mittagessen beim Bäcker weniger etablieren.
Viele norddeutsche Unternehmen, die auch auf dem Hamburger Markt stark sind, haben bereits aufgerüstet. Gürol Gür, der Gründer und Geschäftsführer des Hamburger Schanzenbäckers, macht mehr als 50 Prozent seines Umsatzes in den 26 Filialen mit warmen und kalten Snacks. Auch das Möllner Familienunternehmen Von Allwörden setzt in einigen Läden auf Sattmacher wie Braten, Minipizza oder Currywurst mit Pommes. Und der Hansebäcker Junge, 1897 in Lübeck gegründet, setzt nur noch auf seine firmenintern "Jumbo-Filialen" genannten Standorte wie jenen am Poßmoorweg. "Wir sehen uns eher im Wettbewerb mit Systemgastronomien als mit dem klassischen Bäcker", sagt Marketingchef Gerd Hofrichter. Seit 2004 habe sich der Umsatz mit Sofortverzehr verdoppelt, machte 2009 schon 40 Prozent des Gesamtumsatzes von 101 Millionen Euro aus. Die neuen Filialen, die noch in diesem Jahr zusätzlich zu den bestehenden 45 in Hamburg eröffnet werden, folgen deshalb alle diesem Schema. Immerhin ist das Konzept preisgekrönt: "Der Stellenwert des Snackgeschäfts beim Hansebäcker Junge ist rekordverdächtig", hieß es bei der Verleihung des Hamburger "Food-Service"-Preises 2010 während der Fachmesse Internorga. "Die Lübecker demonstrieren beispielhaft die Chancen der deutschen Brotkultur."