Hartz-IV-Empfänger könnten doch im Seniorenheim arbeiten, fordern Politiker wie SPD-Vizechefin Hannelore Kraft. Altenpfleger sind verärgert über diesen Vorschlag. Pflegemitarbeiter betrachten dies als Angriff auf ihre Berufsehre. Sie fühlen sich und ihre Arbeit für die alten Menschen nicht ernst genommen.

Thomas Wahles Arbeit ist anstrengend, für den Körper und die Seele. Im Frühdienst wuchtet der Altenpfleger meist sechs oder sieben stark pflegebedürftige Heimbewohner aus ihren Betten. Er wäscht sie, zieht sie an, hilft ihnen auf die Toilette. "Und dann ist es gerade erst Zeit fürs Frühstück", sagt er. Wahle ist Pfleger im Justina von Cronstetten Stift, einem kleinen Altenpflegeheim mit rund 40 Bewohnern, das am Rand der Frankfurter Innenstadt liegt.

Es ist Zeit fürs Mittagessen, heute gibt es Kassler. Die meisten Bewohner sitzen erwartungsvoll im Speisesaal, Messer und Gabel fest umklammert. Durch die Eingangstür des Speisesaals schiebt sich langsam ein stetiger Strom an Gehwagen. Wahle muss gleich das Essen austeilen. Sein Tagesablauf ist voll hektischer Routine.

Die Politik möchte Wahle, einem von 350.000 Altenpflegern in Deutschland, gern Helfer an die Seite stellen. Sie denkt dabei an Menschen, die seit Jahren nicht gearbeitet haben. Menschen, deren berufliche Fähigkeiten so verblasst sind oder nie vorhanden waren, dass sie auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben. Aber für Pflegeheime scheinen Langzeitarbeitslose noch geeignet. SPD-Frau Hannelore Kraft, Spitzenkandidatin ihrer Partei in Nordrhein-Westfalen, hat entsprechende Vorschläge in dieser Woche geäußert. Sie ist nicht die Erste mit solchen Ideen. Und sie ist nicht die Erste, die Menschen wie Wahle damit erzürnt.

"Den Job mache ich seit 20 Jahren", erzählt der Pfleger. Und obwohl die Arbeit mit den Alten manchmal zermürbt, macht er ihn gern. "Ob man es glaubt oder nicht: Mein Beruf gibt mir viel. Es stimmt zufrieden, wenn man alten Menschen den Alltag erleichtern und etwas schöner machen kann", sagt er. Wahle machen die Ideen von SPD-Vizechefin Kraft wütend. "Solche Äußerungen sind herabwürdigend. Für uns als Pfleger und ebenso auch für die alten Menschen", schimpft er. Schließlich, meint er, würde wohl kein Politiker auf die Idee kommen, unvermittelbare Arbeitslose in der Kinderbetreuung einzusetzen. "Für die Alten sind sie aber gut genug?"

So wie Wahle empfinden viele der Altenpfleger, die in deutschen Altenheimen arbeiten. Die Tätigkeit ist vergleichsweise schlecht bezahlt. Wenn jetzt Politiker Hartz-IV-Empfänger zum Einsatz im Altenheim verdonnern wollen, betrachten das viele Altenpfleger als Angriff auf die Berufsehre: Das, was ihr tut, kann nun wirklich jeder. So lautet die Botschaft, die Menschen wie Wahle vernehmen.

Es sind Zahlenreihen, die in der Politik immer wieder dazu führen, solche Vorschläge zu unterbreiten. Hannelore Kraft schätzt, dass jeder vierte Hartz-IV-Empfänger zum Lager der nicht vermittelbaren, aber grundsätzlich arbeitsfähigen Menschen ohne Job gehört. 1,2 Millionen wären das. Die Bundesagentur für Arbeit spricht von 933.000 "Kunden mit "Vermittlungshemmnissen". Also Arbeitslosen, die keine Berufsausbildung haben, Sprachprobleme oder häufige Krankheiten. Diese Menschen sollten, wie Kraft es nennt, "gemeinwohlorientierte" Tätigkeiten verrichten. Also Straßen sauber halten, in Sportvereinen helfen oder eben in Altenheimen.

Denn in der Altenpflege wächst, trotz Millionen Deutscher ohne Job, der Personalnotstand. Derzeit sind im Land 2,1 Millionen Menschen pflegebedürftig. Die meisten von ihnen, weil sie alt sind. Die Hälfte der Pflegefälle wird entweder in einem der 11.000 Altenpflegeheime im Land oder von ambulanten Pflegediensten zu Hause betreut. In zehn Jahren wird es schon 2,9 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland geben, 2030 dann 3,4 Millionen, schätzt das Statistische Bundesamt. Doppelt so viele wie Kinder in Kindergärten. Schon in den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Altenheimbewohner um rund zehn Prozent gestiegen.

Doch während der demografische Wandel für einen ständigen Zuwachs an Alten und Pflegebedürftigen sorgt, gibt es viel zu wenig Pflegekräfte. Rund 219.000 ausgebildete Alten- und Krankenpfleger arbeiten Vollzeit in den Heimen. Schon heute sieht die bundesweite Heimpflegeverordnung vor, dass Altenheime lediglich zur Hälfte ausgebildetes Fachpersonal beschäftigen müssen. Den Rest dürfen angelernte Fachkräfte übernehmen. Das Image des Berufs sei einfach zu schlecht, um genügend Auszubildende anzulocken, sagen Experten. Die schlechte Bezahlung tut ihr Übriges. Das Einstiegsgehalt liegt bei rund 1800 Euro brutto.

Ein Blick auf die Zahlen lässt somit die Idee gar nicht so unvernünftig erscheinen, den Mangel durch den Einsatz von Arbeitslosen auszugleichen. Neu ist der Vorschlag auch nicht. Schon 1995 äußerte der damalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) in einer Bundestagsdebatte: "Um einen 70-Jährigen zu füttern, brauche ich keine sechs Semester Psychologie. Dazu brauche ich ein gutes Herz und eine ruhige Hand." Professionelle Altenpfleger, die eine dreijährige Ausbildung hinter sich haben, empfinden diese in Wahlkampfzeiten gern aufgegriffene Idee als Hohn.

Entsprechend umstritten ist der Vorstoß Krafts. Als "unsäglich" bezeichnet ihn Elisabeth Scharfenberg, Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion für Pflege- und Altenpolitik. "Man kann nicht einfach die Lücken beim Pflegepersonal schließen, indem man Laien einsetzt. Hier ist Qualifizierung notwendig", sagt die gelernte Sozialarbeiterin. "Anstatt Notpflaster zu kleben, müssen wir das Image des Berufs aufwerten und Menschen für eine Ausbildung begeistern. Vorschläge wie der aktuelle werten das Bild des Berufs aber weiter ab, anstatt es zu stärken."

Auch Pfleger Thomas Wahle und seinem Chef Michael Graber-Dünow fallen eine Menge Argumente gegen unausgebildete Kräfte in der Altenpflege ein. Graber-Dünow ist der Heimleiter des Frankfurter Altenstifts. Er findet den Plan nicht nur unvernünftig, sondern geradezu haarsträubend. "Was würden Sie sagen, wenn Sie Ihr Auto in die Werkstatt bringen, und anstatt eines professionellen Automechanikers erwartet Sie eine Hilfskraft, die sagt: ,Von Motoren verstehe ich nichts, aber ich bin zur Arbeit hier eingeteilt worden'?"

Die Arbeit erfordere Zusammenhalt zwischen den Mitarbeitern und ein hohes Maß an Empathie, sagt der Heimleiter. Er hält es nicht nur für ausgeschlossen, dass unvermittelbare Hartz-IV-Empfänger ohne Ausbildung alte Menschen pflegen oder waschen könnten. "Dafür braucht es eine Ausbildung, wie man richtig hebt oder behandlungsbedürftige Druckstellen erkennt." Auch Krafts Idee, wonach die Langzeitarbeitslosen Heimbewohnern vorlesen sollten, empfindet er als befremdlich. "Vorlesen stellt man sich einfacher vor, als es ist", sagt Pfleger Wahle. "Sie müssen die Leute aus ihren Zimmern holen und sie erinnern, dass heute Vorlesestunde ist. Dann müssen Sie sie zum Aufenthaltsraum begleiten, mit ihnen noch mal auf die Toilette, ein Glas Wasser besorgen - und, und, und." Das reine Lesen aus einem Buch, sagt er, "das schaffen wir dann auch noch selber".

Gerade bei den vielen Demenzkranken in den Altenheimen sei es geradezu respektlos, ihnen unausgebildete Hilfskräfte vorsetzen zu wollen, findet Graber-Dünow. "Alzheimerpatienten haben ihre eigene Sprache, und die muss ein Betreuer verstehen lernen - sonst verschlimmert er die Situation." Wenn ein Demenzkranker zum Beispiel sage, er wolle zu seiner Mutter, dann meine er damit: Ich brauche Geborgenheit. "Wenn Sie antworten: ,Überleg mal, du bist 90 Jahre alt, deine Mutter lebt schon lange nicht mehr', dann hat der Patient da mit Sicherheit nichts von."

Trotzdem gab es 2008 unter der großen Koalition einen Vorstoß, um der steigenden Zahl an Demenzkranken Herr zu werden und gleichzeitig schnell neue Arbeitsplätze in der Pflege zu schaffen. Der neue Beruf heißt "zusätzliche Betreuungskräfte" und soll dazu dienen, Demenzkranke zu Hause zu betreuen. Rund 20 000 neue Arbeitsplätze sollten so entstehen, das Ziel ist aber noch nicht erreicht. Die Ausbildung finanziert die Pflegekasse, sie dauert 160 Stunden. Zu wenig, findet Grünen-Expertin Scharfenberg. "Mit Demenzkranken umzugehen ist kein Spaziergang. Das braucht Fachwissen, viel Kraft und Engagement."

Auch im Frankfurter Altenstift ist man skeptisch, ob solche kurzfristigen Maßnahmen etwas bringen. "Wenn Sie einen Arbeitslosen zwanghaft verpflichten, mit Alten zu arbeiten, nützt das keinem etwas - sondern beschert unseren Pflegern sogar noch zusätzliche Arbeit", sagt Graber-Dünow.

Quelle: Welt Online