Die Europäer zeigen sich in der Krise handlungsunfähig. Einfache Auswege aus dem Euro-Dilemma gibt es nicht. Nichtstun geht nicht – und eine europäische Wirtschaftsregierung ist in weiter Ferne. Von allen Lösungsansätzen scheint ein eigener Währungsfonds am sinnvollsten und realistischsten.

Es war der sprichwörtliche Stein, den Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ins Wasser warf, als er in der "Welt am Sonntag" vergangenes Wochenende einen europäischen Währungsfonds (EWF) forderte. Seine Worte waren noch ziemlich vage, aber konkret genug, um unmissverständlich zu sein: "Wir planen keine Konkurrenzinstitution zum Internationalen Währungsfonds", erklärte Schäuble, "aber für die innere Statik der Eurozone brauchen wir eine Institution, die über die Erfahrungen des IWF und über analoge Durchgriffsbefugnisse verfügt." Der 67-jährige Politiker wollte offenbar testen, welche Wellen sein Stein schlägt.

Es sind große Wellen. Seit Schäubles ersten Andeutungen ist eine heftige Diskussion entbrannt. Gab Bundeskanzlerin Angela Merkel ihrem Minister noch am Sonntag Rückendeckung, kam schon in den Tagen darauf heftiger Gegenwind: Niemand anders als Jürgen Stark, der Chef-Volkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), verdammte im "Handelsblatt" die Pläne als einen Mechanismus, der "nicht mit der Geschäftsgrundlage der Währungsunion" vereinbar sei: "Das wäre der Start eines Finanzausgleichs, der sehr teuer werden könnte, falsche Anreize setzt und Länder mit solideren Finanzen belasten würde." Bundesbank-Präsident Axel Weber sprang Stark bei, er warnte vor einer "Institutionalisierung von Nothilfen". Andere wiederum fürchten eine neue Behörde, die keiner brauche, eine Art "Euro-Schuldenfonds". Defizitstaaten könnten schließlich auch um Kredite beim Internationalen Währungsfonds (IWF) anklopfen. Wofür braucht Europa dann also einen eigenen Währungsfonds?

Doch es gibt auch Fürsprecher, deren Position ganz und gar nicht ins übliche Lagerdenken passt. Nicht einmal die unabhängigen Zentralbanker von der EZB stehen geschlossen zusammen. "Der EZB-Rat lehnt das nicht völlig ab zum gegenwärtigen Zeitpunkt", sagte zur Überraschung aller Beobachter EZB-Präsident Jean-Claude Trichet Mitte dieser Woche - und höhlte damit die Position seines Chefvolkswirts aus.

Das Problem. Einig sind sich alle Fachleute nur in einem: So wie bisher kann es nicht weitergehen. "Das europäische Regelwerk, das zeigt sich immer deutlicher, ist noch unvollständig", legte Wolfgang Schäuble am Freitag in der "Financial Times Deutschland" nach. Da wird ihm kaum jemand widersprechen. Die Griechenland-Krise zeigt, dass Europa, wenn es darauf ankommt, handlungsunfähig ist. Die Republik mit einer Wirtschaftskraft, die nicht viel größer ist als die Hessens, hat den gesamten alten Kontinent in eine tiefe Krise gestürzt.

Denn wichtige Fragen sind ungelöst. Wie geht die Euro-Gemeinschaft mit einem Land um, das trotz Stabilitätspakt an den Rand der Zahlungsfähigkeit gerät? Wer stellt dann welche Bedingungen? Und wer gibt im Notfall die notwendigen Milliarden?

Die Väter der Währungsunion wollten diese Frage nicht beantworten, weil diese Realitäten "vernünftigerweise nicht hätten eintreten dürfen", wie Schäuble sagt. Es gibt nur die sogenannten No-bailout-Klausel, wonach kein Land für die Schulden des anderen haftet.

Doch niemand glaubt, dass sich dieser Grundsatz zum jetzigen Zeitpunkt noch durchhalten lässt. Das ist die Lehre aus der Pleite des Wall-Street-Hauses Lehman Brothers: Wenn schon eine Bank nicht fallen gelassen werden kann, weil es bis dato keinen geordneten Insolvenzprozess gibt, wie soll das dann bei einem Land gehen?

Griechenland mag ja klein sein. Doch was ist, wenn dann Portugal und Spanien hintereinander umkippen? Eine globale Staatsfinanzierungskrise würde selbst die Finanzkrise von 2008 milde aussehen lassen. Der Euro ist eben, wie es der EZB-Chefvolkswirt Stark kürzlich selbst in einem Interview mit der "Welt am Sonntag" sagte , in der Tat eine Schicksalsgemeinschaft - auf Gedeih und Verderb.

Offene Flanken. Es muss also einen geordneten Mechanismus geben, wie die Gemeinschaft mit Sündern umgeht. Das sollte nicht nächtlichen Verhandlungen überlassen werden, bei denen dann kurz vor Börseneröffnung in Tokio um zwei Uhr mitteleuropäischer Zeit der französische Präsident Nicolas Sarkozy auf den Tisch haut und sich als Retter aufspielen kann.

Im ersten Schritt sollte es nicht um eine mögliche neue Institution gehen, sondern darum, was die Euroländer eigentlich erreichen wollen. Oberstes Gebot muss sein, dass die Währung stabil bleibt. Die notwendige Bedingung dafür ist, dass Länder solide haushalten. Ansonsten droht die Schicksalsgemeinschaft gemeinsam in den Abgrund gezogen zu werden. Denn wenn ein Land nicht einfach insolvent gehen kann, gleichzeitig per Definition aber keine nationale Zentralbank mehr bereitsteht, um die eigene Währung abzuwerten oder notfalls Geld zu drucken, können am Ende nur noch internationale Finanzinstitutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) in Washington oder eben andere Staaten die Situation retten. Im Klartext: Deutsche Steuerzahler müssten notfalls für griechische Haushaltssünden aufkommen.

Zwei offene Flanken müssen deshalb geschlossen werden: Erstens sollte es einen effektiven Mechanismus geben, wie die Finanzpolitik der Euro-Länder überwacht und notfalls sanktioniert werden können. Das muss auf möglichst transparente und nachvollziehbare Art und Weise geschehen, wenn möglich mit automatischen Strafen bei Regelbruch. Das wird durch den Stabilitätspakt erreicht - aber eben nur theoretisch. Trotz eklatanter Budgetdefizite und zuvor festgelegter Regeln ist es bislang nicht zu Strafzahlungen gekommen, weil der EU-Ministerrat sich nie zu einem solchen Schritt durchringen konnte. Auch Deutschland hat in den Jahren von 2003 bis 2007 alles dafür getan, dass der Stabilitätspakt nicht im eigentlichen Sinne ausgelegt wird. Trotz eklatanter Budgetdefizite blieben bisher alle Defizitverfahren der EU-Kommission weitgehend ohne Konsequenzen - weil der EU-Ministerrat sich scheute, die Strafen zu verhängen.

Die zweite offene Flanke geht der Stabilitätspakt erst gar nicht an: Es muss geregelt sein, was geschieht, wenn alle Sanktionen nicht helfen und ein Land wider Erwarten doch zahlungsunfähig wird. Und hier geht es vor allem um eins: Die Last eines solchen Staatsbankrotts sollte überwiegend von den bisherigen Gläubigern und möglichst wenig von der Staatengemeinschaft getragen werden. "Investoren müssen endlich an den Kosten für die Sanierung beteiligt werden", sagte Thomas Mayer, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank und einer der Vordenker der EWF-Idee, der "Welt". Dafür aber müsste eine Staatsinsolvenz in möglichst geordneten Bahnen verlaufen, nach zuvor festgelegten Regeln.

Wer überwacht? Es gibt theoretisch mehrere Wege, die zwei Ziele zu reichen. Es muss zunächst ein Kontrollorgan geben, das die Finanzpolitik der einzelnen Staaten überwacht. EZB-Chefvolkswirt Stark fordert striktere Auflagen im Stabilitätspakt. Bei Regelbruch sollten die Strafen automatisch verhängt werden. Und ein unabhängiges Expertengremium könnte den Etat von Defizitländern überwachen.

Doch dieser Plan hat gewisse Schwachstellen: Der Stabilitätspakt war an sich nicht zu weich. Die Kommission und der Ministerrat haben nur die vorhandenen Schlupflöcher genutzt, um den Pakt nicht buchstabengetreu anwenden zu müssen. Warum sollte sich das in Zukunft ändern? Weder die Kommission, noch der Ministerrat, noch das Europäische Statistikamt Eurostat genießen die Glaubwürdigkeit, ein Defizitprogramm zu überwachen und die notwendigen Sanktionen zu verhängen. Die aber ist erforderlich, um Akteure am Finanzmarkt davon abzuhalten, gegen ein Land zu wetten.

Und selbst wenn es ein unabhängiges Expertengremium geben sollte, so würde immer noch eine verlässliche Institution fehlen, die den geordneten Austritt eines Landes aus der Eurozone oder gar die Insolvenz managen könnte. Es ist weit und breit keine Institution in der Europäischen Union in Sicht, die glaubhaft diese Aufnahmen übernehmen könnte.

Was ein EWF leisten könnte. Genau dieses Vakuum müsste ein europäischer Währungsfonds ausfüllen. Ähnlich wie der IWF hätte der neu geschaffene Fonds die Aufgabe, die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Länder zu überwachen und frühzeitig die Staaten dabei zu beraten, Konsolidierungsprogramme zu entwerfen. Der EWF könnte zudem darüber entscheiden, ob die Voraussetzungen für ein Defizitverfahren gegeben sind. So schlägt der Brüsseler "Center for European Policy Studies" (CEPS) gemeinsam mit der Deutschen Bank vor, dass Defizitsünder jährlich ein Prozent der Summe einzahlen, um die das Defizit die Drei-Prozent-Quote überschreitet. Den Autoren zufolge wären so seit Beginn der Währungsunion rund 120 Milliarden Euro zusammengekommen.

Es wäre das Geld, das im Notfall zur Finanzierung von Rettungsprogrammen bereit stünde - allerdings nur unter strengen Auflagen und hohen Zinsen - wie Finanzminister Schäuble es fordert. Möglich wäre dann auch, dass der EWF ein Land dabei unterstützt, aus der Eurozone auszutreten, um eine eigene Landeswährung abwerten zu können. Auch ein solcher Austritt müsste mit einem Kreditprogramm begleitet werden, um einen Kollaps der betroffenen Volkswirtschaft zu verhindern.

Berechtigte Sorgen. Was in der Theorie gut klingt, ist mit erheblichen Umsetzungsrisiken behaftet. Kritiker wie der EZB-Chefvolkswirt Stark, der sich als Bundesbank-Vorstand über Jahre hinweg intensiv mit IWF-Programmen auseinandergesetzt hat, warnen vor "finanzpolitischem Schlendrian". Er befürchtet, dass durch einen Währungsfonds die Anreize für Länder wie Griechenland oder Portugal verringert würden, solide zu haushalten - unterstützt von sorglosen Investoren, die sowieso mit der Rettung im Fall der Fälle retten.

Diese Angst vor dem sogenannten Moral hazard ist nicht von der Hand zu weisen. Die Praxis hat gezeigt: Der IWF hat in seiner über 60-jährigen Geschichte immer wieder dafür gesorgt, dass Banken und Privatinvestoren vor großen Verlusten bewahrt wurden. Die Konsequenz ist, dass die Zinsen auf Anleihen von guten und schlechten Schuldnern sich immer weiter angeglichen haben. So auch in Europa, wo zeitweise deutsche und griechische Anleihen fast genauso hohe Zinsen abwarfen.

Zudem werden auch die IWF-Programme immer wieder von Politikern ad absurdum geführt. Besonders problematisch waren die Interventionen des Währungsfonds in Mexiko und vor allem in Russland in den 90er-Jahren. Damals kam der Stab des IWF wiederholt zum Schluss, dass die russische Regierung die Auflagen des Währungsfonds nicht erfüllt und die nächste Tranche des Kredits nicht bezahlt werden dürfte. Doch der politisch besetzte Verwaltungsrat des IWF entschied anders. Das Geld wurde ausgezahlt und so der Reformdruck von der russischen Regierung genommen. Damals war es vor allem die US-Regierung, die sich über alle Ratschläge hinwegsetzte und die Hilfe für die Regierung des russischen Präsidenten Boris Jelzin nach politischen Motiven bewilligte.

Warum reicht der IWF nicht? Diese Erfahrungen mit dem Währungsfonds in Washington ist einer der Gründe, warum die Europäer es als Drohung empfinden, wenn der griechische Premier Giorgos Papandreou darüber nachdenkt, den IWF um Beistand zu bitten. In weiten Teilen Europas sehe man den Fonds als "amerikanische Institution", sagte der US-Ökonom Allan Meltzer dem "Handelsblatt". Zu Recht: Der IWF-Chef hat ein monatliches Treffen mit dem amerikanischen Finanzminister und seinen Staatssekretären, die Amerikaner haben jahrelang fast nach Belieben die Politik des Fonds dominiert. Auf einmal könnte also die US-Regierung gemeinsam mit Chinesen und Indern darüber entscheiden, welche Wirtschafts- und Finanzpolitik ein Land der Eurozone zu verfolgen hat. Es wäre ein Offenbarungseid für die Europäer.

Und nicht nur das: Am Ende hätten sie das Problem doch wieder vor der Haustür - dann nämlich, wenn die Programme nicht funktionieren, sich die Probleme verschlimmern und der Fonds seine Finanzierung zurückzieht. Der IWF hat bis heute kein Mandat, den Konkurs eines Landes zu managen.

Wie muss der EWF aussehen? Der IWF wird somit zu einem schönen Vorbild, wie der EWF aussehen und wie er nicht aussehen sollte: Ein EWF, sollte er tatsächlich geschaffen werden, muss weitgehend unabhängig sein. Das ist umso wichtiger, da es gerade den Europäern schwerfällt, "mit ihresgleichen hart ins Gericht zu gehen", schreibt Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank, in einer aktuellen Studie. Im Idealfall sollte die neue Institution so unabhängig sein wie EZB. Soll heißen: Die europäischen Regierungen könnten die Vertreter im Verwaltungsrat benennen, der dann an keine Weisung mehr gebunden ist. Das käme dem unabhängigen Expertenrat nahe, den EZB-Chefvolkswirt Stark vorschlägt. Allerdings hätte das Gremium weit größere Kompetenzen.

Deutsche-Bank-Ökonom Mayer glaubt allerdings nicht daran, dass Politiker bereit sind, ihre Hoheit über die Finanzpolitik so weit aufzugeben: "Sie können die Finanzpolitik nicht von der allgemeinen Politik isolieren wie die Geldpolitik." Stattdessen solle man versuchen, ein größtmögliches Schutzschild gegen politischen Einfluss auf den Fonds zu bauen. Es müsse deutlich werden, wann die Politik Einfluss nehme: "Allein das könnte disziplinierende Wirkung haben."

Fonds statt EU-Regierung. Die Gefahr lässt sich nicht von der Hand weisen, dass ein europäischer Währungsfonds im schlimmsten Fall mehr schadet als nützt. Die Frage ist allerdings, was die Alternative ist. Gar nichts zu tun, scheidet aus. Das andere Extrem, nämlich eine europäische Wirtschafts- und Finanzregierung, erscheint hingegen völlig illusorisch. Wie sollte eine solche Regierung, die dann notfalls auch nationale Renten kürzen müsste, legitimiert sein?

Ein EWF scheint hingegen zwar nicht als Königsweg, aber immer noch als gehbarer Weg. Vielleicht ist unter dem Eindruck der vergangenen Wochen die Bereitschaft groß genug, den entsprechenden institutionellen Rahmen für einen stabilen Euro zu schaffen. Am Dienstag werden die europäischen Wirtschafts- und Finanzminister erstmals über den Aufbau eines EWF sprechen.

Bundesbank-Präsident Weber bleibt da freilich skeptisch: Entscheidend sei der gemeinsame Wille der Europäer zur Einhaltung der Währungsunion, sagte er: "Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg." Wenn der Wille aber fehle, dann werde auch eine neue Institution nichts nützen. Hat er recht, ist es äußerst schlecht um Europa und den Euro bestellt. Denn dass alle 16 Euro-Staaten ohne äußeren Zwang und Kontrolle die Regeln befolgen, dürfte eine Illusion bleiben. Die aktuelle Krise zeigt das ja.

Quelle: Welt Online